Der Wind (1908), Musik zu einer Tanzallegorie für fünf Instrumente
Werkverzeichnisnummer: 2999
Franz Schreker, dessen Renaissance als Opernkomponist derzeit die Opernhäuser Deutschland sbewegt, wurde als szenisches Musiktalent schon früh entdeckt. Als gerade 24jähriger erlebte er im Bösendorfer-Saal in Wien die Konzertpremiere seiner ersten Oper Flammen im Klavierauszug. Unmittelbar danach begann er mit der Arbeit an Libretto und Musik von Der ferne Klang, jener Oper, deren Premiere ihm zehn Jahre später zum sensationellen Durchbruch verhelfen sollte. Seine frühen Stücke ordnen sich nahtlos ins Ambiente der Wiener Jahrhundertwende ein. Dies wurde 1908 deutlich, als die Tänzerin Grete Wiesenthal die Kunstschau der Wiener Secession mit Schrekers Pantomime Der Geburtstag der Infantin eröffnete.
In dem selben Jahr und ebenfalls für Grete Wiesenthal komponierte er die Tanzallegorie Der Wind. Ihre Quintettbegleitung fügt sich ins damalige Bild der Wiener Experimente mit Vermischungen zwischen sämtlichen Gattungen ein, hier also zwischen Kammermusik und Tanz. Das zehnminütige Stück, uraufgeführt am 3. Februar 1909 im Raimund-Theater in Wien, offenbart die freiere harmonische Sprache, die Schreker sich bis 1908 angeeignet hatte: Changieren zwischen den Tonarten, Weiträumigkeit der Linie, eine eigenwillige, sich gleichsam windende melodische Linien. Meisterhaft ist die Instrumentierung, die in quasi-orchestralen Mischungen aus Streicher- und Bläserklängen der Darstellung des Windes nichts schuldig bleibt.
“Die weiblichen Hauptpersonen waren gewöhnlich unschuldige Drachen mit einem erschreckenden sexuellen Appetit und einem bemerkenswerten Mangel an Hemmungen, weswegen sie den unwiderstehlichen Verführungskünsten dämonischer und schneidiger Baritone erlagen, die ihrerseits im Sog ihrer dunklen Leidenschaft tragisch und unrettbar zugrundegingen. Alles war üppig, prächtig, großartig, glänzend, pathetisch, verdorben, lasterhaft, suggestiv, reich, phänomenal und superkolossal, genauso wie sich ein Spießer, der sich nach Luxus und Größe sehnt, die ewige Schönheit und tiefe Tragik dieser Welt vorstellt.” Nicht eben zurückhaltend ist der Komponist Ernst Krenek mit den Opern seines Wiener Lehrmeisters Franz Schreker ins Gericht gegangen. Und doch enthalten diese Zeilen aus Kreneks Erinnerungen “Im Atem der Zeit” den Kern von Schrekers Ästhetik in seltener Verdichtung. Krenek wurde 1916 Schrekers Schüler und konnte die Sensationserfolge seines Lehrers besonders auf Deutschlands Bühnen aus nächster Nähe verfolgen: die Uraufführung der “Gezeichneten” in Frankfurt am Main 1918, wo bereits 1912 “Der ferne Klang” seine Premiere erlebt hatte, die ebenso sensationellen Produktionen von “Der Schatzgräber” und “Irrelohe”.
Diese Erfolge beruhten nicht nur auf der “beunruhigenden Morbidität der Stoffe”, wie es Krenek nannte, sondern auch auf der Suggestionskraft der Musik: “Die Musik, in die Schreker seine Tagträume einer verlängerten Pubertät kleidete, war dementsprechend schwelgerisch, von Klangfülle übersättigt, eine Art aufgebauschter Kreuzung von Debussy und Puccini mit einer Spur von modernistischem Wiener Raffinement… Meistens war es ein reichhaltiger, pikanter Eintopf aus schweren, klebrigen Melodien, die zu einem eindrucksvollen, sinnverwirrenden Gemisch zusammengerührt worden waren, das einem schnell zu Kopfe stieg… In gewisser Hinsicht war der Malstil der Wiener Sezessionisten das Pendant zu dieser Musik” (Krenek).