“Palmström” (Studien über Zwölftonreihen) nach Christian Morgenstern
Werkverzeichnisnummer: 3298
1. Venus Palmström
2. Notturno
3. L’art pour l’art
4. Galgenbruders Frühlingslied
5. Couplet von der Tabetenblume
Unter den Dichternamen, die man im Berlin der 1920er Jahre bevorzugte, trat einer am deutlichsten hervor: Christian Morgenstern. Er wurde für die junge Generation nach dem Ersten Weltkrieg zum Idol, weil er nichts überhöhte, alles in Frage stellte und die Absurdität des Daseins in Worte fasste. Nicht nur Paul Hindemith verfiel dem Hintersinn seiner Wortschöpfungen, sondern auch der politisch ganz anders denkende Hanns Eisler, wie sein Morgenstern-Zyklus “Palmström” belegt.
Eisler galt im Milieu der Zwanziger als Radikaler, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Politisch engagierte er sich in der Arbeiterbewegung, schrieb Artikel für die Zeitschrift “Rote Fahne” und arbeitete in der Agitpropgruppe “Das rote Sprachrohr” mit. Musikalisch verfocht er das Komponieren mit zwölf Tönen, wie er es zwischen 1919 und 1923 bei Arnold Schönberg und Anton Webern in Wien gelernt hatte. In Berlin stand er damit 1926, im Jahr von “Palmström”, fast allein. Mitstreiter war sein Lehrer Schönberg, den es ebenfalls vom trostlosen Wien der nach-habsburgischen Ära ins pulsierende Berlin der “Goldenen Zwanziger” gezogen hatte.
Vor diesem Hintergrund wird die Anlage von “Palmström” verständlich: es handelt sich um “Studien über Zwölftonreihen”, wie es Eisler nannte. Die Singstimme rezitiert die Morgenstern-Gedichte in Form des “gebundenen Melodrams”, jener in Rhythmus und Tonhöhe fixierten Mischform aus Sprechen und Singen, die Schönberg ein Jahrzehnt zuvor für seinen “Pierrot lunaire” kreiert hatte. Auch in der Instrumentalbesetzung mit Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello gehört “Palmström” in das weite Repertoire der “Pierrot”-Nachfolge. Wie dort ist die Singstimme auch hier in ein dichtes kontrapunktisches Netz aus Instrumentallinien verwoben, von denen jede auf einer Zwölftonreihe beruht. Dabei korrespondieren die Klangfarben der Instrumente zur Wortakrobatik des Textes, wenn etwa im “Notturno” sich die Stimme in Triolen verfängt, die selbst wie “packpapierne Kugeln” wirken, oder wenn in “L’art pour l’art” der Künstler Korf sich seines Werkes nicht mehr entsinnt und dabei auch den Instrumenten die Musik gleichsam abhanden kommt “Der Sprecher schüttelt mit nachdenklicher Miene den Kopf,” heißt es am Ende mit deutlicher Ironie.
Die übrigen Sätze, “Venus Palmström”, “Galgenbruders Frühlingslied” und “Couplet von der Tapetenblume”, sind im gleichen sarkastischen Tonfall gehalten, den gerade die Rhythmen – plötzlich abreißend, bissig akzentuiert oder ironisch nachschlagend – unterstreichen.