"Salve Regina", HWV 241 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Georg Friedrich Händel

"Salve Regina", HWV 241

„Salve Regina“, HWV 241, für Sopran, zwei Violinen, Violoncello und obligate Orgel

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3401

Satzbezeichnungen

1. Salve Regina (Largo)

2. Ad te clamamus (Adagio)

3. Eia ergo (Allegro)

4. O Mater, o pia (Adagissimo)

Erläuterungen

2004
G. F. HÄNDEL
Salve Regina

Es soll am Heiligabend des Jahres 1146 gewesen sein, als der Hl. Bernhard von Clairvaux den Dom zu Speyer betrat und einer Prozession mit dem Gesang des „Salve Regina“ beiwohnte. Bewegt von dem feierlichen Augenblick, sollen ihm jene drei Anrufungen der Jungfrau eingefallen sein, die seitdem den Schlussvers der Antiphon bilden: „O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria“.

Als der junge Händel diese Verse mehr als 500 Jahre später vertonte, wusste er nichts von der heiligen Legende. Den liberalen Lutheraner muss der Heiligenkult der Katholiken eher befremdet haben, und vergeblich versuchten ihn die römischen Kardinäle, auf ihre konfessionelle Seite des christlichen Kosmos zu ziehen. Dennoch vertonte Händel die Verse, die angeblich vom Gründer des Zisterzienserordens stammen, in so tief inbrünstiger Weise, wie es kaum einem seiner katholischen Kollegen gelang: ein demütig sich verneigendes Motiv des Soprans im Dialog mit den beiden Geigen, ein lang ausgehaltenes „Virgo“ über changierenden Dissonanzen, ein Verschwinden der Musik im Hauch des flehentlichen Gebets.

Händels Salve Regina ist die Krone auf einem zwar kleinen, aber umso großartigeren Corpus von katholischer Kirchenmusik, den er in seiner römischen Zeit geschaffen hat. Während seine großen Psalmvertonungen (Dixit Dominus, Nisi Dominus, Laudate Pueri) für die römische Karmeliterkirche S. Maria di Monte Santo an der Piazza del Popolo bestimmt waren, wo sie im Juli 1707 feierlich aufgeführt wurden, hat er das kleine Salve Regina schon einige Wochen vorher, eben zu Pfingsten 1707 in Vignanello vollendet. Wir wissen dies deshalb so genau, weil die Primadonna des Marchese Ruspoli, Margharita Durastanti, die Abschrift des Werkes durch den Kopisten Antonio Angelini im Juni 1707 in Vignanello durch ihre Unterschrift beglaubigte. Auch weitere neue Händelwerke wurden damals vom Hauskopisten des Marchese durch das Abschreiben der Partitur und das Ausschreiben der Stimmen aufführungsreif gemacht. Sie alle standen auf dem musikalischen Festprogramm, das der Marchese sich und seinen Gästen zu Pfingsten in Vignanello kredenzte.

Die Rechnungen des Notenkopisten Angelini waren es übrigens, die der Forschung in den 1960er Jahren endlich den Schlüssel für eine Chronologie von Händels italienischen Jahren und Werken an die Hand gaben. Im Ruspoli-Archiv kamen auch Quittungen über die Unsummen zu Tage, die der Marchese zur Stillung von Händels Appetit, für seinen Eisbedarf und die Miete seines Betts von einem jüdischen Händler ausgab – liebenswerte Details aus dem römischen Leben des „Sassone“. In jüngster Zeit sind Untersuchungen zu den von Händel benutzten Notenpapieren und ihren Wasserzeichen, zur Rastrierung der Partituren und zur Entwicklung seiner Schrift hinzu gekommen, so dass man nach vierzig Jahren Forschung endlich ein klareres Bild über seine italienische Zeit gewonnen hat.

Zurück nach Vignanello und zum Salve Regina. Der Grund, warum Händel diese Antiphon und zwei lateinische Motetten für den ansonsten nicht übermäßig frommen Marchese Ruspoli vertonte, war die schon erwähnte Jubilarfeier des Örtchen Vignanello und ihres Heiligen. Nach der feierlichen Einweihung des neuen Altarbildes in San Sebastiano am Pfingstmontag wurde auch der folgende Trinitatissonntag feierlich begangen. Ab diesem Sonntag bis zum 1. Advent wird in der Vesper das Salve Regina gesungen. So lässt sich zwanglos der Anlass von Händels Komposition herleiten.

Darüberhinaus freilich war das Salve Regina eine beliebte, im ganzen Kirchenjahr gebräuchliche Andachtsmusik, und als solche muss man auch Händels Vertonung verstehen. Ihre intime Besetzung – zwei Violinen, obligates Violoncello, Orgel und Sopran – hebt ganz auf die kleinen Privatkapellen des römischen Adels ab. Sie ist zudem ein wunderbares Zeugnis für Händels Musizieren mit seinen römischen Freunden: den Geigern Silvestro Rotondi und Pietro Castrucci, dem Cellisten Giuseppe Perone und der Mezzosopranistin Durasastanti. Händel selbst spielte den Orgelpart, wobei er sich im dritten Satz ein virtuoses Solo in die geläufigen Finger schrieb.

Was die Musik des Salve Regina betrifft, so spricht sie eine anrührend affektvolle Sprache: In der Anrufung der Himmelskönigin zu Beginn vereinen sich die ständig wiederholten, flehenden Sext- und Sekundmotive der Violinen mit lang ausgehaltenen „Salve“-Rufen des Soprans zum Gestus des Gebets. Die Attribute der Jungfrau – mater misericordiae, spes nostra, dulcedo – werden im Fauxbourdonsatz, also in Sextakkordketten, beschworen. Händels Dissonanzbehandlung ist hier besonders subtil, von Alessandro Scarlatti inspiriert. Das „Ad te clamamus“ des zweiten Satzes hat Händel ganz im Sinne der musikalischen Rhetorik mit einer „exclamatio“ verbunden, hier einer kleinen None aufwärts! Die vom Leiden gezeichnete Melodie löst sich alsbald in pure Seufzer auf: „ad te suspiramus gementes et flentes“. Das Cembalosolo des „Eia ergo“ sorgt für einen Moment der Entspannung und der Virtuosität für Sängerin wie Instrumentalisten. Der Schluss ist – wie oben beschrieben – ganz Demut im Tempo Adagissimo.