"Etudes d'exécution transcendante" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Franz Liszt

"Etudes d'exécution transcendante"

„Etudes d’exécution transcendante“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3106

Satzbezeichnungen

1. Preludio

2. Paysage

3. Mazeppa

4. Feux follets

5. Wilde Jagd

6. Harmonies du soir

7. Chasse-neige

Erläuterungen

2003
FRANZ LISZT
Etudes d’exécution transcendante

Um Franz Liszt rankte sich schon zu seinen Lebzeiten ein immens großer Starkult. Er bot während des späten 19. Jahrhunderts Gesprächssstoff für ganz Europa und für unzählige romanhafte Biografien. Der bedeutendste Pianist der Welt betörte das Publikum erst als Wunderknabe am Klavier, später wegen seiner außergewöhnlichen Erscheinung, seines bunt schillernden Lebens und seines exzentrischen Verhaltens: er soll mehrere Male sein Klavier bei Aufführungen zerstört haben. Vor allem faszinierte seine große musikalische Begabung. Als Musiker besaß er ein absolutes Gehör und konnte selbst lange und komplizierte Musikstücke nach einmaligem Anliören perfekt wiedergeben. Heute ist uns Liszt als Komponist, als Schöpfer einer neuartigen Klaviermusik bekannt, doch zu Liszts Zeit waren seine Werke wenig populär und stießen auf heftige Kritik. Chopin sagte einmal: „Er mag eines Tages Abgeordneter oder gar König werden, aber seine Kompositionen werden in Andenkenalben verschwinden.“ Gerade mit seiner Klaviermusik, die durch die Ausnutzung der gesamten Klaviatur weit über die bis zu seiner Zeit üblichen Techniken hinausging, erreichte er pianistische Leistungen, die bis heute zu den höchsten gehören.

Liszts erstes Etüdenwerk Etude en douze Exercises entstand 1826, als er 15 Jahre alt war. Es erschien nach grundlegender Umformung 1839 in einer zweiten Fassung als Vingt-quatre grandes Etudes, Czerny gewidmet. Wie auch bei seinen Paganini-Etüden wird der ungeheure pianistische Anspruch deutlich, den Robert Schumann mit den Worten kommentierte: „Es sind wahre Sturm- und Graus-Etüden, Etüden für höchstens zehn oder zwölf auf dieser Welt, schwächere Spieler würden mit ihnen nur Lachen erregen.“ In der Tat war es das Spiel des Teufelsgeigers Paganini, das Liszt selbst erlebt hatte und das ihn anregte, ebenso auf dem Klavier zu spielen. Die dritte gültige Fassung der Etüden, ebenfalls Czemy gewidmet, entstand 1851 als Etudes d’exécution transcendante. Diese Komposition, bei der Liszts „Hände über die Tasten (rasten), der Boden unter (den) Füßen (wie Draht) zitterte und die ganze Hörerschaft in Klang eingehüllt war,“ (Henry Reeves) weist den neuen, virtuosen Klang auf.

Die 12 Etüden der Sammlung können nur mit Vorbehalt im engeren Sinn Etüden genannt werden, denn es ist weniger eine bestimmte Spielfigur oder eine pianistische Idee, als vielmehr eine Klangvorstellung, eine poetische Idee, die den Kompositionen ihren Antrieb gibt. Der Titel jeder der 12 großen Etüden ist Musik. Allenfalls die 2. und 12. Etüde entsprechen Etüden im engeren Sinn, da hier die Spieltechnik auf wenige Elemente beschränkt bleibt.

Aus den großen 12 Etüden höre“ wir sieben:

Nr. 1 Preludio in C-Dur darf als Einspielstück gewertet werden, in dem die Klaviatur nach allen Richtungen ausgespielt wird.
Paysage (Landschaft) ist die dritte Etüde in F-Dur mit ruhiger, sanfter Atmosphäre.
Nr. 4 Mazeppa mit bezwingendem kraftvollen Rhythmus ist Victor Hugo gewidmet und zeichnet dessen gleichnamiges Gedicht nach: der Todesritt des auf sein Pferd gefesselten Helden, symbolisiert durch die Terzgänge in beiden Händen über die sich ein Gesang erhebt. Immer neu beschleunigt sich das Tempo durch Verkürzung der Terzbewegung. Nach dem Absturz „des Helden“ durch chromatische Quartsextakkorde kündet ein trauriges Rezitativ vom Tod. Doch bedeutet die heroische Coda die Auferstehung des Helden nach Hugo:„Il tombe enfin! – et se relève Roi!“
Die „Irrlichter“ (Feuxfollets, Nr. 5) stehen im Kontrast zu der vorangegangenen gewaltigen d-Moll-Etüde. Auf die „lrrlichter“ wird durch das flirrende, fließende Licht hingewiesen, das aus einem Triller mit abwechselnden kleinen und großen Sekunden entwickelt wird. Dieses chromatische Prinzip setzt sich im Hauptthema fort. Nach tänzerischen Motiven und einer Steigerung durch gestoßene Noten klingt der Satz erneut mit einer Triller-Figuration aus.
Die Etüde Nr. 8 Wilde Jagd besticht durch atemberaubende Virtuosität. Das Bild der dahin jagenden Herde wird alleine durch eine Es-Dur-Periode durchbrochen.
Die Des-Dur-Etüde Harmonies du soir (Nr. 1 1) erreicht ihren Klangzauber durch Glockeneffekte, weit arpeggierte Akkorde und das zarte Abendlied (auf den Titel verweisend) im Mittelteil. Die letzte Etüde Chasse-neige ein anspruchsvolles Stück mit vielen Tremolofiguren. Auch chromatische Passagen und weite Sprünge malen die poetische Stimmung einer Landschaft nach, die ein immer wilderer Schneefall verhüllt.
Petra Simon