Sinfonia g-Moll für neun Bläser (1817)
Werkverzeichnisnummer: 2990
Andante – Allegro
Wer einmal auf dem malerischen Panoramaweg vom hochgelegenen Stadtteil San Vigilio hinunter in die Oberstadt von Bergamo das kleine Haus besucht hat, in dem er zur Welt kam, der dürfte sich gewundert haben, wie in einem so bescheidenen Heim ein Genie der italienischen Oper heranreifen konnte. Die Verwunderung weicht, wenn man die kleine Ausstellung näher betrachtet, die die Donizetti-Gesellschaft in den niedrigen Räumen zusammengetragen hat: Opernplakate von anno dazumal künden von einer Begeisterung fürs Musiktheater, wie sie selbst Deutschland kaum jemals erreicht hat. Zu Donizettis Zeiten unterhielt Bergamo – eine ehemals venezianische Festungsstadt in der Lombardei – gleich zwei Opernhäuser. Klingende Komponisten-Namen wie Simone Mayr, Rossini und Donizetti selbst prangen auf den Plakaten. Sie annoncieren große Opern über welthistorische Stoffe, in denen die Stadt alles aufbot, was geigen, pfeifen oder singen konnte – darunter nicht wenige Bläser. Italienisch als Banda bezeichnet, sind sie auf jedem Plakat eigens aufgeführt, denn die „Banda sul palco“, die Blaskapelle auf der Bühne, war ein Attraktion der italienischen Oper. Bei Aufmärschen, Triumphzügen, Trauerszenen etc. tat sie ihren Dienst, wie man es noch heute im wirklichen Leben Italiens bei Fronleichnamsprozessionen, Beerdigungen und Umzügen aller Art erleben kann.
In Bergamo war es der geborene Bayer Simone Mayr, der den entscheidenden Anstoß zur späten so regen „Blasmusik“ gab. Er war der beherschende Opernkomponist in der Generation zwischen Cimarosa und Rossini, Donizettis Lehrer und ab 1802 Kapellmeister an Santa Maria Maggiore, der schönsten Kirche von Bergamo. Dort führte er gleich zu Beginn die Bläser in die Kirchenmusik neu ein. Außerdem wandelte er die Musikschule der Kirche in das erste Konservatorium der Lombardei um, so dass die Zöglinge nun auch Blasinstrumente bei professionellen Lehrer studieren konnten. Auch davon kann man bei Spaziergängen im heutigen Bergamo träumen, wenn aus den Fenstern des Palazzo, in dem das Conservatorio noch immer untergebracht ist, Flöten- und Klarinettenklänge ertönen. Sie erinnern daran, wie einst ein Kompositionsschüler des Instituts mit Studienkollegen seine Sinfonia in g-Moll für Bläser einstudierte: Gaetano Donizetti.
Er war 1812-15 Schüler am Konservatorium seiner Heimatstadt, bevor ihm ein Stipendium das Studium in Bologna ermöglichte. Dort schrieb er im Rahmen des Studiums seine Bläsersinfonia, datiert Bologna lì 19 Aprile 1817. Sie war ein Übungsstück im reinen Bläsersatz, so wie seine ersten Sinfonien und Streichquartette Studien im reinen Streicher- bzw. Orchesterklang waren. Wer Donizettis Streichquartette kennt, weiß, dass man es bei diesen frühen Arbeiten nicht mit schülerhaften Versuchen, sondern mit Vorboten eines Genies von fast schubertischer Begabung zu tun hat. Nach seiner Rückkehr aus Bologna wurden die Werke auch in Bergamo aufgeführt.
Bei einem Komponisten, dessen Talent schon damals der Bühne zustrebte und der im folgenden Jahr 1818 seine Debüt-Oper in Venedig herausbringen sollte, ist es nicht verwunderlich, dass auch die Bläsersinfonie nach Oper klingt. Ihr Titel Sinfonia meint nicht etwa eine klassische Sinfonie in vier Sätzen, sondern nach dem älteren italienischen Sprachgebrauch die Ouvertüre zu einer Oper. Wie in einer echten Opernouvertüre für Orchester folgt auf eine kurze langsame Einleitung ein Allegro von melodramatischem Zuschnitt. Die Themen verraten schon die ausgeprägte Individualität des Operista: die sprechende Melodik im Hauptthema, das Pathos der marschartigen Überleitungen und das walzenartige zweite Thema, das wie in einem Opernensemble durch die Stimmen wandert.
2002
GAETANO DONIZETTI
Sinfonia g-Moll (1817)
Wer einmal auf dem malerischen Panoramaweg vom hochgelegenen Stadtteil San Vigilio hinunter in die Oberstadt von Bergamo das kleine Haus besucht hat, in dem Gaetano Donizetti zur Welt kam, der dürfte sich gewundert haben, wie in einem so bescheidenen Heim ein Genie der italienischen Oper heranreifen konnte. Die Verwunderung weicht, wenn man die kleine Ausstellung näher betrachtet, die die Donizetti-Gesellschaft in den niedrigen Räumen zusammengetragen hat: Opernplakate von anno dazumal künden von einer Begeisterung fürs Musiktheater, wie sie nur in Italien möglich war. Zu Donizettis Zeiten unterhielt Bergamo – eine ehemals venezianische Festungsstadt in der Lombardei – gleich zwei Opernhäuser. Klingende Komponisten-Namen wie Simone Mayr, Rossini und schließlich Donizetti selbst prangen auf den Plakaten. Sie annoncieren große Opern über welthistorische Stoffe, in denen die Stadt alles aufbot, was geigen, pfeifen oder singen konnte – darunter nicht wenige Bläser. Sie sind sie auf jedem Plakat eigens aufgeführt, denn die Banda sul palco, die Blaskapelle auf der Bühne, war eine der großen Attraktionen der italienischen Oper. Bei Aufmärschen, Triumphzügen etc. tat sie ihren Dienst, wie man es noch heute im wirklichen Leben Italiens an Fronleichnam, bei Beerdigungen und Umzügen aller Art erleben kann.
Der geborene Bayer Simone Mayr war der entscheidende Anreger für die Erneuerung des Bläserklangs in Bergamo. Der beherrschende Opernkomponist in der Generation zwischen Cimarosa und Rossini war Donizettis Lehrer und ab 1802 Kapellmeister an Santa Maria Maggiore, der schönsten Kirche von Bergamo. Dort führte er gleich zu Beginn die Bläser in die Kirchenmusik ein. Außerdem wandelte er die Musikschule der Kirche in das erste Konservatorium der Lombardei um, an dem die Zöglinge nun auch Blasinstrumente bei professionellen Lehrer studieren konnten. Auch davon kündet die heutige Situation, wenn aus den Fenstern des Palazzo, in dem das Conservatorio noch immer untergebracht ist, Flöten- und Klarinettenklänge ertönen.
Sie erinnern daran, wie einst ein Kompositionsschüler des Instituts mit Studienkollegen seine Sinfonia in g-Moll für Bläser einstudierte: Gaetano Donizetti.
Er war 1812-15 Schüler am Konservatorium seiner Heimatstadt, bevor ihm ein Stipendium das Studium in Bologna ermöglichte. Dort schrieb er im Rahmen des Studiums seine Bläsersinfonia, datiert Bologna lì 19 Aprile 1817. Sie war ein Übungsstück im reinen Bläsersatz, so wie seine ersten Sinfonien und Streichquartette Studien im reinen Streicher- bzw. Orchesterklang waren.
Wer Donizettis Streichquartette kennt, weiß, dass man es bei diesen frühen Arbeiten nicht mit schülerhaften Versuchen, sondern mit Vorboten eines Genies von fast schubertischer Begabung zu tun hat. Nach seiner Rückkehr wurden diese Werke auch in Bergamo aufgeführt – zur Freude seines alten Lehrers Mayr und seiner Mitschüler.
Bei einem Komponisten, dessen Talent der Bühne zustrebte und der schon im folgenden Jahr 1818 seine Debüt-Oper in Venedig herausbringen sollte, ist es nicht verwunderlich, dass die Bläsersinfonie nach Oper klingt. Ihr Titel Sinfonia meint nicht etwa eine klassische Sinfonie in vier Sätzen, sondern nach dem älteren italienischen Sprachgebrauch eine Ouvertüre. Wie in einer echten Opernouvertüre folgt auf eine kurze langsame Einleitung ein Allegro von melodramatischem Zuschnitt. Die Themen verraten schon einiges von Donizettis Bühnentalent: die „sprechende“ Melodik im Hauptthema, das Pathos der marschartigen Überleitungen und das walzenartige zweite Thema, das wie in einem Opernensemble von Stimme zu Stimme wandert.