„Von der Wiege bis zum Grabe“, Sinfonische Dichtung in einer Bearbeitung von Klaus Arp
Werkverzeichnisnummer: 2880
1. Die Wiege. Andante
2. Der Kampf um’s Dasein. Agitato rapido
3. Zum Grabe: Die Wiege des künftigen Lebens. Moderato, quasi Andante
Unter den heute ohnehin selten gespielten Sinfonischen Dichtungen von Franz Liszt ist die chronologisch letzte die am wenigsten bekannte: das Triptychon Von der Wiege bis zum Grabe. Liszt schrieb es 1881/82, im Alter von 70 Jahren am Ende eines Lebens, das man sich bewegter kaum vorstellen kann. Die sagenumwobene Karriere des stürmisch gefeierten Pianisten, die frühen Jahre im Glanz der europäischen Öffentlichkeit, die Kapellmeisterzeit in Weimar, schließlich die letzten Jahrzehnte, die Liszt nach dem Empfang der niederen Weihen im römischen Kloster S. Francesca Romana verbrachte – alle diese Lebensstationen waren von einem Nimbus umgeben. Noch als „Mephisto im Priestergewand“ (Gregorovius) hat Liszt diese Aura hinreichend zelebriert. Seine späte sinfonische Dichtung verrät davon freilich wenig. Außer dem allenthalben zu spürenden sakralen Ton, der an die Kirchenmusik Palestrinas erinnert und als Symbol für kindliche Reinheit zu verstehen ist, gibt es keinen direkten Bezug zu Liszts Lebensgeschichte. Das Triptychon ist vielmehr als allgemeine, philosophische Auseinandersetzung mit Geburt, Lebenskampf, Tod und Wiedergeburt zu verstehen, als abstrakte Botschaft an seine Zeit.
Angeregt wurde das Werk durch eine, so Peter Raabe in seinem Liszt-Werkverzeichnis, „ganz unbedeutende Zeichnung des ungarischen Malers Graf Michael Zichy“, dem Liszt sein Stück auch widmete. Es zerfällt in drei Abschnitte mit jeweils eigenem symbolischem Gehalt: Der Einleitungsteil Die Wiege ist wohl das zarteste Klanggebilde in Liszts gesamter Sinfonik: ein in hohen Bratschen-, Geigen- und Flötenklängen dahindämmerndes Stück, das die Unschuld des Neugeborenen anschaulich beschreibt. Dieser Einleitungsteil geht zurück auf eine Wiegenlied für Klavier, das Liszt 1880 komponiert und danach als Berceuse für vier Violinen arrangiert hatte. Leider ist diese kammermusikalische Fassung heute verloren (sie wurde 1986 von Ates Orga rekonstruiert), doch dürfte sie unserer Fassung der Musik recht ähnlich sein.
Der zweite Teil, Der Kampf ums Dasein, bringt die zu erwartende Massierung des Klangs und dramatische Zuspitzung der gegensätze. Streichertremolo, kraftvolle Bläserakzente und Mollmotive sind zunächst dominant, bevor sich ein optimistisches Durmotiv seinen Weg nach oben bahnt.
Letzteres wird im Schlussteil Zum Grabe: Die Wiege des künftigen Lebens in eben jene ätherische Klanglichkeit versetzt, die den Anfang bestimmt hatte. Das Grab barg für Liszt die Hoffnung auf Wiedergeburt, die Rückkehr zur Unschuld eines neuen Lebens.
Klaus Arp, der künstlerische Leiter der Villa Musica und selbst Komponist, hat für dieses Konzert ein Arrangement von Liszts Werk angefertigt, das seine Aufführung im kammermusikalischen Rahmen erlaubt. Die Besetzung entspricht der des Siegfried-Idylls von Wagner, vermehr um die Harfe, die in Liszts Partitur eine zentrale Rolle speilt. Ausschlaggebend für Klaus Arps Arrangement war die Faktur der Musik selbst: ihre kammermusikalische Durchsichtigkeit in den Rahmenteilen, eine filigrane, um nicht zu sagen ätherische Klangwelt.