Sextett für zwei Violinen, zwei Violen und zwei Violoncelli
Werkverzeichnisnummer: 3473
1. Lento – Allegro poco moderato
2. Andantiono – Allegretto scherzando
3. Allegretto poco moderato
2004
BOHUSLAV MARTINU
Streichsextett
„Freude und eine demütige, prätentionslose Haltung“ solle Musik auszeichnen – nicht mehr und nicht weniger forderte der tschechische Komponist Bohuslav Martinu. Sein tragisches Leben und Schaffen ist das traurige Schlusskapitel der tschechischen Nationalmusik, die mit Dvorak begann.
Martinu war der produktivste tschechische Komponist des 20. Jahrhunderts, wobei die Kammermusik mit 91 Werken einen prominenten Platz einnimmt. Ganz generell darf man ihn als Vollender der Traditionslinie Smetana-Dvorak-Janacek ansehen, die er im Sinne eines volksnahen Klassizismus aufgriff und mit Tendenzen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts anreicherte. Im einzelnen ist sein Schaffen stilistisch breit gefächert, und auch in der Kammermusik spiegeln sich die unterschiedlichsten Tendenzen wider – vom frühen Experimentieren mit dem Jazz über den französischen Neoklassizismus bis hin zum nostalgischen Spätstil.
Diese Stilvielfalt wird nur aus seiner Biographie heraus verständlich. Der erste Schritt aus dem engeren Kreis des Prager Musiklebens heraus war die Übersiedlung nach Paris 1923. Dort suchte er nach eigenem Bekenntnis „weder Debussy noch Impressionismus noch musikalischen Ausdruck, sondern die wahren Grundlagen der westlichen Kultur“. Er war nämlich im Gegensatz zu manchem tschechischen Neuerer der Meinung, dass der „eigene nationale Charakter“ der Tschechen sehr wohl zum Westen passe. In Paris suchte er „Ordnung, Klarheit, Maß, Geschmack, genauen, empfindsamen, unmittelbaren Ausdruck, kurzum: die Vorzüge der französischen Kunst, die ich stets bewundert habe, und die ich wünschte, inniger kennenzulernen.“
All dies schlägt sich in seinem 1932 an der Seine entstandenen Streichsextett nieder. Die hohe Emotionalität des Werkes dagegen scheint auf die Schatten der Kriegsjahre vorauszuweisen. Der Himmel über Europa begann, sich zu verdüstern. Acht Jahre später sollten Martinus ruhige Pariser Jahre ein jähes Ende finden, als die Deutschen kamen. Dem tschechisch-jüdischen Musiker blieb keine Alternative als die Flucht. Auf abenteuerlichen Wegen erreichte er Lissabon, wo seine Emigration lange am seidenen Faden hing. Als er im März 1941 endlich in New York ankam, waren alle Posten für Exilmusiker bereits besetzt. Martinu, der kein Englisch sprach und viele Partituren in Paris hatte zurücklassen müssen, wäre in dieser Situation hilflos gewesen, hätte ihm nicht der Dirigent Koussevitzky den Auftrag zu einer Sinfonie erteilt. Sie wurde ein großer Erfolg, weitere Kompositionsaufträge schlossen sich an. Dennoch blieb Martinus Leben auch in den USA von ständiger Sehnsucht nach der Heimat überschattet.
Schon im Streichsextett aus der glücklichen Pariser Zeit ist dieser wehmütige Zug zu spüren. Dass dem schnellen ersten Satz eine langsame Einleitung vorausgeht, kündet vom besonderen emotionalen Gewicht des Werkes. Das folgende Allegro streift in seiner robusten Rhythmik den Ton tschechischer Folklore und ist doch zugleich Zeugnis einer am französischen Geist geschulten Klarheit. Im Mittelsatz sind langsamer Satz und Scherzo ineinander verwoben: letzteres unterbricht als ausgelassener Tanz den gesanglichen Duktus des Andantino. Ein vitales Allegretto beschließt das Werk in fast ausgelassener Manier. Die Schatten der Einleitung und einer düsteren Zeit scheinen gebannt.