“Cantique de Jean Racine”, op. 11
Werkverzeichnisnummer: 3371
2004
GABRIEL FAURÉ
Cantique de Jean Racine, op. 11
Fauré, der geistige Vater der Impressionisten, ging selbst bei einem renommierten Musikprofessor seiner Zeit in die Lehre: bei Louis Niedermeyer, der in der Rue Neuve-Fontaine-Saint-Georges in Paris eine Musikschule unterhielt. In elf Studienjahren (1854-65) gewann Fauré dort prägende Eindrücke für sein ganzes Leben. Niedermeyer war nicht nur ein fanatischer Apologet des 16. und 17. Jahrhunderts und hatte zur Wiedererweckung dieser Epochen die Société de musique vocale religieuse et classique gegründet, sondern lehrte auch in seinem Institut progressiver als die hehren Professoren des Nationalkonservatoriums in Paris. Aus der Beschäftigung mit der modalen Kirchenmusik der Renaissance gewann Niedermeyer die Erkenntnis, dass die Kirchentöne für mehr taugten als für den gregorianischen Gesang. Er gestattete seinen Schülern weit mehr Freiheiten der Harmonik in modaler und chromatischer Hinsicht als seine Konkurrenz am Conservatoire.
Den jungen Fauré hat dies auf den Weg einer ganz eigenen sozusagen post-romantischen Harmonik geführt. An Chorwerken hat er bei Niedermeyer nachweislich Händels Judas Maccabaeus und Haydns Sieben letzte Worte studiert. An solchen Vorbildern orientierte er sich, als er gegen Ende der Studienzeit zwei Chorwerke schuf: den lateinischen Psalm 136 Super Flumina Babylonis und den Cantique de Jean Racine, mit dem er 1865 den ersten Preis für Komposition gewann. Fauré hat dieses Stück später gemeinsam mit seiner 1. Violinsonate veröffentlicht und damit seine beiden wichtigsten Frühwerke dem Publikum vorgestellt. Die Klarheit des Chorsatzes, die Einfachheit der Imitationen und der Ausdruck von quasi poetisch-gedämpfter Schönheit nehmen bereits die Aura seines Requiems vorweg.