Airs de cour
Werkverzeichnisnummer: 330
1. Récit d’Orphée
2. Récit d’Apollon
3. Récit d’Amphyon
4. Dialogue de l’Hyver, et de la Nuit
Höfische Gesänge – Airs de cour – aus dem Frankreich des 17. Jahrhunderts können als Pendant zu den italienischen Monodien und englischen Lautenliedern der Zeit gelten. Es handelt sich um intime Stücke, die “durch ihren subtilen Charme zu den anziehendsten lyrischen Schöpfungen ihrer Epoche gehören; sie verhalten sich zu den Liedern anderer Länder in ähnlicher Weise wie Lieder von Fauré oder Debussy zu den großen deutschen Kunstliedern” (Nigel Fortune). Die Wurzeln der Gattung, die erblühte, lange bevor Ludwig XIV. geboren wurde, liegen im 16. Jahrhundert, in der Kultur der Renaissance. Diese führte in Frankreich zu radikalen Versuchen, antike Versmaße auf die Dichtkunst und Musik zu übertragen. Jean-Antoine de Baif propagierte dieses Kunstsystem der Musique mesurée à l’antique ab 1570 in einer eigenen Académie, die die französische Musik revolutionierte. Alle Gesänge bei Hofe, ob lyrischer Art oder im Rahmen der beliebten Hofballette (Ballets de cour), orientierten sich in den folgenden Jahrzehnten an diesem Ideal, so auch die Airs de cour. Die ersten Stücke dieses Namens erschienen 1608 im Druck unter dem Titel Airs de différents autheurs mis en tablature de luth, eine Sammlung, auf die bis 1643 15 weitere folgten.
Antoine Boesset war – neben seinem Schwiegervater Pierre Guédron- einer der ersten Meister der Gattung. Was Boesset betrifft, stimmte noch 1668 “jedermann darin überein, daß er die Grundlagen für die Airs schuf und daß ihm die Ehre zukam, schöne Lieder geschrieben zu haben” (Bacilly). Wie sein Schwiegervater war er bei Hofe tätig. Sein stetiger Aufstieg gipfelte 1623 in der Ernennung zum Surintendant de la musique du roi durch Ludwig XIII. Da dieser – wie sein Sohn Ludwig XIV. – gerne selbst als Tänzer auftrat, gestalteten sich die Ballets de cour ab 1617 immer aufwendiger und großartiger. Boesset und Guédron lieferten dafür die Musik. Antike Mythen um die großen Sänger Orpheus und Amphyon sowie Orpheus’ Vater Apollo wurden teils durch dekorativen Tanz, teils durch Gesang ausgeschmückt. Die Sologesänge trugen den Titel Récit, Duette den Titel Dialogue, um ihren dramatischen Charakter zu unterstreichen. Sie hatten dennoch wenig mit dem frühbarocken Recitativo und Dialogo der Italiener zu tun, sondern folgten weiterhin den Idealen einer Musik in antiken Metren. Die eigentlichen Airs de cour hatten keinen mythologischen Inhalt. Sie beruhten auf Liebesgedichten aus der Tradition der Pléiade, die in oft unverblümt erotischen Metaphern intime Situationen schilderten. So bittet etwa in dem anonymen C’est un amant, ouvrés la porte ein Liebhaber “voller Liebe und Treue” darum, von seiner Geliebten eingelassen zu werden.