Suite a-Moll aus Nouvelles Pièces de Clavecin (1728)
Werkverzeichnisnummer: 3513
1. Allemande
2. Courante
3. Sarabande
4. Les Trois mains
5. Fanfarinette
6. La Triomphante
7. Gavotte avec 6 Doubles
JEAN-PHILIPPE RAMFAU
Suiten in e und a
Nicht übermäßig sympathisch ist das Bild, das eine Zeitzeugin vom alten Jean-Philippe Rameau bei der Einstudierung seiner Oper Dardanus entwarf: “Rameau, der die Manieren und das Aussehen eines alten Teufels hat, sang um die Noten anzugeben,- die Zuhörer im Auditorium, immerhin mehr als 150 Personen, applaudierten ihm uum ,Sport und er applaudierte ebenso Zurück. Es war eine Ziemlich eigenartige Erfahrung” Die kurze treffende Charakterisierung zeigt, weIche öffentliche Aufmerksamkeit Rameau auf dem Höhepunkt seiner Opernkarriere zuteil wurde, wie umstritten er war und wie kompromisslos er sich des Spotts seiner Gegner erwehrte. Vom Cembalisten Rameau, der die Pariser 20 Jahre zuvor bezaubert hatte, war damals nicht mehr die Rede. Dabei waren es seine flinken Finger und seine eigenwillige Musik für Cembalo gewesen, die dem Burgunder aus dem provinziellen Dijon den Weg in die Hauptstadt gebahnt hatten. Sein Können am Cembalo wurde so allgemein bewundert, dass es sich in den 1730er Jahren schon bis nach Deutschland herumgesprochen hatte. So wollte ein hartnäckiger Bach-Kritiker wie Johann Adolph Scheibe einfach nicht glauben, dass Rameau schlechter spiele als der viel gepriesene Johann Sebastian Bach.
Beeindruckendes Zeugnjs von Rameaus Tastenkunst sind seine fünf Cembalosuiten. Während Bach seine Suiten konsequent in Zyklen zu jeweils sechs Werken zusammenfasste, publizierte Rameau die seinen alleine oder paarweise in drei Bänden: Das Livre premier aus dem Jahre 1706 umfasst nur eine einzige Suite in a-Moll, das 1724 folgende zweite Buch, das er aber nicht so nannte, enthält zwei Suiten in e und d, das dritte Buch, das 1728 unter dem Titel Nouveller Suites erschien, besteht wiederum aus zwei Suiten in a und G.
Wir hören aus dieser Werkgruppe die jeweils erste Suite aus den Bänden von 1724 und 1728. Im gesamten Zusammenhang handelt sich also um Rameaus Suiten Nr. 2 und 4. Wie bei allen französischen Cembalosuiten wechselt das Tongeschlecht häufig, so dass man als Tonarten streng genommen e-Moll/E-Dur und a-Moll/ A-Dur angeben müsste. An zyklische Aufführung dachte Rameau dabei weniger als Bach, der jede einzelne Suite streng zyklisch auffasste und anlegte. Rameau schrieb “Suites” im wörtlichen Sinne: lose Folgen von Stücken, unter denen der Spieler seine eigene Auswahl treffen sollte ganz nach Gusto und Laune.
Für die zyklische Aufführurig im Konzertsaal gibt es dennoch Gründe. Rameau eröffnete die ersten vier seiner Suiten in traditionellen Manier mit der Abfolge Allemande-Cournate, im Falle der a-Moll-Suite gefolgt von einer Sarabande, in der c-Moll-Suite von einem Giguenpaar. Erst nach diesem Tribut an die Standardtänze der klassischen Cembalosuite überließ sich der Komponist der bunten Abfolge sogenannter Galanterien und Pièces de Charactère. Unter ersteren verstand man die Modetänze des Spätbarock wie Gavotte, Menuett und Rigaudon, aber auch Genretänze aus den Ballettmusiken wie Tambourin oder Musette. “Charakterstücke” konnten im französischen Barock sowohl musikalische Porträts lebender Personen als auch tonmalerische Stücke sein, die dem Prinzip der “Imitation de la Nature” gehorchten. Im Nachahmen des Naturlauts vom Ideinen Vögelchen bis zum großen Erdbeben sahen die Franzosen die höchste Aufgabe der lnstrumentalmusik. In seinen Opern sollte Rameau den Parisern in dieser Hinsicht noch manches zu Gehör bringen: Jagden und ländliches Idyll, Seestürme und Gewitter, ja sogar einen Vulkanausbruch. Am heimischen Cembalo hat sich der Komponist gewissermaßen auf diese Kunst eingestimmt. Bis heute gehören seine Charakterstücke tonmalerischen Inhalts wie etwa La Poule oder Les Cyclopes zu seinen bekanntesten Werken.
Beim Hören der beiden Rameau-Suiten sollten wir also zwei verschiedenen ästhetischen Prinzipien folgen. Zu Beginn jeder Suite dürfen wir die Kunst bewundern, mit der Rameau den hehren alten Tänzen frischen Wind einhauchte. Im Falle der beiden Allemanden tat er dies durch eine der italienischen Violinmusik abgelauschte sequenzenreich sprudelnde Melodik, in den Couranten durch rhythmisches Raffinement im Umgang, mit der französischen Variante dieses Tanzes, deren hemiotisch verschachtelter Dreihalbetakt auch Bach immer wieder herausgefordert hat. Die Sarabande der a-Moll-Suite entfaltet das ihr angemessene Pathos, während sich die beiden Giguen der e-Moll-Suite hemmungslos dem rauschenden italienischen Triolenfluss hingeben, den Corelli auf der Violine in diesen Typus von Tanzsatz hineinbrachte.
In der zweiten Hälfte jeder Suite geht es um gänzlich anderes: hier weht Theaterluft über die Tasten. Auf die beiden Giguen folgt in der e-Moll-Suite der berühmte Rappel des Oiseaux, der morgendliche Appell, zu dem sich die Singvögel bei Tagesanbruch versammeln. Wer im Frühjahr schon einmal vom ersten Vogelgezwitscher eines noch jungen Morgens geweckt wurde, wird ohne weiteres bestätigen können, wie treffend Rameau diesen Eindruck wiedergab. Die beiden Rigaudons bereiten die Musette in E-Dur vor, eine wunderbare lmitation jenes Dudelsack-Instruments, das man im französischen Rokoko besonders liebte. Ebenfalls inspiriert von einem Volksinstrument ist der folgende Satz, einer von Rameaus mitreißenden Tambourins. Der Name geht zurück auf den Tambourin de Béarne, eine in Südfrankreich damals gebräuchliche Einhandtrommel, zu der man auf einer Einhandflöte primitive Melodien blies. Der rustikale Charme dieses Volkstanzes elektrisierte in Paris die aristokratischen Zuhörer. In Rameaus Fassung imitiert die linke Hand den perkussiven Klang der Trommel, deren aufpeitschender Rhythmus die simple Melodie der rechten Hand gleichsam in Ekstase versetzt.
Das Rondeau, mit dem die Suite schließt, bleibt dem dörflichen Milieu verhaftet: La Villageoise, ein Dorfmädchen schlendert leichten Schritts und gleichsam mit wiegenden Hüften daher. Im Schlussteil verwandelt sich seine zarte Melodie unversehens in ein Virtuosenstück, das die Suite effektvoll beschließt.
Auch die a-Moll-Suite hat ihren virtuosen Höhepunkt am Schluss: sechs Variationen über eine Gavotte von einfachem Zuschnitt in Melodie und Harmonie. Ungezwungen hat sich Rameau in jeder der sechs Variationen, die er nach französischem Muster “Double” nannte, der Geläufigkeit seiner Finger hingegeben.
Um die Finger bzw. Hände des Pianisten geht es auch im ersten der drei Charakterstücke, die die Mitte dieser Suiten bilden: Les trois mains (Die drei Hände) erweckt den Eindruck, als verfüge der Spieler über eine dritte Hand zwischen der Linken und der Rechten. Rameau hat dies durch vielfaches Übersetzen der ersten Hand und dauernde Lagenwechsel in beiden suggeriert.
Ein niedliches Genrebild ist La Fanfarinette (Die kleine Fanfare), eine Rokoko-Nachbildung jener Militärfanfaren, die die französischen Truppen in den friedlichen Jahren um 1730 eher selten in die Schlacht riefen. La Triomphante (Das Triumphstück.) preist danach den Sieg der Truppen. Noch zu Rameaus Lebzeiten änderte sich das Bild: Frankreich musste sich daran gewöhnen, die Siegesfanfaren der anderen Armeen auf den Schlachtfeldern Europas erschallen zu hören.