"Hommage à R. Sch." | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

György Kurtág

"Hommage à R. Sch."

“Hommage à R. Sch.” für Klarinette, Viola und Klavier

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3261

Satzbezeichnungen

1. Vivo (Merkwürdige Pirouetten des Kapellmeisters Johannes Kreisler)

2. Molto semplice, piano e legato (Eusebius: der begrenze Kreis…)

3. Feroce, agitato (… und wieder zuckt es schmerzlich Florestan um die Lippen…)

4.Calmo, scorrevole (Ich war eine Wolke… jetzt scheint die Sonne)

5. Presto (In der Nacht)

6. Adagio, poco Andante (Abschied: Meister Raro entdeckt Guillaume de Machaut)

Erläuterungen

2003
GYÖRGY KURTÁG
Hommage à R. Sch.

György Kurtág und György Ligeti bilden das Zweigestirn der Neuen Musik Ungarns. Die beiden fast gleichaltrigen Komponisten haben den Kosmos der Moderne in zwei diametral entgegengesetzte Richtungen ausgelotet – Ligeti ins Klanglich-Vielschichtige und Breite bis hin zur Oper, Kurtág in der Miniatur, der mikrobisch kleinen Form. Beiden gemeinsam ist der Rückbezug zur Musikgeschichte – in deutlicher Abgrenzung von der antiklassischen Haltung der westlichen Avantgarde. Wie Ligeti mit seinem Trio 1982 eine Hommage á Brahms schrieb, so hat Kurtäg in seiner Hommage à R. Sch. von 1990 einem anderen Romantiker ein Denkmal gesetzt: Robert Schumann.

Im Gegensatz zum Emigranten Ligeti, der seine Karriere im Westen machte, ist der aus Rumänien stammende Kurtág in Ungarn geblieben. Als Professor an der Musikakademie in Budapest prägte er für fast 20 Jahre (1967-1986) das Verständnis für die Moderne bei seinen Klavier und Kammermusikstudenten. Beim Bartók-Festival in Szombatliely und anderen Projekten gab er wesentliche Impulse für eine offene Haltung Ungarns gegenüber dem Westen. Sein Schaffen zeigt eine an Anton Webern geschulte Konzentration auf Mikroformen, die der Musik kleinste Übergänge und knappe Gesten abgewinnt. Dabei verbindet er Bartók als “Muttersprache” mit einer frei gehandhabten seriellen Technik und Rückbezügen zur Vergangenheit.

Im Genre der Hommage hat Kurtág meistens an befreundete Kollegen erinnert. Nur im Falle des über alles geliebten Robert Schumann griff er auf ein Modell aus der Romantik zurück. Es ist das Genre des Fantasiestücks, das er hier wieder aufleben ließ. In der Besetzung lehnte er sich an Schumanns Märchenerzählungen für Klarinette, Viola und Klavier an, im Inhalt an dessen Klaviermusik, in der das dreifache Alter ego des Komponisten sein Unwesen treibt: der tatkräftige Florestan, der träumerische Eusebius und der besonnene Meister Raro. Allen drei Gestalten begegnen wir in den sechs kurzen Sätzen von Kurtágs Hommage wieder. An den Anfang stellte der Komponist eine weitere schumanneske Figur: E.T.A. Hoffmanns Kapellmeister Kreisler, den Schumann in seinen Kreisleriana verewigte.

Das Stück beginnt mit “merkwürdigen Pirouetten des Kapellmeisters Kreisler”, an die sich Eusebius anschließt. Sein kurzer Satz trägt den Titel “Der begrenzte Kreis” und verarbeitet ein früheres Lied Kurtágs in Kanonforn. In den Sätzen 3 bis 5 sind es Florestan, ein Zitat des ungarischen Dichters Attila József und das erste Stück aus Schumanns Fantasiestücken Opus 12, die den Sätzen ihre Titel gaben. Der sechste und letzte Satz ist der längste und evoziert mit der Überschrift “Abschied:- Meister Raro entdeckt Guillaume de Machault” ein besonders komplexes musikhistorisches Programm: Schumanns Meister entdeckt die Ars Nova des 14. Jahrhunderts. Die strenge Rhythrnik des Satzes lehnt sich an die Isorhythmen Machauts an, zugleich entsteht der Eindruck eines romantischen Trauerkondukts. “Strenge Intervallfolgen im tiefen Register des Klaviers offenbaren eine gemessene Passacaglia, aber auch den Genrecharakter eines Trauermarschs, eines ‘schweren Kondukts’ (G- Mahler), der sich mächtig steigert und am Ende ins Nichts zurücksinkt.” (Hartmut Lück) Diesen Abschiedsduktus unterstreicht der Klarinettist am Ende mit einem einzigen Ton auf der Großen Trommel.