Aus den „Jeux d’enfants“ (Kinderspiele)
Werkverzeichnisnummer: 3097
1. Der Kreisel (Impromptu)
2. Die Puppe (Berceuse)
3. Trompete und Trommel (Marsch)
4. Blindekuh (Nocturne)
5. Kleiner Mann, kleine Frau (Duo)
6. Die Schaukelpferde (Scherzo)
2003
GEORGES BIZET
Jeux d?enfants
Wie die Kinderszenen von Robert Schumann sind auch die Kinderspiele von Georges Bizet Projektionen ihres Komponisten in eine glückliche, mit Kindern gesegnete Ehe-Zukunft. Sie entstanden in einem Moment, in dem sich Bizet nach vielen Widerständen endlich seines Eheglücks sicher sein konnte, gewissermaßen als Geisteskind vor der Geburt des ersten leiblichen Kindes.
Im Gegensatz zu Robert Schumann ist die Ehe, die diese Geisteskinder gebar, nicht glücklich verlaufen, nachdem sie bereits mühsam errungen worden war. Die zukünftigen Schwiegereltern hatten 1867 die Verlobung ihrer Tochter Geneviève mit Bizet wieder gelöst, um sie mit einem Weinhändler aus Bordeaux zu vermählen. Erst zwei Jahre später änderten sie ihre Meinung und ließen die Heirat mit dem noch wenig erfolgreichen Komponisten zu. Der damals 30jährige Bizet war überglücklich und verbrachte mit Geneviève eine unbeschwerte Zeit – trotz der düsteren Schatten, die 1870 der preußisch-französische Krieg über die Verbindung warf. Im Sommer 1871, während in Paris die Straßenschlachten der Commune tobten, lebten Georges und Geneviève auf dem Lande. Er skizzierte die exotische Oper Djamileh und komponierte daneben zwölf kurze Stücke für Klavier zu vier Händen, in denen er verschiedene Kinderspiele darstellte. Wie in Schumanns Kinderszenen mischen sich darin Erinnerungen an die eigene Kindheit mit der Vorfreude auf den Nachwuchs. Letzterer ließ zwar nicht auf sich warten – 1872 kam der Sohn Jacques zur Welt -, doch Bizets erträumtes Eheglück zerbrach: seine Frau betrog ihn 1874 mit einem Pianisten, mit dem sie sogar einen Ehevertrag schloss (dies alles während ihr Mann an Carmen arbeitete!). Als der Komponist am 5. Juni 1875, drei Monate nach der Uraufführung der Carmen, starb, lag seine Ehe in Trümmern. Das Familienidyll, das die Jeux d´enfants beschwören, blieb für Bizet ein Traum.
Umso reizender wirken die Stücke. Wir hören sechs aus den ursprünglich zwölf Sätzen, wobei die Auswahl annährend identisch ist mit jener Orchestersuite, die Bizet nach den Jeux d´enfants zusammenstellte. Jedem Satz hat er einen doppelten Titel beigegeben: das jeweilige Kinderspiel und eine musikalische Form. So ist La toupie, der Kreisel, ein Impromptu von unsteter Bewegung: erst geradlinig schnell, dann wankend, wieder an Impetus gewinnend, schließlich wie ein Betrunkener in sich zusammensackend. La poupée, die Puppe, wird zu den Klängen einer Berceuse, eines Wiegenlieds, von ihrer Besitzerin in den Schlaf gesungen. Trompette et Tambour, der Auftritt eines Kinderpaars mit Trompete und Trommel, gab Bizet die Gelegenheit zu einem süßen Marsch, dessen Klänge mitsamt ihren Erzeugern am Ende in der Ferne verschwinden. In Blindekuh, auf französisch „Colin-maillard“, sehen wir ein Kind mit verbundenen Augen durch die Landschaft stolpern, fallen, wieder aufstehen und schließlich den Verfolgten ergreifen. Bizet nannte diesen Satz mit verbundenen Augen ironisch Nocturne. „Petit mari, petite femme“ ist ein in Deutschland kaum geläufiges Kinderspiel, eine kindliche Inszenierung von Ehezwist und Eheglück, in dem das dialogische Moment im Klavier-Duo ausgereizt wird. Die Schaukelpferde schließlich (Les cheveaux de bois) schwingen im Galopp eines stark rhythmischen Scherzos.