Kammermusik Nr. 1 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Bohuslav Martinu

Kammermusik Nr. 1

Kammermusik Nr. 1 für Klarinette, Violine, Viola, Violoncello, Harfe und Klavier

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2893

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Andante moderato

3. Poco allegro

Erläuterungen

Bohuslav Martinu gilt nach Dvorak, Smetana und Janacek als der vierte große Komponist tschechischer Kammermusik seit dem späten 19. Jahrhundert. Für ihn wurde – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – die französische Musik zum entscheidenden Vorbild. Debussys Oper Pélleas et Mélisande war das Schlüsselerlebnis des jungen Komponisten; als Geiger in der Tschechischen Philharmonie lernte er die Orchesterwerke Ravels und Dukas’ kennen; 1923 ließ er sich als Schüler Albert Roussels in Paris nieder.Bis 1940, als er vor den Deutschen in die USA floh, fügte er dem internationalen Milieu des Pariser Musiklebens mit seinen amerikanischen, russischen und brasilianischen Gästen die tschechische Note hinzu.
Das musikalische Klima im Frankreich jener Jahre war von zwei Polen bestimmt: der nationalen Richtung der Groupe des six, die das unverwechselbar Französische kultivierte, und dem internationalen Neoklassizismus à la Strawinsky oder Nadja Boulanger. Martinu hat diese Einflüsse mit seinem eigenen tschechischen Wurzeln zu einem unverwechselbaren Stil verbunden. Dies zeigt sich am schönsten in einer Reihe von Kammermusiken gemischter Besetzung, in denen er seine Idee einer “Musique de chambre à l’échelle symphonique”, einer Kammermusik mit symphonischem Anstrich, verwirklichte. Ähnlich den Petites Symphonies eines Milhaud wird in diesen Werken Symphonik auf kleinstem Raum praktiziert: ein quasi-orchestrales Miteinander von wenigen Instrumenten, wofür Martinu Züge des barocken Concerto grosso übernahm.
Die Kammermusik Nr. 1 aus Martinus Todesjahr 1959 ist das späteste dieser Werke, eine beinahe schon nostalgische Rückschau des alten Komponisten auf seine Pariser Jahre. Hinter ihm lagen die Flucht in die USA, die erst in letzter Sekunde gelang, die mühsame Etablierung im amerikanischen Musikbetrieb, in dem er nie heimisch wurde, und die unruhige Wanderschaft der Nachkriegsjahre, die er teils in der Schweiz, teils in Italien und den USA zubrachte, da ihm die kommunistische Tschechoslowakei die Rückkehr in die Heimat verwehrte.
Der ursprüngliche Titel der Kammermusik Nr. 1 lautete Les Fêtes nocturnes (Die nächtlichen Feste), was am schönsten die Atmosphäre des Stückes umschreibt. Über einem von Klavier und Harfe gewobenen Klangteppich entfalten sich zarte Streicherklangfarben, teils pizzicato, teils coll’arco, während die Klarinette erst allmählich von kurzen Motiven zu folkloristischer Melodik sich entfaltet. In den drei Sätzend es Werkes vermischen sich alle für Martinu typischen Stilelemente wie hinter einem Schleier von äußerster Zartheit: die tschechische Folklore, der französische Einfluß und Element des Neobarock.