Sonate Nr. 3 f-Moll für Klavier, op. 5
Werkverzeichnisnummer: 3524
1. Allegro maestoso
2. Andante espressivo
Der Abend dämmert, das Mondlich scheint
Da sind zwei Herzen in Liebe vereint
Und halten sich selig umfangen
(Sternau)
3. Scherzo. Allegro energico – Trio
4. Intermezzo. Andante molto
Rückblick
5. Finale. Allegro moderato ma rubato
JOHANNES BRAHMS
Klaviersonate f-Moll, op. 5
Im Sommer 1853 brach der junge Hamburger Johannes Brahms zu seiner ersten Rheinreise auf. Zu Fuß ging es von Mainz nach Düsseldorf; Besuche führten den genialen 20jährigen zu dem Geiger Josef von Wasielewski nach Bonn, in die Villa Deichmann nach Mehlem und nach Neuwied. Von dort unternahm er Ausflüge ins Ahrtal, zu den Lavagruben in Nieder-Mandig und an den Laacher See. An Zeugnissen über dieses erste, überwältigende Erlebnis der Rheinlandschaft besitzen wir zum einen Briefe – mancher von ihnen auf dem Rheindampfer an seinen Freund Joseph Joachim geschrieben -, zum anderen Musik: Brahms vollendete während dieser Wochen seine Klaviersonate in C, Opus 1, und begann seine Sonate in f, Opus 5.
Denkwürdiger Höhepunkt der Rheinreise und zugleich die Premiere der f-Moll-Klaviersonate war der erste Besuch bei den Schumanns in Düsseldorf. Am 30.9. empfing das Künstlerehepaar den ihnen noch unbekannten Freund Joachims und schlossen ihn spontan ins Herz. Aus einem kurzen Abstecher wurde ein ausgedehnter fünfwöchiger Aufenthalt, der bis zum 3.11. andauerte und die Weichen für Brahms‘ Karriere stellte. Schumann verfasste den Aufsatz Neue Bahnen, seine begeisterte Schilderung des jungen Genies, und er interessierte seine Verleger für dessen erste Werke. Beinahe überfordert schrieb Brahms an Joachim: „Dr. Schumann betreibt meine Sachen bei Breitkopf & Härtel so ernstlich und so dringend, daß mir schwindlig wird. Er meint, ich müsse vielleicht in sechs Tagen die ersten Werke hinschicken. Der Mannigfaltigkeit wegen schlägt er mir folgendes Programm vor:
op. 1. Phantasie in dmoll für Piano, Violine und Cello
op.2 Lieder
op.3 Scherzo esmoll
op.4 Sonate in Cdur
op.5 Sonate in amoll für Piano und Geige
op.6 Gesänge
Schreibe mir doch deutlich Deine Herzensmeinung darüber. Ich weiß mich gar nicht zu fassen.“
In dieser Auflistung ist das Opus 5 noch mit der heute verlorenen Violinsonate a-Moll besetzt. Wäre letztere vom Verlag in Leipzig angenommen worden, wir besäßen eine Violinsonate von Brahms mehr. Leider druckte der Verleger „keine Violinsachen“, und Brahms schickte stattdessen Ende Dezember 1853 seine f-Moll-Klaviersonate. Er hatte sie am Vortag seiner Abreise von Düsseldorf den Schumanns noch aus dem Kopf vorgetragen und Mitte November in Hannover endlich aufgeschrieben. Nach einigen Verbesserungen kam sie schon im Februar 1854 zum Druck, wurde mehrfach rezensiert und von zwei Virtuosen noch im gleichen Jahr uraufgeführt: Clara Schumann spielte im Oktober 1854 Andante und Scherzo im Leipziger Gewandhaus, Hermann Richter die gesamte Sonate Anfang Dezember in Magdeburg.
Man wird die f-Moll-Sonate kaum hören können, ohne sich die Gestalt des 20jährigen Brahms ins Gedächtnis zu rufen: „Das ist wieder einmal einer, der kommt wie eigens von Gott gesandt!“ so Clara Schumanns erster Eindruck von Brahms, kurz nach der ersten Begegnung notiert. Er bezeichnet den Nimbus des jungen Genies ebenso deutlich wie die prophetischen Worte ihres Mannes in dem erwähnten Aufsatz Neue Bahnen: „ein junges Blut, an dessen Wiege Helden und Grazien Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, aber von einem trefflichen und begeistert zutragenden Lehrer gebildet in den schwierigsten Satzungen der Kunst, mir kurz vorher von einem verehrten bekannten Meister empfohlen. Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigten: das ist ein Berufener. Am Klavier sitzend fing er an, wunderbare Regionen zu enthüllen. Wir wurden in immer zauberischere Kreise hineingezogen.“
Zu den Werken, mit denen Brahms die Schumanns in „zauberische Kreise hineinzog“, gehörten wie bereits dargestellt die Klaviersonaten in C und f: „Sonaten, mehr verschleierte Sinfonien“ nannte sie Robert, während Clara Brahms‘ „schöne Hand“ bewunderte, „die mit der größten Leichtigkeit die größten Schwierigkeiten besiegt (seine Sachen sind sehr schwer), und dazu nun diese merkwürdigen Kompositionen!“
Seit Schuberts späten Sonaten hatte es keine ähnlich monumentalen Klaviersonaten mehr gegeben wie die Brahms’schen. Typisch für sie ist zum einen die quasi-sinfonische Form der Ecksätze, die sich mit orchestralem Klaviersatz paart – der Tonfall „verschleierter Sinfonien“; zum anderen die Poesie der langsamen Sätze, denen in Opus 1 wie 5 Gedichte zugrundeliegen. Brahms hatte sich auf einem einstmals in Speyer aufbewahrten Blatt zwei Gedichte notiert: ein altdeutsches Minnelied, das zum Programm für das Andante des Opus 1 wurde, und jenes Gedicht von Sternau, das er dem Andante des Opus 5 voranstellte:
Der Abend dämmert, das Mondlicht scheint. / Da sind zwei Herzen in Liebe vereint / Und halten sich selig umfangen.
Zum Kern der gesamten Sonate wird dieses Motto dadurch, dass Brahms das wunderbare As-Dur-Nachtstück des zweiten Satzes, dem er das Gedicht voranstellte, im Intermezzo des vierten Satzes wieder aufgriff. Er nannte diesen zweiten langsamen Satz Rückblick und transponierte darin das Andante-Thema nach b-Moll.
Die beiden Sätze scheinen eine Liebesgeschichte anzudeuten, die sich im Andante nächtlich-zart entspinnt, im dritten Satz, einem gespenstischen f-Moll-Scherzo, auf dramatische Weise entlädt, bis sie im vierten Satz nur mehr als schmerzliche Erinnerung aufscheint. Dort wird die Melodie von den imaginären „Trommelwirbeln“ eines Trauermarschs in der linken Hand vielsagend begleitet. „Von koloristischem Reiz die durchweg auf Quintklänge abgestellte Binnenstrecke, eine Art Nachtweben. Den tragischen Hintergrund beleuchten gleich einem aufzuckenden Blitz der massive ff-Einbruch des Wirbels und die heftigen Dissonanzen geharnischter Blechthemen.“ (Cristof Rüger)
Die Ecksätze bilden zur Tragödie der Mittelsätze Prolog und Epilog: „Wuchtige Schläge leiten das Allegro maestoso ein ¾, die punktierte Viertongruppe wird zum wichtigsten, äußerst beweglichen und vielfältig verwendbaren Baustein des Satzes. Das expressive Seitenthema dringt kühn modulierend in entfernte Tonarten vor und vergrößert seinen Klangumfang beidseitig. Der Abgesang lässt aufhorchen ob seiner chromatischen Sextakkorddrückungen auf Orgelpunkt As. „ (Rieger) Das Finale lebt vom Galopprhythmus seines Hauptthemas, aber auch von zwei sehnsüchtig gen Himmel blickenden Liedepisoden. (Karl Böhmer)