Quartett Nr. 10 As-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 116
Werkverzeichnisnummer: 3111
1. Andante
2. Allegretto furioso
3. Adagio
4. Allegretto
2003
D. SCHOSTAKOWITSCH
Quartett Nr. 10, op. 118
Wie problematisch das Quartett-Schreiben für einen Komponisten in der stalinistischen Sowjetunion war, musste zu seinem Leidwesen Dmitri Schostakowitsch erfahren. „Den Potentaten erklärt man, eine Oper Karl Marx oder Junge Garde reife heran. Dann verzeihen Sie dir das Quartett als Freizeitbeschäftigug und lassen dich in Ruhe.“ Mithilfe dieses Täuschungsmanövers gelang es Schostakowitsch, von 1938 bis in sein vorletztes Lebensjahr 1974 15 Streichquartette zu vollenden. Immer mehr identifizierte er sich mit dieser Gattung, zumal in bekenntnishaften Werken wie Nr. 8 oder Nr. 15. Alfred Beaujean nannte diese Werke „persönliche Bekenntnismusik“.
Daneben gibt es auch weniger tiefschürfende Beiträge zum Genre wie das 10. Quartett von 1964. Der Anlass zur Entstehung war ein eher sportiver: Schostakowitsch musste bei einem Urlaub in Armenien feststellen, dass ihn sein dortiger Kollege und Freund Moissej Wainberg im Genre Streichquartett überholt hatte: „Er hatte neun Quartette geschrieben… Ich hatte es mir zu Aufgabe gemacht, Wainberg einzuholen und zu überholen, was ich nun auch gemacht habe.“ So entstanden im Mai und Juli 1964 das 9. Quartett in Es-Dur und das 10. in As-Dur. Beide wurden auch zusammen uraufgeführt, im November 1964 erst in Moskau, dann in Leningrad. Es spielte – wie bei fast allen Premieren der Schostakowitsch-Quartette – das Moskauer Beethoven-Quartett.
Die klassische Viersätzigkeit, wie sie uns bei Haydn begegnet, wird im 10. Quartett variiert, indem ein lichtes Andante den Anfang macht, anstelle des Scherzos ein Allegretto furioso folgt und nach dem Adagio das finale Allegretto zum eigentlichen Hauptsatz wird.
Repetierte Achtel bilden die Klangfolie des ersten Satzes, den ein Solo der ersten Violine eröffnet und im weiteren Verlauf ein Cellothema bestimmt. Kadenz-wendungen aus der Kirchenmusik treten mehrmals auf und werden auch im Finale wieder aufgegriffen. Die Coda sul ponticello gibt dem Satz eine irreal scheinende Wendung. Damit ist der Boden für das furiose Scherzo bereitet, das zu den bitteren, dissonierend-grellen Sätzen dieses Typus bei Schostakowitsch gehört. Absteigende Skalen, hämmernde Oktaven, schreiende Akkordgriffe bilden die diabolische Klangkulisse für einen Satz, den man als Gegenstück zum Stalin-Satz der 10. Symphonie bezeichnet hat.
Das Adagio gebraucht wie andere langsame Sätze Schostakowitschs (etwa im 2. Klaviertrio) die barocke Form der Passacaglia. Über dem neuntaktigen Bassthema entfalten sich Variationen in den Oberstimmen, bis in der 7. das Thema in die Violine wandert und sich der düstere Klang aufhellt. Geige und Cello bestreiten die Überleitung zum Finale, dessen kleinschrittiges Rondothema der Bratsche zufällt. Es wird fast im Sinne eines Ostinato gebraucht, ist also als rhythmischer Pattern fast ständig präsent. Dabei kommt es in typischer Schostakowitsch-Manier zum gewaltsamen Aufladen des Motivs mit aggressivem Klangpotential, was aber wieder abflaut. Zitate aus dem Kopfsatz runden den Zyklus ab.