Walzer, op. 39,5
Werkverzeichnisnummer: 3093
2003
Walzer aus Opus 39
Keine Neujahrssaison ohne Walzer, schon gar nicht in Wien. Doch wenn ein Hamburger sich aufs Parkett des Wiener Walzers begab, kam es den Österreichern eher spanisch vor: „Der ernste, schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser, schreibt Walzer?“ Mit dieser – rhetorischen – Frage begann der Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick seine Rezension der Walzer, op. 39, von Johannes Brahms. Es war der erste Walzerzyklus, den Brahms in Wien veröffentlichte (1866), eine unverhüllte Verneigung vor dem Genius loci der K. und K. Metropole. „Die Kaiserstadt hat Beethoven zwar nicht zum Tanzen, aber doch zum Tänzeschreiben gebracht, Schumann zu einem ‚Faschingsschwank‘ verleitet, sie hätte vielleicht Bach selber in eine ländlerische Todsünde verstrickt. Auch die Walzer von Brahms sind eine Frucht seines Wiener Aufenthalts, und wahrlich von süßester Art. Nicht umsonst hat dieser feine Organismus sich Jahr und Tag der leichten, wohligen Luft Österreichs ausgesetzt – seine Walzer wissen nachträglich davon zu erzählen. Fern von Wien müssen ihm doch die Straußschen Walzer und Schuberts Ländler, unsere Gstanzel und Jodler, selbst Farkas‘ Zigeunermusik nachgeklungen haben, dazu die hübschen Mädchen, der feurige Wein, die waldgrünen Höhen und was sonst noch.“
Nicht nur Hanslick interpretierte die Walzer als „glückliches Zeichen einer verjüngten und erfrischten Empfänglichkeit … , als eine Art Bekehrung zu dem poetischen Hafisglauben Haydns, Mozarts und Schuberts!“ Auch Brahms selbst sah die Stücke in einem lichten wienerischen Kontext, wie er seinem Freunde Hanslick bekannte: „Ich weiß nicht, ich dachte an Wien, an die schönen Mädchen, mit denen Du vierhändig spielst, an Dich selbst, den Liebhaber von derlei, den guten Freund und was nicht… Es sind zwei Hefte kleiner unschuldiger Walzer in Schubertscher Form.“
Zu unserem Beispiel, der lieblichen Nr. 5 des Zyklus, dem Brahms ausdrücklich die Vortragsanweisung dolce (süß) hinzufügte, und zu den anderen Stücken kann man nichts Treffenderes schreiben als wiederum Hanslick, dem Brahms den Zyklus übrigens gewidmet hat: „Welch reizende, liebenswürdige Klänge! Wirkliche Tanzmusik wird natürlich niemand erwarten: Walzer-Melodie und Rhythmus sind in künstlerisch freier Form behandelt und durch vornehmen Ausdruck gleichsam nobilisiert. Trotzdem stört darin keinerlei künstelnde Affektation, kein raffiniertes, den Total-Eindruck überqualmendes Detail – überall herrscht eine schlichte Unbefangenheit, wie wir sie in diesem Grade kaum selbst erwartet hätten.“
2002
JOHANNES BRAHMS
Walzer aus Opus 39
Die Walzer, op. 39, von Brahms verdanken ihre Entstehung einem geselligen Anlass. Sie waren für den Wiener Kritiker und Brahms-Freund Eduard Hanslick bestimmt, der ein leidenschaftlicher A quatre mains-Spieler war. Brahms‘ Widmungsschreiben vom April 1866 war wie so oft von maliziösem Humor durchsetzt: „Soeben den Titel zu vierhändigen Walzern schreibend, die nächstens erscheinen sollen, kam mir ganz wie von selbst dein Name mit hinein. Ich weiß nicht, ich dachte an Wien, an die schönen Mädchen, mit denen Du vierhändig spielst, an Dich selbst, den Liebhaber von derlei, den guten Freund und was nicht. Kurz, ich fühlte die Notwendigkeit, Dir es zuzuschreiben. .. Es sind zwei Hefte kleiner unschuldiger Walzer in Schubertscher Form – willst du sie nicht und lieber Deinen Namen auf einem gehörigen, viersätzigen Stück, ‚befiehl, ich folge‘.“
Hanslick bedankte sich auf seine Weise: mit einer Kritik. Sie ist im Ton nicht minder humoristisch als die Grußadresse des Freundes, im Inhalt jedoch eine treffende Charakterisierung des Opus: „Der ernste, schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser, schreibt Walzer? Ein Wort löst uns das Rätsel, es heißt: Wien. Die Kaiserstadt hat Beethoven zwar nicht zum Tanzen, aber doch zum Tänzeschreiben gebracht, Schumann zu einem ‚Faschingsschwank‘ verleitet, sie hätte vielleicht Bach selber in eine ländlerische Todsünde verstrickt. Auch die Walzer von Brahms sind eine Frucht seines Wiener Aufenthalts, und wahrlich von süßester Art. Nicht umsonst hat dieser feine Organismus sich Jahr und Tag der leichten, wohligen Luft Österreichs ausgesetzt – seine Walzer wissen nachträglich davon zu erzählen. Fern von Wien müssen ihm doch die Straußschen Walzer und Schuberts Ländler, unsere Gstanzel und Jodler, selbst Farkas‘ Zigeunermusik nachgeklungen haben, dazu die hübschen Mädchen, der feurige Wein, die waldgrünen Höhen und was sonst noch.
Wer Anteil nimmt an der Entwicklung dieses echten und tiefen, bisweilen vielleicht einseitigen Talentes, der wird die ‚Walzer‘ als glückliches Zeichen einer verjüngten und erfrischten Empfänglichkeit begrüßen, als eine Art Bekehrung zu dem poetischen Hafisglauben Haydns, Mozarts und Schuberts! Welch reizende, liebenswürdige Klänge! Wirkliche Tanzmusik wird natürlich niemand erwarten: Walzer-Melodie und Rhythmus sind in künstlerisch freier Form behandelt und durch vornehmen Ausdruck gleichsam nobilisiert. Trotzdem stört darin keinerlei künstelnde Affektation, kein raffiniertes, den Total-Eindruck überqualmendes Detail – überall herrscht eine schlichte Unbefangenheit, wie wir sie in diesem Grade kaum selbst erwartet hätten.
Die Walzer, sechzehn an der Zahl, wollen in keiner Weise großtun, sie sind durchwegs kurz und haben weder Einleitung noch Finale. Der Charakter der einzelnen Tänze nähert sich bald dem schwunghaften Wiener Walzer, häufiger dem behäbig wiegenden Ländler, mitunter tönt aus der Ferne ein Anklang an Schumann oder Schubert. Gegen Ende des Heftes klingt es wie Sporengeklirr, erst leise und wie probirend, dann immer entschiedener und feuriger – wir sind ohne Frage auf ungarischem Boden…“