Suite aus The Fairy Queen | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Henry Purcell

Suite aus The Fairy Queen

Suite aus The Fairy Queen, Semi-Opera in fünf Akten (London 1692/95)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2909

Satzbezeichnungen

ACT I: Prélude – Hornpipe – Air – Ouverture
ACT II: Prelude – Chacony – Echo – One charming night – Second Act Tune
ACT III: If love’s a sweet passion – Ouverture (Symphony while the swans come forward) – Dance for the fairies – Dance for the green men
ACT IV: Symphony (Canzona-Largo-Allegro) – Thus the ever grateful spring – Here’s the summer sprightly gay – Entry of Phoebus
ACT V: Prelude – O let me weep – Entry Dance – Monkey’s Dance – Chaconne (Dance for a Chinese man and woman)

Erläuterungen

„Wer die Fairy Queen zum ersten Mal hört, dürfte kaum auf Anhieb erkennen, dass sie auf Shakespeares Sommernachtstraum beruht.“ So fasste John Eliot Gardiner nach seiner Gesamteinspielung des Werkes 1981 die Crux von Purcells größtem Bühnenwerk zusammen. Es ist zwar eine „opera“ nach Shakespeares Komödie, hat aber mit ihr so gut wie nichts zu tun. Keinen einzigen Vers aus Shakespeares Stück hat Purcell vertont, und keine einzige Hauptfigur des Schauspiels kommt bei ihm zu sängerischen Ehren.

Der Grund für dieses scheinbar beziehungslose Nebeneinander zwischen Englands größter Komödie und einem seiner besten Opernstücke liegt natürlich nicht in den künstlerischen Vorstellungen Purcells, sondern in den Gepflogenheiten des Londoner Musiktheaters der 1690er Jahre. Auf den Bühnen der Hauptstadt wurden Vollopern, wie sie Purcell 1689 für Mr. Joshua Priests Boarding School in Chelsea geschrieben hatte (Dido and Aeneas), nicht gegeben. Dort bevorzugte man ein Entertainment, dass aus einer Mischung von Theater und Oper bestand, und zwar – wie es Zeitgenossen sahen -, um das englische Publikum, das den durchgehenden Gesang einer Oper nach italienischem Muster nicht vertragen hätte, nicht zu überfordern. Also entschloss man sich zu jener zeitgebundenen Mischung, die unter dem Namen „Semi-Opera“ die Londoner Theater praktisch bis zum Eintreffen Händels 1710 beherrschte.

Weitere Gründe für die spätere Mode der Semi-Opera lagen in den politischen Auseinandersetzungen der ersten Jahrhunderthälfte. König Charles I. hatte, überspitzt formuliert, seinen Kopf im Bürgerkrieg auch deshalb verloren, weil er die Staatskasse durch seine Vorliebe für kostspielige Court Masques, opernähnliche Unterhaltungen, allzu sehr strapaziert hatte. Nachdem die Puritaner 1642 das Sprechtheater verboten hatten, wurden die Bühnen Londons erst 1660 mit der Rückkehr der Stuarts wieder eröffnet. Freilich hütete sich Charles II. davor, auch die Court Masques seines Vaters wiederzubeleben. Er überließ das teure Musiktheater lieber den konzessionierten Theatertruppen der Stadt. Das Repertoire der Londoner Bühnen bestand fortan aus Schauspielen der Vorkriegszeit, also von Shakespeare, Jonson und Marloew, deren barocke Bearbeitungen vor allem den Effekten des Maschinentheaters huldigten.

Purcells The Fairy Queen war eine dieser zeitgemäßen Einrichtungen, basierend auf Shakespeares Sommernachtstraum und vielleicht aufgrund der Vorlage die erfolgreichste Semi-Opera überhaupt. Nach ihrer Uraufführung 1692 kam sie schon 1695 in einer zweiten Fassung mit bedeutenden Erweiterungen heraus. Die beiden Theatertraditionen, aus denen die Semi-Operas entstanden war, sind in beiden Fassungen deutlich zu erkennen: das elisabethanische Schauspiel und die Court Masque. Dramaturgisch wurde diese Ehe so zu Wege gebracht, dass der anonyme Bearbeiter sich im Schauspiel mehr oder weniger überzeugende Stellen für eine festliche Einlage suchte, die dann musikalisch ausgestaltet werden konnte. Das Verfahren erinnert an die zeitgenössische französische Oper, in der die – allerdings gesungene – Handlung immer wieder von unterhaltenden Einlagen, den „divertissements“, unterbrochen wird. Wie in der französischen Oper handelte es sich auch in der Fairy Queen um festliche Szenen mit Soli, Chor und Ballett, die in nur losem Bezug zur Handlung standen. Es fällt deshlab nicht schwer, aus den vielen Tanzsätzen, Vor- und Zwischenspielen für Orchester eine effektvolle Suite aus den fünf Masques der Fairy Queen zusammenzustellen.

Akt I: Vor der ersten Masque erklingt die Ouvertüre zur gesamten Semi-Opera. Sie bestand traditionell aus drei Teilen: der sogenannten „First“ und „Second Music“ und der eigentlichen Ouvertüre. Erstere unterhielten die Gäste vor der Vorstellung und erfüllten die Funktion eines Rufzeichens, doch bitte Platz zu nehmen. Im Falle der Fairy Queen übernimmt diese Aufgabe eine kleine Suite aus vier Tanzsätzen. Daran schließt sich die prunkvolle Ouvertüre mit Trompeten an. Zu der eröffnenden Suite korrespondiert am Aktende ein sogenannter Curtain tune, eine Zwischenaktmusik, wie sie auch jeden folgenden Akt beschließen wird.

In Akt II steht die Einlage an einer Stelle, an der schon bei Shakespeare Musik gefordert war: Titania befiehlt ihrem Gefolge, sie in den Schlaf zu singen, womit das Verhängnis der Nacht seinen Lauf nimmt. Nach barocker Tradition beginnen die Elfen mit einer ausgiebigen Schilderung des „locus amoenus“, an dem die Feenkönigin ruht. Ein Sopran ruft die „songsters of the sky“, die Singvögel, herbei, die in einer Art Chaconne ihr Gezwitscher hören lassen. Zwei Tenöre und ein Bass beschwören das Echo, das die Trompete zurückwirft. Der Elfentanz und Ringelrein, den Titania von den Feen fordert, geht über in eine Szene, die dem Thema „Schlaf“ gewidmet ist. Allegorische Gestalten besingen die amourösen Vergnügen der Nacht („One charming night gives more delight than a hundred lucky days“- „Eine Liebesnacht bringt mehr Genuss als 100 glückliche Tage.“) All dies wird in unserer Fassung rein instrumental nachgezeichnet und ist doch farbiger als so manches Barockgemälde.

Akt III: Da Titania ihren neuen Geliebten, den in einen Esel verwandelten Zettel, mit Musik unterhalten will, während er sich „auf dem Blumenbette ausruht“, gibt es auch hier genügend Zeit für eine vielgestaltige Masque mit Maschinen, besinnlichen und komischen Gesangsnummern. Sie beginnt mit einem melancholischen Duett für Sopran und Bass über das ewige Paradox der Liebe: „If love’s a sweet passion, why does it torment?“ – „Wenn die Liebe eine süße Liedenschaft ist, warum schmerzt sie dann so sehr?“ Purcell schrieb dafür eines seiner schönsten besinnlichen Menuette. Der „Auftritt“ zweier Schwäne, die sich in tanzende Elfen verwandeln, bietet anschließend die Gelegenheit zu einem instrumentalen Zwischenspiel mit einer besonders schönen französischen Ouvertüre (Sinfonie, während die Schwäne erscheinen). Nach diversen komischen Episoden beschließen alle, ein sorgloses Leben in der Liebe zu verbringen.

Akt IV endet mit einer Masque für Oberon. Im Unterschied zu Shakespeare feiert Oberon hier offenbar nicht nur seine Versöhnung mit Titania, sondern auch seinen Geburtstag, zu dem sich hoher Besuch einstellt: Phoebus Apollo persönlich steigt vom Olymp herab. In seinem Gefolge treten die Vier Jahreszeiten auf, die dem Sonnengott nacheinander mit ihren Früchten ihre Reverenz erweisen. Wir hören die Arien des Frühlings und des Sommers. Umrahmt werden die Auftritte dieser Gäste von festlichen Arien und Chören, gesungen von Oberons Gefolge.

Die Masque zu Akt V ist dem Hochzeitsfest der jungen Liebespaare gewidmet, die nach den Wirren der Mitsommernacht wieder glücklich vereint sind. Wer sehnt nicht nach mancher „charming night“ die versöhnende geste eines solchen Schlusses herbei? Auch diese Feierlichkeit wird durch göttlichen Besuch gekrönt. Zunächst steigt Juno zu den Klängen einer „symphony“ auf die Erde herab und singt ihr „Epithalamium“, einen Segenswunsch für die Liebespaare. Danach wünscht sich Oberon – anscheinend als abschreckendes Beispiel für untreue Liebende – das Klagelied der Laura, die von ihrem Geliebten verlassen wurde: „O let me weep“. Diesegroße Sopranarie mit obligater Violine kam erst in der Neufassung von 1695 in die Partitur der Fairy Queen. Sie beruht auf einer komplizierteren Variante jenes chromatisch absteigenden Basses, auf dem Purcell sechs Jahre zuvor den Sterbegesang seiner Dido aufgebaut hatte.

Die zweite Abteilung des Hochzeitsfestes wird von einer Chinoiserie eingeleitet. Chinesen treten auf, die das verlorene Paradies des Naturzustandes, den glücklichen Menschen vor der Einführung der Kultur preisen, ein „Zurück zur Natur“ vor Rousseau. Zum glücklichen Finale fehlt nur noch der Segen des Hochzeitsgottes Hymen. Zwei Frauen und der Chor mahnen ihn, seiner Pflicht nachzukommen und seine Fackel zu entzünden. Doch Hymen gibt vor, bei all der Untreue frisch getrauter Ehepaare könne er keine Flamme mehr für seine Fackel finden. Da verweisen ihn die Frauen auf die glänzenden Altäre der Liebe, die man den Brautpaaren dieser Hochzeit errichtet habe. An ihrem Glanz kann Hymen seine Fackel entzünden, und alle drei stimmen den apotheotischen Schlußgesang an, dem ein großer Tanz „von 24 Personen“ folgt, getragen von den Klängen einer Orchesterchaconne.