Sonate für Flöte und Klavier D-Dur, op. 94
Werkverzeichnisnummer: 2980
1. Moderato
2. Presto – poco meno mosso
3. Andante
4. Allegro con brio – poco meno mosso
Noch im zaristischen Russland vor 1917 legte Sergej Prokofieff den Grundstein zu seiner Karriere. Danach bewegte er sich auf internationalem Parkett: ab 1918 in den USA, in den 20er Jahren in Deutschland und Italien, schließlich in Paris, das ihm in den 30er Jahren zur zweiten Heimat wurde. Erst 1936 kehrte er in die UdSSR zurück – in ein Land, das von der rücksichtslosen Machtpolitik Stalins zunehmend bedrückt und von Vorahnungen des Krieges bedrängt wurde und dem sich Prokofieff dennoch menschlich zutiefst verpflichtet fühlte.
Musikalisch blieb er – im Gegensatz zu dem 15 Jahre jüngeren Schostakowitsch, für den die Stalinzeit zum Trauma seiner Kunst wurde – auch in der Sowjetunion ganz Weltmann. Die ihm eigene polyglotte Stilvielfalt, die ihm sehr wohl bewusst war, hat er in vier Linien unterteilt: „Die Hauptlinien, die mein Schaffen bestimmen, sind folgende: die klassische Linie, die bis in die frühe Kindheit zurückreicht, als meine Mutter mir die Sonaten von Beethoven vorspielte, … die Innovationslinie, eine Suche nach einer Sprache, um starke Emotionen auszudrücken, … die toccatische bzw. motorische Linie, die wahrscheinlich von der Toccata Schumanns herrührt, die mich seinerzeit sehr beeindruckte,… und die lyrisch-kontemplative Linie, manchmal verbunden mit einer längeren Melodie“.
Die Flötensonate in der strahlenden Tonart D-Dur ist ganz der „klassischen“, „lyrischen“ und (im Scherzo) der „motorischen Linie“ verpflichtet. Obwohl das Stück mitten im Zweiten Weltkrieg 1943 entstand, lässt es in seiner lichten Daseinsfreude von den Schatten des Krieges nichts erahnen. Prokofieff komponierte es in Perm „an den bewaldeten Ufern der Kama, eines der größten Nebenflüsse der Wolga“, wohin er evakuiert worden war. In der Uralstadt mit ihrem viel zu kleinen Theater hatte sich das Ensemble des Kirowtheaters notdürftig einrichten müssen, und wieder einmal komponierte Prokofieff für die virtuosen Tänzer eine Ballettmusik (Cinderella). Vielleicht inspiriert vom zauberhaften Sujet des Balletts, entstand die Flötensonate, die schon im Dezember 1943 von Sviatoslav Richter am Klavier und dem Flötisten Charkowski in Moskau uraufgeführt wurde.
Für die Flötisten ist es die einzige Sonate, die mit den romantischen Violin- und Cellosonaten konkurrieren kann: technisch ungemein anspruchsvoll, was die Beherrschung der dritten Oktav und die Geläufigkeit anbelangt, zugleich romantisch im Ausdruck und klassisch in der Form. Der Flötist Gustav Scheck meinte, im ersten Satz sei die „klassizistische Form leicht überschaubar, ihr spätromantischer Geist aber muss durch die Nuance, durch erhöhte Farbigkeit des Timbrewechsels und durch starke Kontraste erweckt werden.“ Als Beispiele für den „spätromantischen Geist“ führte Scheck das kantable, in der dritten Oktav liegende zweite Thema, einen idealisierten Marsch, an sowie die kantablen Nuancen des fließenden Hauptthemas. „Das fantastische Scherzo enthält wohl die raschesten Sechzehntel der gesamten Flötenliteratur. Der dritte Satz, Andante, ist getragen von Serenität und idyllischer Stimmung. Die Triolen, die dem Murmeln eines Baches vergleichbar sind, vertragen ein Poco meno des Tempos.“ Der vierte Satz, ein Allegro con brio in Rondoform, wird von rustikalen Tanzthemen, „hübschen Arpeggi im zweiten Thema“ und virtuosen Terzpassagen bestimmt.