“Rheinromanzen” aus op. 128
Werkverzeichnisnummer: 3067
1. Die sieben Freier
2. Unter der Loreley
3. Nacht am Rheine
2002
RHEINISCHE LIEDER UND
KAMMERMUSIK von Karl Böhmer
Von Rosenlauben am Rhein ist die Rede, von der Lust am heimischen Strande und der besinnlichen Stimmung eines Sonntags am Strom. Das Horn, in das die Dichter der Romantik stießen, wenn sie die Sehnsuchtslandschaft schlechthin besangen, ließ seinen Ruf bis ins innere Ohr der Komponisten erschallen. Und wie die Loreley auf ihrem Felsen die Schiffer in den Strudel riss, so zog der Vater aller Ströme die Musiker unwiderstehlich in den Taumel eines heimatlich überschwenglichen Gefühls. Dem Zauber des Rheins verfielen sie alle – jene, die hier geboren wurden, aber auchj ene, die es hierher verschlug: einen Schweizer in Wiesbaden wie Raff, einen Mainzer in Weimar wie Cornelius, einen Sachsen wie Schumann, für den der Rhein zum Schicksalsstrom wurde, Grab seiner Hoffnungen und Leiden.
Von letzteren soll in der ersten, der Liederstunde dieses Programms nicht die Rede sein. Das Beschauliche und Stimmungsvolle, das Heitere und Überschwengliche des Rheins dominieren in den Liedern, die Olaf Bär auswählte – und natürlich der Mythos von der Loreley.
Robert Schumann gebührt der erste Ton, weil er in seinem Lied Sonntags am Rhein auf so unnnachahmliche Weise die Stimmungsvaleurs eines befriedeten Gemüts im Anblick des Stroms eingefangen hat. Das Lied entstammt einem besonders reizvollen, wenn auch wenig beachteten Zyklus, den Sechs Gedichten aus dem Liederbuch eines Malers von Robert Reinick, Schumanns Opus 36. Das Malerische der Musik spiegelt den Umstand wider, dass hier (in der Fiktion Reinicks) ein bildender Künstler in einem Liederbuch seine Eindrücke vom Rhein festhält. Es ist der rechte Auftakt zu einer imaginären Rheinreise, die uns die Lieder vorgeben.
Unsere Reiseroute führt natürlich an der Loreley vorbei, die sich, seit sie Clemens Brentano in die Welt gesetzt hatte, unaufhaltsam ihren Weg durch die Mythen der Romantik bahnte. Zum Hexenmeister wurde ihr Heinrich Heine, der wie so oft reimend den Nerv des balladensüchtigen Zeitalters traf. Dem Reiz seiner Verse von der Schönen auf dem Felsen verfiel nicht nur Robert Schumann in seinen Romanzen und Balladen, op. 53 – in wogend- welliger Klaviermanier -, sondern auch etwas schlichter – seine Frau Clara in ihrer Vertonung des Heine-Gedichts. Sie entstand 1843, drei Jahre nach der ihres Mannes, und blieb wie die meisten Lieder von Clara ungedruckt.
“Unter der Loreley” können wir, wenn wir den Liedtext wörtlich nehmen, Heinrich Marschner entdecken, den Schöpfer der romantischen Opern Der Vampyr (1827) und Hans Heiling (1833). Der aus Sachsen stammende Komponist, der in Dresden und Hannover wirkte, war trotz der räumlichen Distanz ein begeisterter Vertreter der Rheinromantik. Er suchte im Rheintal – wie in seinen Bühnenwerken – vorwiegend das Düster-Nächtliche. Das zumindest suggerieren seine Rheinromanzen, op. 128.
In etwas unsystematischer Fahrt lenken wir unseren Nachen gen Süden und Norden zugleich – nach Wiesbaden, Nonnenwerth und Mainz. Die 90 Lieder des Wahl Wiesbadeners Joachim Raff nehmen nur selten auf den Zauber seiner rheinischen Umgebung Bezug. Seit 1856 in Hessen ansässig, vollendete er dort 1862 einen in Weimar begonnenen Zyklus von 30 Liedern, dem er den Titel Sangesfrühling gab. Es war wohl mehr ein poetischer Sammelbegriff denn ein inhaltliches Programm für dieses Opus 98, in dem Lieder unterschiedlichsten Charakters zusammengefasst sind. Die Ballade von der Hochzeitsnacht ist der dramatische Höhepunkt der Liederreihe. Hannonisch wird die Nähe zum Stil seines Lehrers Liszt deutlich.
Auf den Schüler folgt der Lehrer, der, wie man aus Liszts Vita hinreichend weiß, ein Liebhaber der rheinischen Landschaft, insbesondere bei Remagen war. Liszts Lieder sind heute weitgehend aus den Konzertsälen verschwunden. Dadurch, dass er eine wahrhaft europäische Erscheinung der Romantik war, hat er dem national geprägten deutschen Liedgut nie ähnliche Aufmerksamkeit geschenkt wie seine Schüler Raff und Comelius oder sein Freund Schumann. Dennoch finden sich auch bei ihm rheinische Pretiosen wie die Heine-Vertonung Im Rhein, im schönen Strome.
Der Mainzer Dichter-Komponist Peter Comelius kehrte seiner Heimat in den 1850er Jahren den Rücken, um ebenfalls bei Liszt Heil und Weihe seiner Kunst zu suchen. Während er sich in Weimar mit Zyklen wie Trauer und Trost den großen Menschheitsthemen zuwandte, wurde er doch immer wieder von der Sehnsucht nach der rheinischen Heimat überwältigt. Davon legen seine Rheinlieder Zeugnis ab. 1861 schloss Comelius mit einer Reinschrift die mehrjährige Arbeit an drei Liedern ab, die er zu seinem Opus 7 unter dem Titel Lieder vom Rhein zusammenfassen wollte. Veröffentlicht wurden sie jedoch erst aus dem Nachlass des Komponisten unter dem Titel Drei Rheinische Lieder. In der Zusammenstellung von Olaf Bär umrahmen die drei Stücke ein rheinisches Lied aus dem Opus 5, Botschaft. Die Textanfänge der Lieder mögen verdeutlichen, worum es in diesen Miniaturen geht: “0 Lust am Rheine, am heimischen Strande!” -“Mit hellem Sang und Harfenspiet’ – “Kehr’ ich zum heimischen Rhein”. Comelius hat es dabei an Tonmalerei nicht fehlen lassen, was den Harfenklang oder das Wellenspiel des heimischen Stroms anbelangt. Darin zeigt sich einmal mehr seine “Begabung für musikalische Feinmalerei” (W. Oehlmann).
Mit August Bungert kehren wir in den Norden des heutigen Rheinland-Pfalz zurück und finden uns in unmittelbarer Umgebung von Engers wieder. In seinem Ionischen Haus in Leutesdorf frönte der geborene Mülheimer Bungert einem Antikenideal, wie er es in gigantomanischen Dimensionen zum Gegenstand seiner Operntetralogie Die Odyssee gemacht hatte. Im heimischen Neuwieder Becken wurde er, in enger Zusammenarbeit mit der rumänischen Königin Elisabeta, die unter dem Pseudonym Carinen Sylva seine Textdichterin war, zum letzten poetischen Sänger der rheinischen Romantik.