„Der Feuervogel“
Werkverzeichnisnummer: 3015
1. Tempo giusto
2. Allegretto
3. Con moto
Igor Strawinsky komponierte sein Ballett „Der Feuervogel“ zwischen November 1909 und Mai 1910 in St. Petersburg. Die Wurzeln des Werkes liegen weniger in der Komponierstube des jungen Maestro als vielmehr in der Kaiserlichen Ballettschule am St. Petersburger Marjinsij-Theater. Aus dieser hohen Schule des russischen Balletts war 1898 ein gerade mal 18jähriger Solotänzer hervorgegangen, der in den nächsten zwei Jahrzehnten alles in den Schatten stellen sollte, was Russland an genialen Choreographen hervorgebracht hatte. Sein Name war Michail Fokin, er war Petersburger wie Strawinsky, und auch er wurde wie sein musikalischer Freund 1910 vom Impresario Diaghilew für die in Paris auftretenden „Ballets Russes“ engagiert. Dort, in der Seinemetropole, choreographierte er die Uraufführungen von einigen der bedeutendsten Ballettmusiken der Tanzgeschichte: Strawinskys „Feuervogel“ und „Petruschka“, Ravels „Daphnis et Chloé“ und Richard Strauss´ „Josephslegende“. So vielfältig wie diese Stoffe und der Stil ihrer Partituren war auch die Begabung Fokins, der eine ganz neue Ästhetik des Ausdruckstanzes begründete. Er forderte als erster je individuelle Bewegungen statt vorgefertigter Muster, Ausdrucksgebärden, eine poetische Tanzmimik und vor allem ganzheitliche Bewegungen im Gruppentanz, den er als eine Art kollektiven Körper verstand.
Das erste Ballett, in dem er all diese Forderungen umsetzen konnte, war Strawinskys „Feuervogel“, ein 45minütiges Handlungsballett über Gestalten und Erzählungen aus den russischen Volksmärchen. Fokin und Strawinsky hatten gemeinsam drei verschiedene Märchen zu einer Handlung verbunden: das Märchen vom standhaften Zarewitsch, der die verzauberte Zarewna erlöst; die Legende vom wundersamen Feuervogel und die Erzählung vom bösen Zauberer Kaschtschej. Sowohl für die Musik als auch für die Tänzer bot die Gegenüberstellung dieser vier Figuren eine ideale Vorlage: Fokin konnte als Zarewitsch zur strahlend-hellen, durchweg diatonischen Musik Strawinskys brillieren, an seiner Seite seine Frau Vera Fokina. Die Welt des Bösen in Gestalt des Zauberers wurde durch den Tänzer Enrico Cechhetti verkörpert, den Strawinsky das „akademische Gewissen der Diaghilew-Truppe“ nannte. Er bewegte sich zu der düster-chromatischen Musik, die ihm zugeordnet war, in klassischen Schritten und Gesten. Zwischen beiden Welten stand der Feuervogel, den Tamara Karsavina verkörperte. Am Ende siegt das Gute über das Böse, die Aura des volksmusikalisch Hellen über das chromatisch Dunkle.
Strawinsky hat aus den 19 Musiknummern des Balletts drei verschiedene Konzertsuiten zusammengestellt: die 1. von 1911, die 2. von 1919 und die 3. von 1945. Wir hören die erste, die aus fünf Nummern besteht. Nach der Introduktion werden wir in der ersten Nummer in den Zaubergarten Kaschtschejs geführt und erleben den Tanz des Feuervogels. Nach dem 2. Satz (Bitte des Feuervogels) folgen das Spiel und der Reigen der Prinzessinnen. Letzterer wurde weltberühmt, als ihn Strawinsky 1946 für den Slow Foxtrott Song „Summer Moon“ freigab, den Lou Singer arrangierte. Der Höllentanz Kaschtschejs, die Schlussnummer der Suite, wurde im klassischen Sektor ähnlich populär wie überhaupt „Der Feuervogel“ Strawinskys Weltruhm über Nacht begründete.