An die Liebe: „Von dir, o Liebe, nehm‘ ich an den Kelch der bittern Leiden“
(Johann Georg Jacobi)
Werkverzeichnisnummer: 3248
2002
HERMANN ZILCHER
Fünf Lieder
In seiner Wahlheimat Würzburg ist die Erinnerung an Hermann Zilcher noch lebendig. Der Geheimrat, Komponist, Pianist und Dirigent war für ein Vierteljahrhundert 1920-1944 Direktor des Würzburger Konservatoriums, das heute nach ihm benannt ist. Außerdem rief er – nach einem von ihm dirigierten Orchesterkonzert im Kaisersaal der Residenz 1921 – das Mozartfest Würzburg ins Leben, das zu den traditionsreichsten Musikfestivals in Deutschland gehört.
Als Komponist ist der 1881 in Frankfurt Geborene heute so gut wie vergessen – notwendigerweise, möchte man sagen, hatte seine Musik doch posthum gleich mit zwei Vorurteilen zu kämpfen: zum einen mit dem Misstrauen gegen die in Nazi-Deutschland verbliebenen Komponisten, zum anderen mit der Verachtung nachromantisch-akademischer Musik. Dass diese in Deutschland bis 1949 eine eigene Stilrichtung bildete, hat man in der Bundesrepublik unter dem Diktat der Avantgarde verdrängt. So blieb Zilchers Schaffen das Produkt eines belächelten Außenseiters. In seiner Musik – Sinfonik, Kammermusik, Opern und Liedern – hat er sich dezidiert zu den Formen und der Musiksprache der Brahmstradition bekannt.
Heute scheint sich die Einstellung zu Zilcher und seiner Generation zu wandeln. In seiner Kammermusik, etwa im a-Moll-Trio für Klarinette, Cello und Klavier, beginnen junge Interpreten dankbare Musik der „Spätest-Romantik“ für sich zu entdecken. Und auch im Lied regt sich eine sanfte Zilcher-Renaissance. Wie eingangs angedeutet lässt sich gerade aus der Geschichte des deutschen Liedes das lange Fortwirken der Romantik nicht wegleugnen. Komponisten wie Zilcher und seine Zeitgenossen Knab, Weismann oder Trunk haben der großen Tradition des romantischen Kunstliedes späte Blüten hinzugefügt. Unter diesen Vorzeichen darf man in Zukunft manch schöne Zilcher-Entdeckung im Konzertsaal und auf CD erwarten.
Konrad Jarnot hat dazu seinen Beitrag schon geleistet: Im letzten Jahr erschien von ihm eine ganze CD mit Liedern von Zilcher (bei Orfeo). Details zur Entstehungsgeschichte der Werke sind dem Booklet zu dieser Aufnahme zu entnehmen. Hier seien nur einige allgemeine Hinweise gegeben.
Zilcher teilte zwar stilistische Eigenheiten mit Brahms – „den Strom volkstümlich warmer Melodik, koloristische und harmonische (nie atonal werdende) Feinarbeit, Naturbeseeltheit“, wie es Reinhold Sietz nannte -, doch die poetischen Skrupel des großen Vorbilds teilte er nicht. Zilcher griff gerne und oft zu Goethe, Mörike, Heine und anderen. Er scheute sich nicht, auch solche Gedichte zu benutzen, die zuvor schon mehrmals vertont worden waren. Davon zeugen in unserer Auswahl An die Entfernte und Um Mitternacht.
Liebeslyrik steht ungebrochen im Zentrum seines Liedschaffens. Eine Annäherung an zeitgemäße Stoffe findet nicht statt. Die Welt Zilchers blieb bildungsbürgerlich geschlossen und dem klassischen Kanon verpflichtet wie die seines zeitweiligen Schülers Carl Orff. Stilistisch leuchtet neben dem Vorbild Brahms auch französisch-russischer Einfluss hervor. Neobarocke Neigungen, wie sie Zilcher in seiner Rameau-Suite für Klaviertrio auslebte, beeinflussten seine Formauffassung und seinen Klaviersatz.