Vier Lieder, op. 2 (1899)
Werkverzeichnisnummer: 3077
1. Erwartung: „Aus dem meergrünen Teiche“ (Richard Dehmel)
2. „Schenk mir Deinen goldenen Kamm“
(Dehmel)
3. Erhebung: „Gib mir deine Hand“ (Dehmel)
4. Waldsonne: „In die braunen, rauschenen Nächte“ (Johannes Schaf)
2002
ARNOLD SCHÖNBERG
Vier Lieder, op. 2
Junge Komponisten um die Jahrhundertwende suchten nach neuen Ausdrucksformen und nach neuen poetischen Vorlagen, die ihnen diese Formen ermöglichten. Für Arnold Schönberg war es die Poesie Richard Dehmels, die ihm den Weg zu seinem ureigensten Stil wies. Schönbergs Vier Lieder, op. 2, sind dafür ein Beleg, der andere ist das Streichsextett Verklärte Nacht nach einem Dehmel-Gedicht. Beide Werke entstanden 1899 und bezeichnen Schönbergs ersten unverwechselbaren Beitrag zur Musikgeschichte der Moderne.
1912 fasste Schönberg in einem Brief an Dehmel die Bedeutung dieser Frühwerke zusammen: „Ihre Gedichte haben auf meine musikalische Entwicklung entscheidenden Einfluß ausgeübt. Durch sie war ich zum erstenmal genötigt, einen neuen Ton in der Lyrik zu suchen. Das heißt, ich fand ihn ungesucht, indem ich musikalisch widerspiegelte, was Ihre Verse in mir aufwühlten. Leute, die meine Musik kennen, werden Ihnen das bestätigen können, daß in meinen ersten Versuchen, Ihre Lieder zu komponieren, mehr von dem steckt, was sich in Zukunft bei mir entwickelt hat, als in manchen viel späteren Kompositionen.“
Von den vier Liedern des Opus 2 beruhen drei auf Dehmel-Gedichten: „Das erste Lied, Erwartung („Aus dem meergrünen Teiche“) von Richard Dehmel, eine gespenstische Nachtvision von einem Mann an einem „meergrünen“ Teich, von einem Ring mit blinkenden Opalen und einer bleichen, winkenden Frauenhand, zeugt von der Fähigkeit des Komponisten, ein geschlossenes Ganzes aus einer einfachen Grundgestalt zu entwickeln. Der erste Takt des Klavierparts enthält den auffälligen Fünfklang Es-A-D-Ges-Ces; ihm folgt der Es-Dur-Dreiklang, der durch eine arabeskenartige Figur im Diskant bestätigt wird, die wohl das Glitzern der Edelsteine symbolisieren soll.
Das zweite Stück, „Schenk mir deinen goldenen Kamm“, ein etwas dunkles Jesus-Lied Dehmels, ist musikalisch von außerordentlicher, zarter und geheimnisvoller Schönheit. In fünf Takten moduliert die Melodie von fis-Moll über c-Moll, b-Moll, D-Dur nach Fis-Dur, worauf ein zweitaktiges Zwischenspiel des Klaviers zur Dominante von g-Moll führt; die Wiederholung der Phrase, die einen halben Ton höher in g-Moll einsetzt, kehrt nach Fis-Dur zurück. Die zwei Strophen des Liedes sind aus verschiedenartigem thematischem Material gestaltet, das durch ein gemeinsames Hauptmotiv zusammengehalten wird.
Erhebung („Gib mir deine Hand“) von Dehmel ist ein einfaches, inniges Liebeslied, Waldsonne („In die braunen, rauschenden Nächte“) von Johannes Schlaf eine heitere Frühlingsphantasie in lichtem D-Dur; auch daraus tritt eine Wesensseite des jungen Schönberg hervor, die sich noch eindrucksvoller in dem Sommerwind-Melodram der „Gurrelieder“ bezeugt.“ (Werner Oehlmann)