Symphonia III aus L’art de la Modulation
Werkverzeichnisnummer: 3197
2003
DIE MUSIK DER POMPADOUR
1745 wurde Jean-Antoinette d’Ètiolles, geb. Poisson, die Geliebte des französischen Königs Ludwig XV. Obwohl sie eine Bürgerliche war – Tochter eines Metzgers und mit dem Neffen eines Steuerpächters verheiratet – übertraf sie an Bildung und Geschmack die Mehrzahl der adligen Damen Frankreichs. Sie war überaus belesen, was der Dramatiker und Philosoph Voltaire an ihr schätzte; sie korrespondierte mit Montesquieu und Diderot, war Mäzenin für Künstler und Musiker, denen sie den Weg an den Hof ebnete. Dennoch kommt Madame de Pompadour in keinem Musiklexikon unter den Namen der bedeutenden Mäzene vor – ungerechterweise. Unsere drei Konzerte enthalten Musik ihrer Zeit, gespielt auf den Instrumenten des 18. Jahrhunderts. Ohne die originalen Klangfarben des Cembalos und der Barockgeige, der Flûte traversière und der Viola da Gamba büßt die französische Musik vieles von ihrem Zauber ein. Die Auswahl der Werke legt einen bunten Querschnitt durch die Musik, die die Pompadour kannte, liebte und förderte.
Unser Panorama beginnt in den Kleinen Kabinetten, jener Enklave von Privatheit, die die Pompadour klugerweise für den menschenscheuen König im öffentlichen Hofleben von Versailles einrichtete. Dorthin zog man sich abends zurück, vergnügte sich beim Kartenspielen und bei Musik, vorzugsweise bei Kantaten. Die französische Cantate, Gegenstück zur italienischen Solokantate des Barock, ist großen Themen aus der antiken Mythologie gewidmet. Das Bild der Zauberin Medea, die ihre Kinder ermordet, weil sie ihr Mann Jason verlassen hat, war in diesem Zusammenhang eine Mahnung an die Treue eines Königs, die Ludwig XV. überhörte. Die Musik dazu schuf Louis-Nicolas Clérambault, neben Lully der wichtigste Repräsentant der französischen Hofmusik im großen, alten Stil. Die Pompadour hat diese ehrwürdige Musik noch gerne und regelmäßig aufgeführt. In den Petits Cabinets verband sie sich mit moderner Kammermusik wie den Flöten- und Violinsonaten von Jean-Marie Leclair. Diesem unbestritten größten Geiger Frankreichs in jener Zeit sagte man nach, wie ein Engel zu musizieren.
Das zweite Programm führt uns nach Paris, und auch dort war die Musik der Pompadour allgegenwärtig. Im 25. Concerto comique von Michel Corrette – das nur deshalb komisch heißt, weil es als Zwischenaktmusik in den Opéras comiques erklang – wird als Mittelsatz eine Arie zitiert, die die Pompadour selbst auf der Bühne gesungen hat: „Quand on sçait aimer et plaire“ aus dem Dorfwahrsager von Jean-Jacques Rousseau. Der Philosoph, den die Pompadour ironisch den „Kauz“ nannte, hatte diesen Versuch einer französischen Operette im italienischen Stil ihr gewidmet. Sie war singend der Star etlicher Produktionen und belehrte ihre Zeitgenossen darüber, wie man „lieben und gefallen“ solle. Die Auseinandersetzung zwischen italienischer und französischer Musik, die Rousseau in der öffentlichen Diskussion anheizte, bestimmte das Schaffen fast aller Pariser Komponisten jener Zeit. Michel Blavet, Soloflötist der Pariser Oper, hatte sich ganz dem italienischen Lager zugeschlagen und schrieb ein Flötenkonzert auf den Spuren Vivaldis. Als zu italienisch für den Hof in Versailles wurde die Musik von François-André Philidor abgelehnt. Im Hauptberuf Europameister im Schach, war der Spross einer bekannten Musikerfamilie dank seiner Schach-Tourniere schon früh nach England und Deutschland gekommen, wo längst der italienische Stil regierte. Dies hat Philidor zu seiner italophilen Kunst der Modulation inspiriert.
Trotz der hohen Qualität der französischen Kammermusik jener Epoche stand das Musiktheater im Zentrum des Interesses. Auch die Pompadour ließ Opern des größten französischen Komponisten aufführen: Jean-Philippe Rameau. Tänze aus den Surprises de l’amour und anderen ihr gewidmeten Bühnenwerken hat der Meister aus Dijon in seinen Pièces de clavecin en concert verarbeitet, so etwa die mitreißenden Tambourins aus Dardanus. Auch in den Sauvages aus Correttes Concert haben wir einen damals weltbekannten Tanzsatz von Rameau vor uns. Im ersten Satz seines III. Concert hat Rameau seinem wichtigsten Gönner gehuldigt: dem obersten Steuereinnehmer Le Riche de Laplonière. Dessen Frau setzte sich 1750 in den Kopf, der Marquise de Pompadour den König auszuspannen – vergeblich. In dieser Weise durchdringen sich in der Musik der Pompadour-Zeit italienischer und französischer Geschmack, Theatralisches und Galantes, höfischer Tratsch und amouröse Intrigen.
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Die beiden übrigen Instrumentalwerke sind ausgesprochene Rokokomusik und bringen eine andere Farbe ins ansonsten hochbarocke Programm, das sich streng in den Grenzen des Jahrzehnts zwischen 1700 und 1710 bewegt. Jean-Danican Philidor war – sofern davon in einer Zeit lange vor der Sportreportage und dem IOC die Rede sein kann – Schachweltmeister. Obwohl er als Chorknabe in Versailles erzogen worden war und in Paris mit den Aufklärern Rousseau und Diderot Freundschaft schloss, verschlug es ihn für zehn Jahre nach England, wo er nur vom Schachspielen lebte. Dort hat er seine bis 1929 in zehn Sprachen immer wieder nachgedruckte „Analyse des Schachspiels“ veröffentlicht. 1754 nach Paris zurückgekehrt, wandte er sich von der traditionellen Hofmusik ab und der modernen „Opéra comique“ zu. Mit Rührstücken wie „Tom Jones“ und „Ernelinde“ eroberte er die Herzen der Franzosen und – in deutscher Übersetzung – bald auch des Publikums in Deutschland und Österreich.
Seine 1755 gedruckten sechs Quartette für Flöte, zwei Violinen und Bass blieben seine einzigen Instrumentalwerke. Wie schon der Name „L’Art de la modulation“ verkündet, hatte sich Philidor hier Besonderes vorgenommen, nämlich: in einem durch und durch galanten Kontext, der den französischen Stil fast völlig zugunsten des italienischen beiseite schiebt, eigenwillige Wege der Modulation zu erproben. Man darf dabei an den Schachspieler Philidor denken, wie er seinen nächsten Zug berechnet.
Leonardo Leo war wie Philidor Opernkomponist und Vertreter der zweiten großen Opernschule des mittleren 18. Jahrhunderts: der sogenannten „neuneapolitanischen“ Schule. Gemeinsam mit seinen – teils jüngeren – Kollegen Vinci, Porpora, Pergolesi, Feo und Jommelli schuf er ein neues Ideal des Gesangs in der Oper: ganz auf die Oberstimme ausgerichtet, melodisch schlicht und doch ergreifend. Da Leo der älteste dieser Komponistengruppe war, verraten seine Werke aber noch mehr barocke „Gründlichkeit“ als die seiner Mitstreiter, besonders im Kontrapunkt und in der Harmonie. Dies gilt auch für seine beiden in Wien erhaltenen Flötenkonzerte.