„Immer Schweigender“ für zwei Violinen, Viola und Violoncello
Werkverzeichnisnummer: 3333
1. Adagio
2. Andante
3. Adagio sostenuto
2004
JOHANNES MOTSCHMANN
„Immer schweigender“ nach Benn
Johannes Motschmann wurde 1978 in Hamburg geboren. Mit neun Jahren erhielt er ersten Klavierunterricht und begann bald darauf zu komponieren; zudem lernte er Posaune und Orgel. Seinen Wehrdienst leistete er als Cembalist im Kammerorchester des Stabsmusikkorps. Er studierte drei Jahre lang Komposition bei Jörg Herchet, Klavier bei Gunter Anger, sowie Musiktheorie bei Clemens Kühn und Ludwig Holtmeier an der Musikhochschule in Dresden. Neben dem Studium arbeitete er als Inspizient an der Semperoper und als Komponist für Filmmusik beim MDR. Seit Herbst 2002 setzt er sein Kompositionsstudium bei Wolfgang Rihm an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe fort.
Immer schweigender nach einem Gedicht von Gotfried Benn wurde im März 2004 vollendet und wird im Rahmen dieses Projekts uraufgeführt. Der Komponist beschreibt, wie ihn bei der Arbeit an diesem Werk tiefe Skepsis gegen jede Instrumentalmusik über Literatur befallen habe: „Ursprünglich konzipiert als Vertonung des Gedichtes von Gottfried Benn, dem die Komposition ihren Titel verdankt, standen musikalische Formungsprozesse zunächst nicht im Vordergrund. Es lag mir eher daran, eine atmosphärische Klangumgebung zu jenem Text zu kreieren. Dies misslang, da eine Vertonung wohl mehr ist als eine klangliche Untermalung. Andererseits bemerkte ich, dass ich bei detaillierter musikalischer Deutung des Textes ständig den musikalisch logischen Fortgang der Musik hätte „korrigieren“ müssen. Die Musik darf ihre Eigengesetzlichkeit nicht aufgeben, wenn sie nicht bloß Beiwerk und Kulisse sein will. So änderte ich meine Vorgehensweise erneut, damit ein autonomes Musikstück entstehen konnte. Nun ist aber wieder der Text, den es ja eigentlich beschreiben sollte, für das Verständnis der Musik überflüssig geworden – weshalb das Gedicht hier folgerichtig auch nicht abgedruckt ist.“
Zum Inhalt der Komposition bemerkt Motschmann: „Die beiden ersten Teile handeln von räumlichen und zeitlichen Entfernungen, die im musikalischen Verlauf überwunden werden. Im Laufe des ersten Satzes vollzieht sich eine Abwärtsbewegung von cis-Moll nach c-Moll. Diese bedeutet zum einen die Verräumlichung von Harmonie durch die Abbildung der weitesten Distanz im Quintenzirkel (wenn man von enharmonischen Verwechslungen absieht), zum anderen die kürzeste Distanz zwischen zwei gleich strukturierten Akkorden im chromatischen Total. Somit finden sich kürzeste und weiteste Distanz im selben Ort wieder. Im zweiten Satz wird der lineare Zeitverlauf durch Permutation einzelner Melodieteile aufgehoben.
Der letzte Satz ist im Gegensatz zu den ersten beiden eher statisch. Je langsamer eine Melodie voranschreitet, desto mehr scheint sie sich in der Harmonik der begleitenden Stimmen aufzulösen. Melodie und Harmonie sind dann kongruent. Wenn man Harmonie als räumlich, Melos hingegen als zeitlich begreifen will, suggeriert diese Kongruenz den Eindruck, man sei angekommen. Die Musik hat einen Ort. Sie strebt nirgendwo mehr hin und kann jederzeit absetzen. Pausen sind möglich. Diese Pausen sind das Bindeglied zur akustischen Alltagswelt. Die Musik bereitet ihr eigenes Schweigen vor. Vielleicht dasselbe Schweigen von dem auch das Gedicht handelt, das ich n i c h t vertonen konnte.“