Fünf Stücke für 2 Violinen, Viola und Violoncello
Werkverzeichnisnummer: 3494
1. Allegro
2. Alla valse viennese
3. Allegro con moto
4. Alla Serenata. Molto Allegro
5. Alla Czeca. Andante
2004
ERWIN SCHULHOFF
Fünf Stücke für Streichquartett
Mit blutiger Spur setzte der Holocaust der blühenden tschechischen Musik der 1930er Jahre ein jähes Ende – und mit ihr der Kammermusik. Als Gideon Klein, Pavel Haas, Hans Krasa und mit ihnen eine ganze Generation tschechisch-jüdischer Komponisten in den Gaskammern von Auschwitz starben, wurde die gesamte Vorkriegsentwick-lung der tschechischen Musik ausgetilgt. Erwin Schulhoff, der bekannteste Komponist seiner Generation, starb 1942 in einem bayerischen KZ an Tuberkulose. Von seinen Leidensgenossen in Theresienstadt und später Auschwitz trennte ihn der Umstand, dass er sowjetischer Staatsbürger war. Bewahrte ihn dies nach der Okkupation Böhmens und Mährens 1939 noch vor der Verfolgung durch die Deutschen, so fiel mit dem Bruch zwischen Stalin und Hitler auch dieser vorübergehende Schutz fort: Schulhoff wurde als Kommunist, Jude und „entarteter“ Komponist gleichermaßen verfolgt.
Schlägt man in Reiseführern der Nachkriegszeit unter Wülzburg nach, so findet man zwar bewundernde Beschreibungen der hochbarocken Festungsanlage, aber keinen Hinweis darauf, dass die Deutschen in der Festung oberhalb der Stadt Weißenburg in Mittelfranken Tausende von Juden internierten. Wülzburg war das Sammelzentrum für tschechische und polnische Juden, die zugleich Staatsbürger anderer Nationen waren. Hier wurde 1941 auch Schulhoff interniert. Aus einem Bericht des russischen Mittgefangenen Lew Bereskin geht hervor, wie er im Lager lebte. Er war von der Arbeitspflicht befreit, hatte aber genauso wie alle anderen unter den Schikanen des Lagerkommandanten und besonders eines Unteroffiziers zu leiden. Zu den „guten Deutschen“ im Lager gehörten der Vizekommandant, der besonders die Lebensbedingungen der inhaftierten Intellektuellen zu verbessern versuchte, und der Krankenpfleger Prokopec, der über seine Station Leben zu retten versuchte, so gut es ginng. Erwin Schulhoffs Tod an Hals- und Lungentuberkulose am 28. August 1942 konnte er nicht verhindern.
Schulhoffs Streichquartette entstanden lange vor diesem dunklen Schlusskapitel seiner Biographie, in den 1920er Jahren. „Begabt, gewandt, und auch sonst nicht viel anders, wie die anderen Stücke von Schulhoff. Wenn er nicht so viel schreiben würde, wäre ich für die Annahme. Aber so?“ Zu diesem Ergebnis kam ein Lektor der Universal Edition Wien, als ihm 1927 Erwin Schulhoffs Sonate für Violine und Klavier zur Prüfung vorgelegt wurde. Der Prager Komponist, der als Expressionist begonnen hatte und sich über Neue
Wiener Schule und Dadaismus zu dem meist beachteten Vertreter der tschechischen Moderne entwickelt hatte, war in seiner chamäleonhaften stilistischen Vielfalt und der Leichtigkeit seines Schaffens nicht nur den Lektoren suspekt. Auch die Kritiker kamen immer wieder zu demselben Ergebnis: Schulhoffs Musik sei zwar handwerklich hervorragend gemacht „der musikalische Inhalt“ sei aber „.Zum großen Teil Klischee.
Angesichts der aktuellen Schulhoff-Renaissance, die Gidon Kremer in Lockenhaus vor nunmehr 15 Jahren einleitete, erscheinen solche Urteile unbegreiflich. Schulhoff offenbart in fast jedem Werk eine unverwechselbare Originalität. Von großen Geistern der Epoche wie Thomas Mann, Béla Bartók oder Paul Hindemith wurde dies rückhaltslos anerkannt, und auch das heutige Publikum entdeckt in Schulhoff einen vergessenen Komponisten von kraftvoller Eigenart.
Die Fünf Stücke für Streichquartett waren jenes Werk, mit dem ihm auf dem IGNM-Fest 1924 in Salzburg der Durchbruch gelang. Die Widmung an den französischen Kollegen Darius Milhaud verrät, worum es ihm ging: prägnante Kürze der Sätze, suitenhafte Reihung, aphoristische Behandlung des Materials, eine freche Musik am Puls der Zeit.
Motorisch, von fast französischer Delikatesse sind die beiden Allegrosätze Nr. 1 und 3, ein ironischer Seitenhieb auf Wiener Walzer-Sentimentalität steht an zweiter, eine verhinderte Serenade an vierter Stelle. Im Finale hat Schulhoff seiner böhmischen Heimat ein volksmusikalisch inspiriertes Denkmal gesetzt. Dass die Verleger – die Wiener Universal-Edition wie der Schott-Verlag in Mainz – bei einer so zeitgeistigen Musik zugriffen, versteht sich von selbst – den Bedenken ihrer Lektoren zum Trotz.