Sonate für Violoncello (1978)
Werkverzeichnisnummer: 3050
1. Largo (attaca)-
2. Presto (attaca)-
3. Largo
2002
ALFRED SCHNITTKE
1. Cellosonate (1978)
“Wenn ich Elemente von Barockmusik benutze, foppe ich den Hörer manchmal, und manchmal denke ich an Alte Musik als eine wunderbare Art zu schreiben, die verschwunden ist und niemals wiederkehren wird. In diesem Sinne empfinde ich sie als tragisch.” Diese Sätze aus einem Interview, das Alfred Schnittke 1988 gab, lassen nicht auf einen Komponisten schließen, der sich den Avantgarde-Normen des 20. Jahrhunderts unterwarf. Der 1934 in der Wolgadeutschen-Republik geborene Russe, der in Wien und Moskau studierte, wurde genau in dem Moment im Westen berühmt, als er sich der Musik der Vergangenheit in emphatischer Weise zuwandte. 1977 schrieb er in Moskau zwei Werke, die ihn über Nacht berühmt machten: sein Concerto grosso Nr. 1 und seine Kadenz zu Beethovens Violinkonzert. Selten wurde eine Komponistenkarriere der Moderne so unter den Vorzeichen historischer Musik begonnen, selten hat ein Musiker mit eklektischen Kompositionen voller historischer Zitate so sehr den Zeitgeist getroffen. Im postmodernen Milieu der 1980er und 1990er Jahre bescherte Schnittke dem Publikum die bewegendsten Momente.
In seinem Nachruf auf den am 3.8.1998 einem Herzinfakt erlegenen Komponisten schrieb Bernhard Holland in der New York Times: “Schnittkes eklektische Methode, ein collagehafter Ansatz, in dem viele Stile und Epochen zusammenkamen, war charakteristisch für die Musik des späten 20. Jahrhunderts, in deren internationalem Umfeld viele Sprachen um Anerkennung rangen, ohne dass eine zur allgemeingültigen avanciert wäre. In welchem Medium auch immer, sei es Serialismus, sei es erneuerte Romantik, Barockgesten oder Collagen aus allen drei Stilen: sein Eklektizismus erhielt Farbe und Gewicht durch seinen Pessimismus und seine Angst, die oft die Verzweiflung streift, ja sich in sie vergräbt. Andere Musik Schnittkes zeigt Spuren von Humor, freilich ohne die Leichtfüßigkeit des Witzes. Es handelt sich eher um bittere Ironie vor dem Hintergrund düsterer und suggestiver Beschwörungen modernen Lebens.”
Schnittke selbst sagte in dem bereits zitierten Interview 1988 über seinen Wandel vom strengen Serialisten im Gefolge von Henri Pousseur zum Eklektiker: “Am Anfang schrieb ich in einem einheitlichen Stil, doch wenn ich ihn heute betrachte, kam darin meine Persönlichkeit nicht zum Ausdruck. In den letzten Jahren habe ich viele verschiedene Stil und Zitate aus allen möglichen Perioden der Musikgeschichte verwendet, doch meine eigene Stimme klingt aus ihnen unmissverstädnlich hervor. Es handelt sich nicht um Eklektizismus um seiner selbst willen.”
Die 1. Cellosonate, der Schnittke erst kurz vor seinem Tode 1997 eine zweite folgen ließ, entstand 1978, als der Komponist noch in Moskau lebte und gerade die besagten Schlüsselwerke, Concerto Grosso No. 1 und die Beethoven-Kadenz, geschrieben hatte. Der polystilistischen Linie dieser Stücke folgt auch die Cellosonate, die sich zwischen Walzeranklängen, Clustern und einem Traum von Neobarock bewegt. Sie ist dreisätzig, kehrt jedoch die traditionelle Satzfolge der vorklassischen Sonate um. Statt Bachs Modell Vivace-Adagio-Allegro umrahmen zwei Largo-Sätze ein zentrales Presto. Es erscheint typisch für die unmittelbar emotionalen Reaktionen, die Schnittkes Musik auslöst, dass auch Eric Bromberger in seiner Beschreibung der Sonate ganz dem emotionalen Eigenleben der Motive folgt:
“Das einleitende Largo ist kurz. Cello und Klavier scheinen in zwei verschiedenen Welten zu wohnen, so unterschiedlich ist ihre Musik. Das Cello singt eine brütende und melancholische Meditation, an der sich das Klavier mit den kürzest möglichen Einwürfen beteiligt. Doch gerade diese Einwürfe bringen einen Hauch von Ordnung in diese düstere Welt, kurze Ahnungen von Konsonanz und Klarheit inmitten der Dunkelheit.
In grellem Kontrast dazu ist das Presto ein wahnwitziger Sturm, ein Perpetuum mobile, das von scheuernd-aggressiven Episoden unterbrochen wird. Das Cello beginnt mit scheinbar endlosen Ostinato-Figuren. Mitten in diesen Sturm hinein platzt das Klavier mit einer Folge von Pistolenschüssen; besinnungslose kleine Motive von manischer Energie säumen den Weg der Musik. Dennoch gibt es einige wundervolle Klänge in diesem perkussiven Satz, und er steuert unerbittlich auf einen Cluster-Höhepunkt zu.
Das abschließende Largo, länger als die ersten beiden Sätze zusammengenommen, greift ihren Geist und einiges von ihrem musikalischen Material auf. Es beginnt mit einem zerklüfteten Klagegesang des Cellos. Über die lange Strecke des Satzes entspinnt Schnittke eine Musik von trostloser, umso tieferer Schönheit. Am Ende,wenn ihre Kraft aufgezehrt ist, driftet die Sonate in die Stille ab.”
1996
Alfred Schnittke: Cellosonate (1978)
Die Werke des Deutsch-Russen Alfred Schnittke gehören zu den meist aufgeführten zeitgenössischen Kompositionen. Seine Instrumentalmusik fand durch Interpreten wie Gidon Kremer weiteste Verbreitung, seine Bühnenwerke von Der Idiot bis zu der jüngst in Wien uraufgeführten Gesualdo-Oper gehören zu den wenigen zeitgenössischen Opern mit Repertoirewert. Ein Grund für die “Popularität” seiner Musik ist ihr starker Bezug zur Vergangenheit, ein Verfahren, das man bei Schnittke als “Polystilistik” bezeichnet: “Tonales und Atonales, Tango und Passacaglia, B-A-C-H und Walzer, liturgische Formeln, Barockes und Klassisch-Romantisches, Banales und Artifizielles werden gegeneinandergesetzt und bedingen sich doch wechselseitig durch Konstruktion und Dramaturgie.” (W.-W. Sparrer) Dabei ist für den Ausdruck ein “Zwielicht aus melodischer Süße und kritischer Trauer” typisch, das nicht von ungefähr an Schostakowitsch erinnert.
Außer zwei Cellokonzerten hat Schnittke auch eine Cellosonate komponiert, die zu seinen häufig gespielten Werken gehört. Das 1978 entstandene Stück beginnt mit einem klagenden Cellosolo im Rhythmus einer barocken Sarabande. Das Klavier greift diesen Gestus über einem langen Orgelpunkt des Cellos auf. Als zweiter Satz schließt sich attacca ein Perpetuum mobile an, das von einer unerbittlichen chromatischen Achtelbewegung beherrscht wird. Sie wird zunächst vom Cellisten solo vorgestellt, dann vom Pianisten allmählich rhythmisch und harmonisch grundiert, schließlich von diesem in Vergrößerung (in Viertelnoten) aufgegriffen, bis die Rollen vertauscht werden. Zwei derbe Walzer-Episoden durchbrechen den unerbittlichen Fluß. Der Schlußsatz besteht aus einem großen Klagegesang des Cellos über liegenden Klavierakkorden. Rückgriffe auf den ersten und zweiten Satz runden die Sonate ab.