"Es steht ein Lind" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johannes Brahms

"Es steht ein Lind"

Volkslied: “Es steht ein Lind”

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3360

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

2004
JOHANNES BRAHMS
Fünf Volkslieder

Brahms’ lebenslange Beschäftigung mit dem Volkslied ist häufig beschrieben worden, von seinen Biographen wie von Musikwissenschaftlern unserer Tage. Zum Synonym für das deutsche Volkslied wurden für ihn wie für seine Zeitgenossen die Sammlungen von Kretzschmer-Zuccalmaglio Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen (1883) und C.F. Becker Lieder und Weisen vergangener Jahrhunderte (1849). Beide entdeckte Brahms 1854 in der Bibliothek der Schumanns, und sie bildeten fortan wie auch die Sammlung Des Knaben Wunderhorn sein Vademecum für melodische Inspiration.

Später vertiefte seine Freundschaft mit Volksliedforschern und Musikwissenschaftlern das Verständnis und die Sammelleidenschaft. Ihm wurde das Problem des echten und unechten Volksliedes bewusst. Zweifel an seinen eigenen Bearbeitungen waren die Folge. So meinte er von seinen Chorfassungen der Volkslieder, die in den 1860er Jahren entstanden, er habe die Melodien darin “verwustet”, sprich: mit zu viel Kunst ausgearbeitet. Nach der Drucklegung des ersten Bandes dieser Volkslieder für Chor ließ er ein geplantes Großprojekt in diesem Genre fallen. Seine Versuche, Volkslieder in Solofassungen “etwas zu bekleiden”, nannte er in einem Brief an den Bachforscher Philipp Spitta 1894 sogar ..bedenklich”. Nichtsdestotrotz ist Brahms als Volkslied-Bearbeiter jener wunderbar entspannte, lächelnde, mild menschliche Musiker, den man in vielen gestrengen Werken aus seiner Feder nur zwischen den Zeilen erkennt. “Mit soviel Liebe und Verliebtheit habe ich noch nie etwas zusammengeschrieben, und ich konnte ja ungeniert verliebt sein in etwas Fremdes,” schrieb er seinem Verleger Fritz Simrock.

Das schwäbische Volkslied “Da unten im Tale läuft’s Wasser so trüb” mag die Breite der Fassungen verdeutlichen, die Brahrns von seinen geliebten Volksweisen im Laufe seines Lebens anfertigte. Er bearbeitete es zuerst um 1860 dreistimmig für den Hamburger Frauenchor. Die herrliche Melodie mit ihrem charakteristischen Rhythmus und der Wendung zur Sexte hatte es ihm ebenso angetan wie der wehmütige Text, der von Trennung redet. 1863/64 holte Brahms das Lied für die Wiener Singakademie wieder hervor und setzte es vierstimmig für gemischten Chor. Die letzte Fassung für Solostimme und Klavier findet sich in seiner Sammlung Deutsche Volkslieder. Mit Clavier-Begleitung, die er in sieben Heften 1894 bei seinem Verleger Simrock erscheinen ließ. Es handelt sich um jene mit soviel Liebe “zusammengeschriebenen” Fassungen, deren wundervoll brahmsschen Klaviersatztilrnan Hoppstock ftirgitarre arrangierte. Ganz am Ende seines Schaffens wollte Brahms mit diesen Bearbeitungen die Summe seiner Beschäftigung mit dem Volkslied ziehen – und seinem Ärger über die dümmliche Volkslied-Sammlung Liederhort von Böhme Luft machen.