Streichquartett E-Dur, op. 80 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Antonin Dvorak

Streichquartett E-Dur, op. 80

Quartett E-Dur für 2 Violinen, Viola und Violoncello, op. 80 (früher 27)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3490

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Andante con moto

3. Allegretto scherzando

4. Allegro con brio

Erläuterungen

2004
ANTONIN DVORAK
Streichquartett E-Dur, op. 80

Antonin Dvoraks Selbstverständnis gipfelte in dem Satz, er sei nicht mehr als ein “einfacher tschechischer Musikant”. Im Gegensatz zu den Bekenntniswerken seines Antipoden Smetana hielt er es in der Kammermusik mit volkstümlicher Melodik, Formen, die für sich selbst sprechen, und einem musikantischen Geist, der selbst durch seine grüblerischen Werke durchscheint. Zu diesen gehört das E-Dur-Streichquartett.

Auch Dvorak war Vater, und auch er musste um früh verstorbene Kinder trauem. Schon zwei Tage nach der Geburt wurde den Eltern im August 1876 die kleine Josefa wieder entrissen – ein Tribut an die hohe Kindersterblichkeit. Was im folgenden Sommer geschah, war dagegen eine Tragödie. Die Tochter Ruzena trank, nur einen Moment alleingelassen, aus einer Flasche mit Phosphorlösung, die man sie damals zur Streichholzherstellung im Haus hatte. An Dvoraks 36. Geburtstag, nur einen Monat später, starb sein Sohn Otakar an den Pocken. Es waren diese Ereignisse, die der Komponisten seinem E-Dur-Quartett arbeitete. 1876 begonnen und später umgearbeitet, bildet es das Gegenstück zum Stabat mater aus der gleichen Zeit.

Das Werk gehört zu jenen Streichquartetten aus Dvoraks mittlerer Periode, die man unter dem Schlagwort “romantisches Experimentieren” zusammenfassen könnte. Erst als sich sein Quartettstil in den 1890er Jahren “klärte”, schuf Dvorak seine drei klassischen späten Quartette: die Opera 96, 105 und 106. Was er vor dem Amerikanischen Quartett geschrieben hat, ist stilistisch schwer einzuordnen, zumal zwischen dem Opus 61 von 1881 und dem Opus 96 von 1893 eine Schaffenslücke von 12 Jahren klafft.

Die Opuszahlen entsprechen nicht immer der Chronologie der Werke. Als Dvoraks Verleger Fritz Simrock das E-Dur-Quartett unseres Programms zum Druck beförderte, gab er ihm die irreführend hohe Opuszahl 80, was den Komponisten ärgerte. Denn komponiert hatte er dieses Stück bereits 1876, also noch vor den drei übrigen mittleren Quartetten op. 34, 51 und 61. Ursprünglich war es sein Opus 27, das Folgestück zum g-Moll-Klaviertrio. Simrock erschien es immerhin noch 12 Jahre später würdig genug, um es herauszugeben. Das Joachim Quartett spielte abermals zwei Jahre später die reichlich verspätete Uraufführung.

Den eigenwilligen Zug ins Ausufernd-Romantische, den alle Werke jener Jahre um 1875 tragen, zeigt auch das E-Dur-Quartett, besonders im Kopfsatz, dem längsten und gewichtigsten. Er ist aus einer schlichten, absteigenden Melodie von zwei Takten kontrapunktisch entwickelt – diese Neigung zum Kontrapunkt, gepaart mit Chromatik in der ohnehin schon unangenehmen Tonart E-Dur, ist das Hauptmerkmal des gesamten Werkes. Dem über 50 Takte lang weitläufig ausgesponnenen Hauptthema tritt als Seitenthema eine cis-Moll-Melodie von Schubertscher Melancholie gegenüber, deren rhythmische Begleitfiguren folkloristisch anmuten.

Das Wesentliche an der Durchführung, die in zwei quasi-sinfonischen Höhepunkten kulminiert, ist die Kombination der Melodie des Hauptthemas mit dem Rhythmus aus der Begleitung des Seitenthemas. Darauf beruht auf die ätherische Coda, in der sich alles in einen Traum aufzulösen scheint.

Das a-Moll-Andante ist von tiefer Trauer geprägt. Wie Dvorak in seinem Stabat mater den Tod seiner Kinder beklagte und verarbeitete, so ist die Trauer über sie auch in die Mittelsätze des Quartetts eingeflossen. In dreiteiliger Form führt der Satz zunächst eine Dumka-Melodie aus, steht ihr dann einen sich bis zur Erregung steigernden Dur-Mittelteil gegenüber und verbindet schließlich beide zur Einheit.

Auch der tänzerische dritte Satz bleibt für Dvoraks Verhältnisse seltsam melancholisch – eine Valse triste mit noch dunklerem cis-Moll-Trio. Dass Dvorak auch im Finale zunächst in Moll verharrte, zeugt noch einmal vom Trauerton des gesamten Werkes. Erst allmählich schält sich aus der gis-Moll-Einleitung das kraftvolle E-Dur-Hauptthema heraus. Ihm stellt sich ein seltsam nervöses Seitenthema entgegen. Alle drei Bausteine ,Einleitung, Haupt und Seitenthema werden am Ende des Werkes miteinander kombiniert, zur Apotheose vereint.