“Im Nebel” (V Mlhách)
Werkverzeichnisnummer: 2985
1. Andante
2. Molto adagio
3. Andantino
4. Presto
Der tschechische Nationalkomponist Leos Janácek führt auch heute noch ein Schattendasein im gängigen Konzertrepertoire, doch sein Einfluss auf die ihm nachfolgende tschechische Künstlergeneration und auf die Entwicklung der Musik des 20. Jahrhunderts insgesamt ist unbestritten. Die Kompositionen für Klavier nehmen im Schaffen Janáceks zwar keinen großen Raum ein, doch zählen seine drei großen Klavierkompositionen, die zwischen 1901 und 1912 entstanden, die “Sonate 1.X.1905”, “Auf verwachsenem Pfade” und “Im Nebel” mit zu dem Charakteristischsten, was er geschrieben hat. “Sie können als eine Art Tagebuch, ja fast sogar als eine Beichte emotionaler Höhen und Tiefen über die Jahre hinweg angesehen werden” (R. Firkusny).
Janácek, Jahrgang 1854, schlug zunächst eine pädagogische Laufbahn in Brünn ein. Seine musikalische Ausbildung erhielt er erst ab 1874 an der Prager Orgelschule, wo er ein Jahr später auch im Fach Klavier sein Examen ablegte sowie durch zwei nach kurzem Aufenthalt abgebrochene Studien in Leipzig und Wien. Lange Jahre war Janácek nur eine lokale Größe seiner Heimatstadt Brünn. Erst spät gelangte er mit der Erstaufführung seiner 1894/1903 entstandenen Oper “Jenufa” in Prag im Jahr 1916 zu internationaler Anerkennung. Die Jahre davor waren von physischen und psychischen Krisen gezeichnet. Seine Tochter Olga starb 1903, seine Ehe war zerrüttet und seine Werke wollten eigentlich niemanden wirklich interessieren (seine Oper “Jenufa” war noch 1903 in Brünn auf Ablehnung gestoßen). Die Hoffnungslosigkeit auf eine große künstlerische Karriere drückt sich in den Worten Janáceks an seinen Komponistenkollegen Josef Foerster aus: “Ich sah in meiner Arbeit keinen Wert mehr und glaubte kaum, was ich sagte. Ich war zu der Überzeugung gelangt, dass niemals jemand Notiz von meiner Arbeit nehmen würde”.
Der vierteilige Zyklus “Im Nebel” von 1912, scheint eben diese biografische Situation auszudrücken. Es ist ein impressionistisch anmutendes Werk, dass auf Janáceks emotionale Empfindlichkeit und auf sein künstlerisches Experimentieren verweist. Das viersätzige Werk ohne programmatische Überschriften kann atmosphärisch als “rätselhaft” beschrieben werden. Scharfe Kontraste kennzeichnen das Werk, das insofern keineswegs nur verhangene Nebelfarben nachzeichnet, sondern geradezu bildlich die Suche Janáceks nach neuem musikalischem Ausdruck wiederspiegelt. Das Andante beginnt mit einem ersten Thema in sanften Bewegungen, dem sich ein kantabler Seitengedanke anschließt, ein langsamer Choral, der zum exponierten Höhepunkt getrieben wird, bevor sich der Bogen in Reminiszenz an den Anfang wieder neigt und abschließende Arpeggien den Hörer in den “Nebel” entlassen. Das anschließende Molto adagio beginnt weich und wehklagend mit einem Viertaktmotiv aus dem sich im Mittelteil schnelle 32-tel herausheben. Wie ein banges, immer wieder abbrechendes Lied erklingt das Andantino mit seinen unregelmäßigen Perioden, dessen Stimmung im Mittelteil durch ein drohendes Fanfarenmotiv kurz zerrissen wird. Das folgende Presto ist am stärksten gekennzeichnet von unvermittelten und rasch wechselnden fragmentarischen Melodien und schroffen rhythmischen Gegensätzen. Kurz vor dem Ende erklingt im fortissimo der unheilklingende Ruf des Käuzchens, ein autobiografisches Bekenntnis?