Préludes I für Klavier
Werkverzeichnisnummer: 2886
1. Danseuses de Delphe Lent et grave
2. Voiles. Modéré
3. Le vent dans la plaine Animé
4. Les sons et les parfums tournent dans l’air du soir. Modéré
5. Les collines d’Anacapri Très modéré
6. Des pas sur la neige Triste et lent
7. Ce qu’a vut le vent d’ouest Animé et tumultueux
8. La fille aux cheveux du lin Très calme et doucement expressif
9. La sérénade interrompue Modérément animé
10. La Cathédrale engloutie Profondement calme
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1. La Danse de Puck Capricieux et léger
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2. Minstrels. Modéré
Mit seinen Préludes, zwei Zyklen von je zwölf Stücken, die 1910 bzw. 1910-13 entstanden, knüpfte Claude Debussy nur äußerlich an die große Tradition des Klavierpräludiums bei Bach und an Chopins Préludes an. Mindestens ebenso bedeutsam dürften die Préludes der französischen Cembalomeister gewesen sein, die in ihrer freien, poetischen Gestaltung oft bis hin zur Formlosigkeit dem Assoziativen Raum gewähren. Dieses spielt auch in Debussys Préludes eine entscheidende Rolle, wie ihre Titel verraten, die der Komponist freilich nur als Nachgedanken in Klammern an den Schluß jedes Stückes stellte.
Die Préludes haben, so schrieb Heinrich Strobel in seiner Debussy-Biographie, „mehr als irgendein anderes Werk die Ansicht bestärkt, daß Debussy impressionistische Musik schrieb. Vergessen wir nicht: er setzt die Titel an den Schluß der Stücke. Er will nicht, daß man gleich ein bestimmtes Bild vor Augen habe. Er will vielmehr nach dem Hören eine Bestätigung geben. Aber dies ist vielleicht ein äußerliches Mittel. Wichtiger ist, daß diese Stücke von einer konstruktiven Konsequenz sind, die durchaus den Images für Orchester und Jeux gleichkommt. Nicht die Farbe, sondern die klangliche Konstruktion, die Melodik und die Rhythmik bestimmen ihre Gestalt.
Suchen wir die verschiedenen Sphären zu umreißen, in denen die einzelnen Préludes beheimatet sind. Die surrealistische Vision der Antike erscheint in Danseuses de Delphe [Tänzerinnen aus Delphi] – nicht zum letztenmal beschwört Debussy diese magische Welt. Die stille Melancholie der Gigues erfüllt La Fille aux cheveux de lin [Das Mädchen mit den Flachshaaren] – das nähert sich dem romantischen Genrestück. Da erklingen die Rhythmen Spaniens: in der Sérénade interrompue [Unterbrochene Serenade] voll Goyascher Phantastik. Da taucht Italien in der Erinnerung auf, vermischt mit Anklängen an Masques: in Collines d’Anacapri [Die Hügel von Anacapri].
Die virtuosen Elemente der Isle joyeuse und die tänzerische Grazie von Jeux werden noch verfeinert: Feen und Undinen vollführen ihre zarten Reigen,… und in Minstrels werden die neuen Rhythmen der Music-hall künstlerisch geformt, ähnlich wie es fünf Jahre später Strawinsky mit dem Jazz macht. Diese rhythmischen Stücke sind entschieden die originellsten unter allen Préludes.
Am kennzeichnendsten aber sind die Stücke, in denen Debussy Natureindrücke erweckt. Die Theorien des Monsieur Croche scheinen Klang geworden: Le vent dans la plaine [Der Wind in der Ebene], Ce qu’a vu le vent d’ouest [Das, was der Westwind gesehen], Les sons et les parfums tournent dans l’air du soir [Im Abendwinde drehn sich Klang und Duft] sind vielleicht eine letzte, vergeistigte Beschwörung Baudelaires, und in den Voiles [Schleier] spiegeln sich die Nuages der Nocturnes, die um diese Zeit gar choreographisch dargestellt werden… Die suggestivste aller Naturbeschwörungen ist La Cathédrale engloutie – die versunkene Kirche, die unter rauschendem Orgelklang aus dem Meer auftaucht, wie eine alte bretonische Sage berichtet.
Die Préludes sind mitjener letzten Wissenschaft von der harmonischen Chemie komponiert, die Debussy so oft zitiert. Aber sie haben fast alle eine gewisse Künstlichkeit, die sie deutlich von früheren Werken dieser Art unterscheidet.Es muß auch ein Wort über Debussy als Pianisten gesagt werden. Gewiß war er kein vollendeter Virtuose im Sinne berühmter Tastenbel den. Sein Spiel hatte einen unnachahmlichen Zauber, der allen unvergessen blieb, die es einmal hören durften. Debussy war ein ‚charmeura am Klavier‘, sagt Maurice Emmanuel. Er erweckte die vielfältigen Klänge des Orchesters auf den Tasten. Sein Anschlag war von einer Zartheit ohnegleichen und von einem schier unbegrenzten Reichtum an Nuancen. Er wußte mit seinem Legato die fremdartigsten Akkorde auf die natürlichste Weise miteinander zu verbinden. Er war ein Meister in der Behandlung des Pedals. Er haßte alle übertriebenen Betonungen und jenes Hervorheben der Melodie … Er hüllte alles in einen weichen, wollüstigen Klang. ‚Vor allem muß man vergessen, daß das Klavier Hämmer hat‘ – diesen Rat pflegte er jungen Pianisten zu geben, die ihm seine Musik vorspielten.“
Mit seinen Préludes, zwei Zyklen von je zwölf Klavierstücken, die 1910 bzw. 1910-13 entstanden, knüpfte Claude Debussy nur zum Teil an die große Tradition des Klavierpräludiums bei Bach und Chopin an. Mindestens ebenso bedeutsam waren für ihn, den „Musicien français“, wie er sich emphatisch nannte, die Préludes der französischen Cembalomeister, eines Louis und François Couperin, eines Clérambault und Rameau. In ihrer freien, poetischen Gestaltung und ihrer Formlosigkeit bis hin zur totalen rhythmischen und harmonischen Freiheit gewährten diese alten Préludes eben jenen Raum fürs Assoziative und Poetische, den auch Debussy in seinen Préludes anstrebte. Die Titel der Stücke hat der Komponist denn auch lediglich als Nachgedanken in Klammern an den Schluss der Préludes gestellt.
Die Préludes haben, so schrieb Heinrich Strobel in seiner Debussy-Biographie, „mehr als irgendein anderes Werk die Ansicht bestärkt, daß Debussy impressionistische Musik schrieb. Vergessen wir nicht: er setzt die Titel an den Schluß der Stücke. Er will nicht, daß man gleich ein bestimmtes Bild vor Augen habe. Er will vielmehr nach dem Hören eine Bestätigung geben. Aber dies ist vielleicht ein äußerliches Mittel. Wichtiger ist, daß diese Stücke von einer konstruktiven Konsequenz sind, die durchaus den Images für Orchester und Jeux gleichkommt. Nicht die Farbe, sondern die klangliche Konstruktion, die Melodik und die Rhythmik bestimmen ihre Gestalt.“ Was Debussy jungen Pianisten sagte, die seine Musik spielen wollten, steht gleichsam als Motto über der gesamten pianistischen Alchemie der Préldues: „Vor allem muß man vergessen, daß das Klavier Hämmer hat!“
Als „surrealistische Vision der Antike“ hat Strobel die Nr. 1 des ersten Buches aufgefasst, „Danseuses de Delphe“ (Tänzerinnen aus Delphi). Weit gegenständlicher, als Bild des Apollotempels und seines Orakels, deutete der große französische Pianist Alfred Cortot dieses Stück: „In den geheimnisvollen Schatten des Tempels, wo geheiligte Düfte träge dahinziehen, ruht unsichtbar und gegenwärtig der in Schicksalsträume versunkene Gott.“ Dass Cortot hier synästhetisch die Klänge als Düfte empfand, entspricht der quasi wogenden Klangaura des Stücks, seinem „Weihrauchduft“. Es ist eine Welt mystischer Religion im Einklang mit der Natur, die Debussy hier beschwor. Immer wieder fand er in den Frauen der Antike – den Tempeltänzerinnen auf Delphi, der Nymphe Syrinx, der Dichterin Bilitis und ihren Gefährtinnen – die Vorlagen für eine solche Vorstellung, wobei erotische Schwingungen in das Bild mit hineinspielen.
Mit den Schleiern oder Segeln des zweiten Stücks, den „Voiles“, beginnen die Naturbeschwörungen der Préludes, das, was Debussy die „correspondence mystérieuse de la nature et de l’imagination“ (geheimnisvolle Korrespondenz zwischen Natur und Einbildungskraft) nannte. Die große französische Tradition der „Imitation de la nature“ erreicht hier eine vorletzte Verfeinerung (vor Messiaen), eine Steigerung ins fast schon Cézanne-haft Analytische. Kein Naturbild oder Naturlaut wird naturalistisch direkt eingefangen, sondern in Klangtupfer aufgelöst oder aus akkordischen Farbsynthesen aufgebaut. Was Debussy unter dem Pseudonym Monsieur Croche an Theorien zur Musikästhetik verbreitete, ist hier Klang geworden. Unwillkürlich rücken seine „Schleier“ in die Nähe der Wolken („Nuages“) aus seinen „Nocturnes“ oder der Wellen aus „La mer“. Gemeint ist damit stets eine wogende Bewegung eher in psychischer denn naturalistischer Hinsicht: „Das ewige Kommen und Gehen der Wellen wiegt in Melancholie ein,“ so Debussys eigene Vorstellung.
Am schönsten wird Debussys einfache und direkte Auffassung von der Natur im dritten Stück des ersten Buchs deutlich. Sein Titel „Le vent dans la plaine“ ist ein verkürzter Vers von Verlaine, der vollständig lautet: „Der Wind über der Ebene hält seinen Atem an“. Eine einzige in Halbtönen kreisende Quintolenfigur bestimmt das Stück, wie das leise Pfeifen des „frischen Morgenwindes“ (Cortot), der ab und zu in Böen auffrischt. Doch ist auch dies nur eine Metapher.
Nummer 4, „Les sons et les parfums tournent dans l’air du soir“ (Im Abendwinde drehn sich die Klänge und Düfte), nannte Strobel „eine letzte, vergeistigte Beschwörung Baudelaires“. Tatsächlich hat Debussy hier den großen Dichter der „Fleurs du mal“ zitiert. Vollständig lautet die Gedichtstrophe: „Die Stunde ist da, wo die Blumen auf ihren Stengeln sich biegen, die Schalen, auf denen der Weihrauch verpufft. Im Abendwind drehen sich die Klänge und Düfte – ein schwermütiger Walzer und schmerzliches Sich-Wiegen!“ Debussy beschwor in dieser melancholischen Synästhesie aus Klängen und Düften die Vergänglichkeit das Daseins, die Flüchtigkeit der menschlichen Freuden, die sich in unsicherem Fünfvierteltakt dahinziehen, bis sie sich am Ende mit leisen Hornquinten davonstehlen.
Eine „traurige, eisige Landschaft“ wollte er in Nr. 6 zeigen, dem Bild der Schritte im Schnee („Des pas sur la neige“). Unwillkürlich wird man an Schuberts „Winterreise“ und ihre musikalischen Erstarrungen gemahnt. Wie dort so schiebt sich auch hier im Mittelteil ein milder Traum dazwischen („wie ein zärtliches trauriges Bedauern“, so Debussy).
„Tumultuarisch“ ist das siebente Stück zu spielen, „Ce qu’a vu le vent d’Ouest“ (Das, was der Westwind gesehen). Der Westwind fegt übers Meer, über tosende Wellenberge und schauerliche Abgründe hinweg, die sich in einem wild-wogenden Klaviersatz Lisztscher Prägung auftun.
Als „kapriziösen“ Tanz schildert das vorletzte Stück des ersten Buchs den Auftritt des Puck aus Shakespeares „Sommernachtstraum“, ein elfenhaftes Gegenstück zu den feierlichen Tänzerinnen von Delphi.
Mit den „Minstrels“, den Minnesängern im Finale, sind dagegen keine historischen oder literarischen Figuren gemeint. Statt der verliebten Troubadoure des Mittelalters gehen hier Musikanten einer neuen Epoche der Liebe ans Werk: die Jazzmusiker aus den Nachtlokalen des Pigalle. Was die Franzosen zu Debussys Zeit etwas verschämt „Cabaret“ nannten, den aufreizenden Nachtclub mit seinen Tänzerinnen und Banjo-Klängen, wird zum mondän-frechen Kehraus des Zyklus. Debussy hat hier „die neuen Rhythmen der Music Hall künstlerisch geformt, ähnlich wie es fünf Jahre später Strawinsky mit dem Jazz macht.“ (Strobel)
Zum Stil und der pianistischen Seite der Préludes sei noch einmal Strobel zitiert: „Die Préludes sind mit jener letzten Wissenschaft von der harmonischen Chemie komponiert, die Debussy so oft zitiert. Aber sie haben fast alle eine gewisse Künstlichkeit, die sie deutlich von früheren Werken dieser Art unterscheidet. Es muß auch ein Wort über Debussy als Pianisten gesagt werden. Gewiß war er kein vollendeter Virtuose im Sinne berühmter Tastenbel den. Sein Spiel hatte einen unnachahmlichen Zauber, der allen unvergessen blieb, die es einmal hören durften. Debussy war ein ‚charmeur am Klavier‘, sagt Maurice Emmanuel. Er erweckte die vielfältigen Klänge des Orchesters auf den Tasten. Sein Anschlag war von einer Zartheit ohnegleichen und von einem schier unbegrenzten Reichtum an Nuancen. Er wußte mit seinem Legato die fremdartigsten Akkorde auf die natürlichste Weise miteinander zu verbinden. Er war ein Meister in der Behandlung des Pedals. Er haßte alle übertriebenen Betonungen und jenes Hervorheben der Melodie … Er hüllte alles in einen weichen, wollüstigen Klang.“ (Strobel)