"Nur wer die Sehnsucht kennt," D 877 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Franz Schubert

"Nur wer die Sehnsucht kennt," D 877

„Nur wer die Sehnsucht kennt“, D 877 nach Texten von Goethe: „Wilhelm Meisters Lehrjahre“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2952

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

Mit Franz Schubert beginnt die Geschichte der Goethe-Rezeption im deutschen Lied. Historisch gesehen, ist diese Behauptung natürlich falsch – Goethe wurde schon viel früher und in ganz anderen Kulturkreisen vertont als im Wien der nach-napoleonischen Ära. Doch es war Franz Schubert, der als erster junger Liedkomponist des 19. Jahrhunderts seine ganze Hoffnung und sein höchstes Ideal an Goethe klammerte – vergeblich, wie wir wissen. Auf die Übersendung eines Goethe-Liederheftes im April 1816 reagierte der Dichterfürst im fernen Weimar ebensowenig wie auf die Bekanntheit späterer Goethe-Lieder Schuberts, etwa des Erlkönig. Ein zweites GoetheLiederheft stellte Schubert zwar noch zusammen, ließ es aber angesichts des eisigen Schweigens des Meisters zuhause liegen. Seiner Begeisterung für die Lyrik des Klassikers tat dieser Rückschlag keinen Abbruch.

Das Gretchen aus dem Faust und Mignon, das geheimnisvolle Kindwesen aus Goethes Wilhelm Meister, stellte Schubert schon in den beiden frühen Goethe-Heften in den Mittelpunkt. Im ersten war Gretchen am Spinnrade enthalten, das vielen heute als der Beginn der Romantik in der Musik überhaupt gilt; im zweiten Schuberts Vertonung von Kennst du das Land, D 321.

Beiden Frauengestalten blieb der Komponist auch späterhin treu, bis zu seiner im Januar 1826 geschriebenen letzten Vertonung der drei Mignonlieder Heiß mich nicht reden, So laßt mich scheinen und Nur wer die Sehnsucht kennt. Die Nähe zur Winterreise aus dem folgenden Jahr ist in diesen späten Gesängen bereits zu spüren und die großartige Entwicklung, die Schubert in nur 10 Jahren als Liederkomponist genommen hatte, offensichtlich. Über die Umsetzung der Texte sich im Detail zu verbreiten, ist deshalb nicht nötig. Von der Kreisbewegung der Klavierbegleitung in Gretchen am Spinnrade bis hin zum „Todesrhythmus“ Schuberts in Heiß mich nicht reden aus D 877 handelt es sich um klassische „Formulierungen“ deutscher Liedkunst.