Tanzsuite | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Karl Amadeus Hartmann

Tanzsuite

Tanzsuite

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3292

Satzbezeichnungen

Lustig – Langsamer – Lustig
Sehr langsame Viertel – Äußerst lebhaft
Ruhige Viertel
Lebhaft, sehr energisch (Marsch)

Erläuterungen

2004
KARL A. HARTMANN
Tanzsuite

Karl Amadeus Hartmann teilt mit Mozart nicht nur den zweiten Vornamen, sondern auch die Liebe zu München. Er war geborener Münchner und konnte sich – wie er selbst einmal schrieb – “nie von dieser Stadt lösen”. Schon vor dem Krieg nahm er lebhaft an den progressiven Zirkeln des Münchner Musiklebens Anteil und gab ihnen nach dem Krieg durch die Gründung der Musica Viva die äußere Form. Während er dort zahllosen jungen Komponisten Aufführungsmöglichkeiten verschaffte, war er selbst von den Nazis mit Aufführungsverbot belegt worden, eine innere Emigration, die den Zyklus seiner großen Sinfonien hatte entstehen lassen.

Anders, als man es aus der Perspektive dieser tiefen, von Krieg und Leid geprägten Werke vermuten würde, begann Hartmann seinen Lebensweg im frechen Zeitgeist der “Goldenen Zwanziger”, der auch in München fröhliche Urständ feierte: “Die Epoche der Zwanziger Jahre drückte meinem Leben den Stempel auf. In München gab es im Publikum Zirkel – es waren wenige -, die für neue und neueste Kunst aufgeschlossen waren. Futurismus, Dada, Jazz und anderes verschmolz ich unbekümmert in einer Reihe von Kompositionen. Ich schlug mich nacheinander zu verschiedenen Strömungen, die sich in jenen erregenden Jahren ebenso schnell an der Spitze der Moderne ablösten wie heute. Ich bediente mich der Schemata neuer Ideen, die blitzartig an den differenten Punkten der Welt auftauchten, und stürzte mich in die Abenteuer des geistigen Umbruchs, vielleicht nicht ganz frei von dem selbstgefälligen Gefühl, dabei gewesen zu sein”, schrieb Hartmann in seiner autobiographischen Skizze.

In den Konzerten der sogenannten “Juryfreien”, einer progressiven Münchner Konzertvereinigung, erklangen die frühesten Kammermusikwerke Hartmanns: die Tanzsuite für Bläserquintett und die Burleske Musik für Bläser mit Klavier und Schlagzeug. Schon allein klanglich zeugen sie vom Zeitgeist: von jener neuen Begeisterung fürs Kantige und Herbe, wie sie auch Hindemiths Bläsermusiken jener Jahre auszeichnet. In der Tanzsuite verwendete Hartmann nicht das klassische Bläserquintett aus Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, sondern die weit herbere Paarung von zwei Holz- und drei Blechbläsern. Den beiden “Oberstimmen” Klarinette und Trompete, stehen in der Mitte und im Bass Horn, Fagott und Posaune gegenüber.
Neben dem martialischen Klangcharakter der Blechblasinstrumente werden auch ihre U-Musik-Valeurs, etwa mit jazzigen Dämpfern im zweiten Satz, ausgespielt. Bei ihrer Uraufführung 1931 fand die Tanzsuite “den Beifall der Kritik wegen ihrer Instrumentenbehandlung, besonders aber wegen der Fähigkeit, den höchst idiomatischen Satz für die verschiedenen Solobläser zur Wirkung zu bringen und die Instrumente aufeinander abzustimmen,” wie Andrew McCredie schrieb. Auch im Stil sei sie “repräsentativ für den Kosmopolitismus der Epoche”. Das Stück suche ebenso, “das Ideal der Spielmusik fortzusetzen”, wie es die leichte Muse der 30er Jahre widerspiegele. Die dreiteiligen Miniaturformen der Sätze und die suitenartige Reihung teilt die Tanzsuite mit der Burlesken Musik. “Wie Hindemiths Bläserstücke aus dieser Periode enden beide Werke mit einem Marsch, während ihre ersten Sätze den Charakter einer Intrada haben.” (McCredie) Innerhalb dieses Rahmens entfalten sich die vier Sätze als launige Suite im besten Sinne: “Lustig” gibt sich der Kopfsatz, eine köstliche Mischung aus baiuvarischem Blaskapellen-Gehabe und Quick-Step-Anklängen. Im Trio erhält die Trompete ihr ironisches Solo. Im Rhythmus eines “Zwiefachen”, also wechselnd zwischen Dreier- und Zweiertakt, wirkt der zweite Satz eher wie ein Walzer von Betrunkenen, in dem Klarinette und Fagott über dem gedämpften Klang der Blechbläser mehr torkeln denn tanzen. Im Mittelteil zeugen Posaunen-Glissandi, rasend schnelles Tempo und Synkopen vom Einfluss des Jazz. Ein Trompetensolo mit Dämpfer und der Rhythmus der Polonaise geben dem dritten Satz Intermezzo-Charakter vor dem schnellen Marschfinale. Hier hat der junge Hartmann noch einmal hemmungslos den grellen, schreienden Klangvaleurs der 30er Jahre gefrönt.