Partia Nr. 3 A-Dur aus Harmonia Artificioso-Ariosa | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Heinrich Ignaz Franz Biber

Partia Nr. 3 A-Dur aus Harmonia Artificioso-Ariosa

Partia Nr. 3 A-Dur aus Harmonia Artificioso-Ariosa In septem Partes vel Partias distributa

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3244

Satzbezeichnungen

1. Praeludium.Allegro

2. Allemande

3. Amener.Presto

4. Balletto

5. Gigue

5. Ciacona. Canon in unisono

Erläuterungen

2002
H.I.F. BIBER
Harmonia artficioso-ariosa

Wenn ein Komponist Anspruch darauf hätte, der „Corelli Deutschlands“ genannt zu werden, dann Biber. Kein anderer Geiger nördlich der Alpen hat so systematisch das Areal barocken Violinspiels durchforstet, kein zweiter hat so viel für die Etablierung der Violinsonate und der Triosonate getan wie er. Eigentlich war es ein Zufall, dass der Sohn eines gräflich-liechtensteinischen Jägermeisters aus Wartenberg in Böhmen später bei einem Grafen jenes Geschlechts seine Karriere begann. Der musikliebende Karl von Liechtenstein-Kastelkorn, Bischof von Olmütz, berief den jungen Geiger als Kammerdiener in sein noch heute beeindruckendes Schloss nach Kremsier. Dort begann eine der glänzendsten Musikerkarrieren des Barock vom Lakaien zum adligen Truchsess.

Bibers Virtuosität als Geiger und sein Einfallsreichtum als Komponist wurden von den Höchsten goutiert: von Kaiser Leopold I., vom bayerischen Kurfürsten Ferdinand Maria und von zwei Salzburger Erzbischöfen, Max Gandolf von Kuenburg und Johann Ernst Graf von Thun. Letzterem dedizierte Biber seine Harmonia artificioso-ariosa, die 1696 in Salzburg mit einer lateinischen Widmungsvorrede an den Erzbischof erschien.
Die hohen Herren überschütteten den böhmischen Jägersohn mit Gnadengeschenken, bezahlten ihm die höchsten Gehälter und gewährten ihm seltene Ehren. In Salzburg war er seit 1678 Vize-, ab 1684 Hofkapellmeister und wurde 1692 zum Truchsess erhoben – eines der höchsten Ehrenämter bei Hofe. Der Kaiser verlieh ihm 1690 das Adelspatent – mit Zuerkennung von vier (fiktiven) adligen Ahnen. Fortan wurde sein Name noch komplizierter – Heinrich Ignaz Franz Biber von Bibern -, seine Musik aber stets moderner und einfallsreicher. Bibers Erfindungsgabe dokumentiert sich in Genrestücken wie der Battaglia oder Pauern-Kirchfahrth, in höfischen Zyklen wie der Mensa sonora oder den Rosenkranzsonaten, sie erfasste aber auch die großen Formen der geistlichen Musik und sogar die Oper. Mit einem Wort: er war ein wahrhaft barocker Genius.

Kein Interpret der Gegenwart hat diese Bedeutung von Biber klarer erkannt als Reinhard Goebel. Seine Aufnahmen der Mensa sonora, der Battaglia und der Missa Salisburgenis sind Meilensteine der historischen Aufführungspraxis. Auch in seinen Werk-Einführungen – kleinen Meisterstücken des Feuilletons wie die eines Nikolaus Harnoncourt -, hat sich der Siegener Geiger und Dirigent immer wieder dezidiert für die Kunst Bibers eingesetzt. Für unser Programm griff er erneut zum Labtop und fasste seine Sicht der Harmonia artificioso-ariosa zusammen. Leider erlaubt der begrenzte Umfang dieses Programmhefts nicht den vollständigen Abdruck des Textes. Wir haben ihn deshalb – für Kenner und Liebhaber – auf separaten Blättern ausgedruckt. Hier seien nur jene Passagen zitiert, die sich mit dem Problem der Skordatur beschäftigen:

„Bibers Suiten-Zyklus Harmonia artificioso-ariosa führt in beispielhafter Weise das Experiment der großartigen, bereits zwanzig Jahre zuvor entstandenen Rosenkranz-Sonaten weiter, nämlich: die Vereinigung von Tonart, Klangfarbe und Affekt durch die Skordatur.

Der Terminus „Skordatur“ – letztlich der Befehl „es wird gestimmt“- bezeichnet in der Musik für Streicher die Veränderung der normalen Quint-Intervall-Abstände der Saiten zueinander. Wie beim englischen „the lyra-wa“-Umstimmen der Viola da gamba wurden im Lauf einer kurzen Periode etwa zwischen 1650 und 1700 auch für die vorzugsweise höheren Lagen der Violin-Instrumente mehr als 30 verschiedene Stimmungen erdacht.
Manche von ihnen sind grotesk und kaum ernst zu nehmen, andere – wie die meisten der von Biber „kreierten“, zu denen auch die Umlegung der beiden mittleren Violinsaiten gehört – sind höchst seriös und stellen eine Bereicherung des Farb- und Ausdrucks-Spektrum dar.

Eine gute Skordatur verstärkt den Affekt der Grund-Tonart, sie ist meist so gewählt, dass Grundton und Quint der Tonart leere, ungegriffene Saiten und Doppelgriffe in dieser Tonart bewundernswert leicht zu spielen sind – immer aber hat sie den Nachteil, dass Modulationen in auch nahe verwandte Tonarten kaum oder nur sehr schwer realisierbar sind.

Bei allem Respekt für die klangliche Bereicherung durch die Skordatur ist klar, dass sie einen wesentlichen Aspekt der in Quinten gestimmten Violin-Instrumente, nämlich ihre universelle Handhabung in vielen, wenn nicht allen Tonarten, verleugnet. Der Tanz mit seiner allfälligen Modulation zur Dominante am Doppelstrich ist somit das geeignetste Medium für die Skordatur – veritable Sonaten mit weitschweifigem Harmonie-Plan (Gott sei dank hat niemand solche je komponiert!) wären eine veritable Tortur.
Wir wissen heute nichts über die Realitäten des Skordatur-Betriebs – kein Wort darüber in den zeitgenössischen Quellen. Wurden speziell präparierte Instrumente verwendet? Denn ein ad-hoc verursacht immer ein „Rutschen“, ein Sich-Verstimmen der lebhaften Darmsaiten in die vorherige Stimmung, sowohl nach unten als nach oben. Wurden gar spezielle Saiten-Bezüge verwandt? Denn das Hoch-Stimmen der einen und das Herunterstimmen der anderen Saite(n) veränderte die Mikro-Organisation der Quinten-gewöhnten Griffhand doch erheblich. Hat man gar auf solche Details gar nicht geachtet, sondern sich nur eines erheblich volleren (vermutlich also auch erheblich unsauberen) Klangs erfreut? nescimus!“

Unter den von Goebel geschilderten Voraussetzungen – Tanzsätze mit einfachem harmonischem Bau, Klangfülle und spieltechnische Beschränkungen – legte Biber seine Partien als kunstvoll-barocke Gebilde an:

Partia I (Stimmung: a-e‘-a‘-d‘‚): Dunkle Akkorde der Geigen führen in die eigenwillige Klangwelt der Skordatur und in den Charakter der Tonart d-Moll ein; toccatenartig schließen sich virtuose Passagen und eine kurze Canzona an. Wie in fast allen Teilen des Zyklus gibt es einen Hauptsatz in Variationenform: die zentrale Gigue. Um sie gruppieren sich symmetrisch Sonata und Allemande sowie Aria und Sarabande, letztere ebenfalls mit Variationen, die in ein kurzes Finale münden.

Partia III (Stimmung: a-e‘-a‘-e‘‚): Der Klangeindruck ist im Gegensatz zur ersten Partia hell und strahlend. Das Präludium häuft im Sinne eines rhetorischen Pleonasmus simple A-Dur-Akkorde, um den Reiz der Skordatur in schon fast unverschämter Weise hervorzukehren. Erst danach verzweigen sich Rhythmus und Ornament: schreitend in der Allemande, synkopisch schwingend im Presto (dessen Titel Amener eine Variante der Branle bezeichnet), leichtfüßig im Balletto und etwas leirig in der Gigue. In allen Sätzen folgen die Violinstimmen einander in kleinen Kanons, so dass man wie in einem Spiegelkabinett den gleichen Skalen und Motiven immer wieder begegnet. Dieses Verfahren gipfelt in der abschließenden Ciacona, in der die beiden Oberstimmen konsequent im Kanon im Einklang geführt sind. Der Satz – Bibers Antwort auf den Kanon von Pachelbe – beruht auf dem gleichen Bassthema, dem wir zu Beginn bei Caldara begegnet sind. Biber hat ihn primitiver behandelt als sein italienischer Kollege, indem der Bass die Grundtonart über fast vier Minuten festhält.

Dieser immer gleiche Bass verleiht dem Satz andererseits jenen mitreißenden Zug, der so viele Ostinatovariationen des 17. Jahrhunderts auszeichnet. Unser ganzes Programm könnte man eine Apotheose der barocken Variation nennen, enthält es doch nicht weniger als drei Chaconnes, zwei Passacaglie und drei tänzerische Arien mit Variationen.