Quintett für Klarinette und Streichquartett Es-Dur, op. 102
Werkverzeichnisnummer: 2978
1. Allegro molto moderato
2. Allegro scherzando
3. Andante sostenuto
4. Allegretto grazioso
„Fuchs ist ein famoser Musiker. So fein und so gewandt, so reizvoll erfunden ist alles, man hat immer seine Freude daran!“ Selten hat Johannes Brahms einen Kollegen so uneingeschränkt gelobt, selten eine so deutliche Nähe zu seiner eigenen Musik verspürt wie im Falle von Robert Fuchs.
Wenn man die Lebens- und Schaffensdaten der beiden miteinander vergleicht, fällt auf, dass sich die Wiener Karriere von Fuchs in etwa parallel zur Etablierung des 14 Jahre älteren Hamburgers in der K. und K. Metropole abspielte. Fuchs als Brahms-Epigonen zu bezeichnen, ist deshalb historisch falsch. Sie haben parallel gewirkt, wobei der Jüngere in seiner Bescheidenheit, seiner unprätentiösen Ästhetik und dem schieren Können Brahms so nahe kam wie kaum ein anderer. Dass es in den Werken von Fuchs so seltsam „brahminisch“ zugeht, hängt mit dieser Wahlverwandtschaft zusammen. Es war schlicht Sympathie – menschlich wie künstlerisch -, welche die beiden Wahlwiener miteinander verband, und Brahms hat dies in seinen Briefen auch Dritten gegenüber zur Genüge bekundet. So hat er etwa an der Entstehung der Fuchs-Oper Die Königsbraut 1888 regen Anteil genommen – nicht zuletzt deshalb, weil er seine eigenen Opernpläne damals noch nicht ad acta gelegt hatte. Dass dem Werk des Freundes kein Erfolg beschieden war, hat er ehrlich bedauert. Auch den Sinfoniker Fuchs hat er nie als Konkurrenten empfunden. Beide fanden eine gemeinsame Wurzel in Franz Schubert, dessen Musik in der ihren aufgehoben erscheint.
In die Annalen der Wiener Musikgeschichte ist Robert Fuchs freilich weder als Brahmsfreund noch als Schubertverehrer eingegangen. Sein Schaffen wird gewöhnlich unter zwei anderen Schlagworten subsumiert. Einerseits gilt er als der „Serenaden-Fuchs“, weil er in Wien der Gattung der Orchesterserenade und diese wiederum ihm zum Durchbruch verhalf; andererseits war er der Lehrer so prominenter Schüler wie Gustav Mahler, Hugo Wolf, Arnold Schönberg, Franz Schreker und Alexander von Zemlinsky. Sie alle gingen durch seinen Unterricht in den Fächern Harmonielehre und Kontrapunkt am Wiener Konservatorium ,- zu ihrem Vor-, nicht Nachteil. Auch hier kann man, wie bei seiner Freundschaft mit Brahms, von einer wechselseitigen Anerkennung und Beeinflussung sprechen, die den Spätwerken von Fuchs eine Aura von Mahler und frühem Schönberg verleiht.
Eine weitere Eigenart des Robert Fuchs war seine Anhänglichkeit an die steirische Heimat. Er wurde am 15. Februar 1847 in Frauenthal im Sulmtal geboren, und zwar als 13. Kind eines keineswegs wohlhabenden Schullehrers, Organisten und Komponisten – eine sozusagen grundsteirische Familie. Was ihnen an materiellen Gütern abging, das ersetzten sie durch die Musik. So fand der kleine Robert in seinem Schwager in St. Peter im Sulmtal einen eifrigen musikalischen Lehrmeister. Mit 16 trat er in die Fußstapfen seines fünf Jahre älteren Bruders Johann Nepomuk, der in Graz als Komponist und Leiter des Akademischen Gesangsvereins sein Glück gemacht hatte, und ging in die steirische Hauptstadt. Während er den Präparandenkurs zum Lehramt absolvierte – daher seine später so erfolgreiche Didaktik -, perfektionierte er sich musikalisch beim Domorganisten Carl Seydler. 1865 zog es ihn dann doch weiter nach Wien, wo er Desoff-Schüler wurde und nach nur zwei Jahren am Konservatorium eine h-Moll-Sinfonie (seine „Nullte“) als Abschlussarbeit vorlegte, die von den Philharmonikern in Teilen aufgeführt und mit einer Silbermedaille ausgezeichnet wurde. 1874 begann er mit der Serie seiner fünf Orchesterserenaden, seinem größten Erfolg zu Lebzeiten. Die Uraufführung der ersten Serenade Opus 9 wurde für ihn zum Durchbruch beim Wiener Publikum, dem er erst viel später seine beiden ersten Sinfonien folgen ließ. Er schrieb sie erst, nachdem Brahms seinen sinfonischen Zyklus bereits beendet hatte: 1886 und 1887. Die Dritte ließ weitere zwei Jahrzehnte auf sich warten (1907) und fand erst in einer Aufführung unter Felix Weingartner breitere Anerkennung, die 1923 zum 75. Gebustag des Komponisten erklang. Er starb 5 Jahre später, wenige Tage nach den Feiern zu seinem 80. und – so wird berichtet – aus Erschöpfung über dieselben.
Im Schatten der Orchesterwerke schuf Fuchs in 50 Jahren kompositorischer Tätigkeit in Wien ein umfangreiches Chor-, Lied- und Kammermusikschaffen. Letzteres umfasst 20 Opera in den Genres der Zeit: neben dem Klarinettenquintett diverse Streich- und Klavierquartette, zwei Cellosonaten und sechs Violinsonaten.
Das Klarinettenquintett steht ganz am Ende dieser Serie. Fuchs schrieb es Anfang 1917, im Vorfeld seines 70. Geburtstags, der ebenso aufwendig musikalisch gefeiert wurde wie die beiden folgenden runden. Zum Festkonzert-Programm in Wien gehörte die Uraufführung des Klarinettenquintetts im März 1917, die von Presse und Publikum einhellig gefeiert wurde. Avantgardistische Maßstäbe legte man an den Altmeister aus der Brahmsära nicht an, und so hörte auch der Kritiker der Neuen Presse aus dem Quintett nur „den Duft frischer Frühlingsblumen“ heraus.
Reminiszenzen an das Klarinettenquintett von Brahms aus dem Jahre 1891 müssen Fuchs schon bei der Komposition begleitet haben. Brahms hatte mit seinem h-Moll-Quintett, op. 115, sein letztes größeres Kammermusikstück komponiert, und so drängt sich auch beim Hören des Fuchs-Quintetts der Eindruck eines kammermusikalischen „Schwanengesangs“ auf. Zu schön, zu rund und selig beschwingt kommt diese Musik für das Jahr 1917 daher, um nicht auch wehmütiger Nachgesang auf die entschwundene Epoche der Brahmszeit zu sein.
Dabei ist Fuchs dem Vorbild des Brahmsquintetts in Tonart und Form scheinbar ausgewichen: Der erste Satz greift zwar im schwingenden Dreiermetrum auf diverse Brahms-Opera zurück (op. 78, 111, 115), doch die Tonart Es-Dur suggeriert leichte, lichte Helle, wo sich Brahms in grüblerischem h-Moll verstrickt. Die drei Themen des Satzes sind wunderbar aufeinander abgestimmt: Über einem erwartungsvoll gespannten rhythmischen Klanggrund der Streicher singt die Klarinette ein Thema aus gebrochenem Durdreiklang und empfindsamer Vorhaltswendung. Nachher taucht die erste Violine mit diesem Thema in einen pastosen Brahmsklang aus satten Streicherakkorden und Klarinetten-Arpeggi ein. Die Überleitung wirkt straussisch kapriziös, nimmt dann aber doch eine typische Brahmswendung nach Moll. Die Idee, das Seitenthema ganz unbestimmt vor sich hin modulieren zu lassen, bis es sich in einem Fanfarenmotiv sammelt, ist ein reizvoller Einfall des „Serenaden-Fuchs“. In der Durchführung wechselt die brahmsische Verarbeitung des Hauptthemas mit Intermezzi über das Fanfarenmotiv ab. Wie dabei der Klang pastos und schwelgend sich auslebt in satten Mittellagen, das wäre selbst einem Robert Fuchs ohne das Klarinettenquintett von Brahms wohl kaum eingefallen.
Das Scherzo steht anders als im Brahmsquintett an zweiter Stelle, und es gewinnt einen ganz eigenständigen Charakter durch sein chevalreskes Thema, das sich allmählich in wienerischen Plauderton verstrickt. Ein träumerisches Trio der Streicher unterbricht diese Genreszene.
Im Andante konnte Fuchs Reminiszenzen an das herrliche Adagio des Brahmsquintetts wohl kaum vermeiden. Trotz eigenständiger Melodik schwingt sich der Satz zu jener leicht ungarisch gefärbten Wehmut auf, die Brahms so unnachahmlich einfing, und auch die pastose Fülle der Klangfarben, bei der die Streicher die Klarinette oft genug in die Mitte nehmen, ist dem klangsatten Vorbild des berühmten Kollegen abgelauscht. Es wirkt fast so, als habe Fuchs nach 26 Jahren den herrlichen Abschiedsgesang seines verstorbenen Freundes noch einmal aufgreifen und in ein fremd gewordenes Jahrhundert hineinsingen wollen.
Das Finale war seine letzte Verneigung vor dem Freund: Variationen wie im Finale des Opus 115. Das Variationenthema ist hier jedoch den Streichern anvertraut, und es ist so stark mit Chromatik durchsetzt, dass es schon deutlich der Strauss-Reger-Epoche angehört. In diese Richtung einer gleichsam vagierenden Jahrhundertwende-Musik gehen auch die Variationen mit ihren raumgreifenden Dialogen zwischen Klarinette und Streichern, die in einer effektvollen Coda gipfeln. Man darf der englischen Klarinettistin Thea King Recht geben, die meinte, dass Fuchs hier „the flavours of the young Mahler, Strauss and Schönberg“ angenommen habe.