Sechs Lieder für Bariton, op. 5 (1865)
Werkverzeichnisnummer: 3055
Auf eine Unbekannte, op. 5,3 (Friedrich Hebbel)
2002
PETER CORNELIUS
Der Mainzer Dichter-Komponist Peter Cornelius hat wie alle Helden des Wochenendes in einem Zentrum romantischen Geistes jenseits des Rheins zu sich selbst gefunden. Was für Bruch Leipzig war, für Humperdinck Bayreuth und für HiIler das Rom der Nazarener, das war für ihn Weimar in der Epoche von Franz Liszt. Anklänge an Liszt und die Tristan-Harmonik Wagners (etwa in unserem ersten Lied An eine Unbekannte) machen jedoch nur eine Seite des Liedkomponisten Cornelius aus. “Eine Begabung für musikalische Feinmalerei” hat ihn Werner Oehlmann genannt und eine treffende Charakteristik des Meisters gegeben, der zugleich in den meisten seiner Lieder und Opern sein eigener Dichter war: “So ist ihm, dem das Wort das Primäre war, die Wortbestimmtheit des Liedes selbstverständlich; oft nähern sich seine Gesangstimmen dem Rezitativ an. Wenn er kantable Melodien schreibt, sind sie dem Sprachklang abgelauscht. Sein musikalischer Satzstil ist von einem seltsam unromantischen Willen zur Objektivierung, zur festen, dem Gefühlsgehalt übergeordneten Form bestimmt … Er setzt Harmonien und Motive wie Mosaiksteine, erformt seine lyrischen Gebilde wie plastische Gestalten.”
Im Herbst 1854 kam Cornelius in Weimar auf die Idee zu einem Liedercyclus von eigenwilliger Faktur. Unter dem Titel Trauer und Trost nahm er Gedichte in Angriff, die sich mit dem Gedanken an Tod und Unsterblichkeit beschäftigen. Den sentimentalen Liebesgeschichten so vieler Liederzyklen der Romantik setzte er die abstrakte Reflektion entgegen, was auch die Haltung der Musik prägt, die Cornelius im Trauermonat November 1854 vollendete.
In knapper Diktion und strengster Formgebung umkreisen die sechs Lieder die Tonart e-Moll, die auch in die Kirchentonart Phrygisch umgedeutet wird. Beide Tonarten wurden traditionell als Trauertonarten verstanden. Im ersten Lied paart sich dieser Trauerton mit dem Duktus eines Trauermarschs zum Bild eines einsam wandelnden Menschen. In dorischem e-Moll stimmt der Bariton im zweiten Lied, Angedenken, ein kurzes, fallendes Motiv an, das er über fremdartigen Akkorden ständig wiederholt. Noch radikaler ging Cornelius in Nr. 3 vor. Den Titel Ein Ton nahm er wörtlich und ließ den Sänger den Ton H während das ganzen Liedes festhalten, während das Klavier ihn mit einer Art Valse triste umspielt.
Im folgenden Lied wandert das H ins Klavier als Symbol für die Ebene des Traums: “Öffne mir die goldne Pforte, Traum, zu deinem Wunderhain.” Der rezitativische Schluss dieser Nummer ist eine unvergessliche Geste der Resignation. Die Lieder Treue und Trost beschließen den Zyklus auf etwas konventionellere Art. Allerdings steht das letzte Lied im phrygischen Kirchenton und schwingt sich bei dem Wort Unsterblichkeit zu leuchtendem C-Dur auf.
Ungleich üppiger im rauschenden Klaviersatz, in der weit ausgreifenden Melodik und in der Lisztschen Chromatik sind die Drei Lieder des Opus 4 gehalten. Sie entstanden zur gleichen Zeit wie Trauer und Trost im Herbst 1854. Das zentrale Lied der Gruppe, Komm, wir wandeln zusammen im Mondschein, hat “vielen Generationen geradezu als der Inbegriff des Corneliussehen Liedes gegolten … Es enthält sowohl die schwärmerisch sentimentale Seite seines Wesens als auch seinen Willen zur Klarheit, zu Einfachheit der Form und Transparenz des Satzes. Das Lied Möcht’ im Walde mit Dir gehen, mit seinen Pastoralklängen, seinen Echorufen und seinem Kampfzwischen g-Moll und B-Dur tritt nicht dahinter zurück.” (Oehlmann)