Sextett d-Moll für zwei Violinen, zwei Violen und zwei Violoncelli, op. 70, „Souvenir de Florence“
Werkverzeichnisnummer: 2870
1. Allegro con spirito
2. Adagio cantabile – Moderato – Tempo I
3. Allegretto moderato
4. Allegro vivace
„Erinnerung an Florenz“. So nannte Pjotr I. Tschaikowsky sein einziges Streichsextett. Als er es im ausnehmend schönen Sommer 1890 auf seinem Landsitz in Frolowskoje in nur 17 Tagen komponierte, hatte er allen Grund, sich voller Dankbarkeit an Florenz zu erinnern: Im Februar und März desselben Jahres war es ihm gelungen, in der (damaligen) Abgeschiedenheit der toskanischen Hauptstadt seine Oper Pique Dame vollständig zu skizzieren, und zwar im Laufe von ganzen 44 Tagen. Dabei inspirierte ihn auch die Gesangskunst einer geborenen Florentinerin: Medea Mei. Die damals dreißigjährige Mezzosopranistin hatte 1889 den russischen Tenor Nikolaj Figner geheiratet, das Idol der russischen Oper jener Jahre. Ihr Mann war in Italien ausgebildet worden, wo er neben Medea in einer Donizetti-Oper sang. Sie verliebten sich ineinander, er nahm sie mit nach Russland, und sie feierten ihr gemeinsames Debüt in Bizets Carmen, womit sie den größten Beifallssturm in der Geschichte des Mariinski Theaters auslösten. Medea konvertierte zum orthodoxen Bekenntnis, heiratete Nikolaj und lernte Russisch. Als Medea Mei-Figner inspirierte sie Tschaikowsky zur Rolle der Lisa in Pique Dame, während ihr Mann die besonders anspruchsvolle Rolle des Hermann kreierte. Ohne die enge Freundschaft mit dem Ehepaar Figner und die Gesangskunst der Florentinerin Medea wäre Pique Dame nie entstanden.
Glücksgefühle also bewegten den Komponisten im Frühjahr 1890 in Florenz und im Sommer darauf in der Heimat, als er sein Souvenir de Florence komponierte. Warum also beginnt dieses Sextett so dramatisch, mitten im Sturm aufgewühlter Emotion? Den Schlüssel zum Verständnis liefert die Entstehungsgeschichte der Oper Pique Dame, die Tschaikowskys Diener Nasar in seinem Tagebuch protokollierte. Nach der Vollendung der Partitur am 2. März 1890 kam es zu einer dramatischen Szene: „Um sieben Uhr war Pjotr Iljitsch mit seiner Arbeit fertig. Während er sich wusch, erzählte er mir, wie er die Oper beendet habe … Er beschrieb Hermanns letzte Worte, und wie Hermann sich umbringt. Pjotr Iljitsch sagte, er habe den ganzen Abend geweint. Seine Augen waren noch gerötet, und er sah so gequält aus.“ Den Schluss der Oper hatte Tschaikowsky nur unter äußerster Anspannung zu Wege gebracht – eine Spannung, die sich für ihn unmittelbar mit Florenz verband, wie sein Schüler Kaschkin berichtete: „Tschaikowsky war von seiner Arbeit so begeistert und in Puschkins Werk so vertieft, dass er schließlich das Gefühl hatte, alles selbst zu erleben. Als er die letzte Szene beendet hatte, bedauerte er Hermann so sehr, dass er ihn bitterlich beweinte und schließlich zu der Erkenntnis kam, er könne in der Stadt, in der Hermann gestorben sei – also in Florenz –, nicht länger bleiben, worauf er am nächsten Tag nach Rom reiste. Später berichtete er mir lachend von dieser Verrücktheit, ich aber lachte nicht.“
Das Florenz des d-Moll-Sextetts war für den Komponisten also nicht nur ein Ort ungetrübten Glücks, sondern jene Stadt, in der sein Held Hermann „gestorben“ war. Dieses düstere Verhängnis lastet schwer über dem Beginn des Sextetts, das der Komponist unmittelbar nach der Ausarbeitung der Oper im Juli 1890 in Angriff nahm. Die Opernszene mit Hermanns Selbstmord ging also entstehungsgeschichtlich nahtlos in den stürmischen Anfang des Sextetts über, was Letzteren erklären mag.
Die schöpferische Eruption des Sextetts in einem der schönsten Sommer, die Tschaikowsky jemals erleben durfte, wie er seiner Gönnerin Nadeshda von Meck gestand. Durch sie, die Industriellenwitwe, die ihn seit 1878 finanziell großzügig unterstützte, ohne jemals mehr zu wollen als eine Brieffreundschaft und die Widmung seiner Werke, wurde er immer wieder zu Kammermusik angeregt – ein Genre, das er nicht liebte. Nach dem Klaviertrio war es nun das Sextett, das ausdrücklich für Frau von Meck entstand, auch, um ihr Gelegenheit zu geben, diese Musik in den eigenen vier Wänden zu hören, da sie Konzertsäle mied. Am 12. Juli 1890 schrieb er an sie folgenden bedeutenden Brief, datiert mit dem 30. Juni nach dem damals in Russland immer noch gültigen julianischen Kalender:
„Noch nie hat Gott der Natur so viel Schönheit verliehen wie in diesem Sommer. Meine Blumen blühen zahlreich wie noch nie. Für die Blumenzucht begeistere ich mich immer mehr und tröste mich mit dem Gedanken, mein Greisenalter der Blumenzucht zu widmen, sobald meine schöpferischen Fähigkeiten geschwächt sind. Vorläufig kann ich mich allerdings nicht darüber beklagen. Kaum hatte ich die Oper beendet, da wandte ich mich einer neuen Komposition zu, deren Entwurf ich bereits beendet habe. Ich hege die Hoffnung, Sie, meine Liebe, werden froh sein zu erfahren, dass ich ein Sextett für Streicher komponiert habe. Ich kenne Ihre Liebe zur Kammermusik und freue mich, dass Sie mein Sextett wahrscheinlich hören werden, denn dazu brauchen Sie nicht ins Konzert zu gehen; ein Sextett lässt sich auch leicht in Ihrem Hause aufführen. Hoffentlich gefällt es Ihnen; ich habe es mit viel Freude und Begeisterung, ohne jegliche Mühe komponiert.“
Die letztere Äußerung war eine Untertreibung: Seinem Bruder Modest gestand Tschaikowsky, dass ihm das Schreiben für sechs gleichberechtigte Instrumente unendliche Mühen bereitet hatte. Gerade in der Sextettbesetzung für je zwei Geigen, Bratschen und Celli musste er sich dem Vergleich mit dem ungeliebten Brahms aussetzen, dessen Sextette in B und G als Muster der Gattung galten. Auch Tschaikowsky konnte dem Vorbild Brahms nicht ausweichen, wie etwa die dichte thematische Arbeit im ersten Satz und die Fuge im Finale verrät. Der englische Tschaikowsky-Biograph Edward Garden sprach von „teutonisch inspirierten Momenten, die aber nicht auf teutonische Weise ausgeführt sind“. In Wirklichkeit dominiert schon im ersten Satz völlig der Eindruck national russischer Musik, der sich im dritten und vierten Satz noch verstärkt. Italienisch inspirierte Intermezzi dagegen sind das idyllische Seitenthema des ersten Satzes und der gesamte langsame Satz, der eine Mondnacht am Ufer des Arno unweit des Ponte vecchio darstellen könnte – oder eine Serenade in den Boboligärten, in denen Tschaikowsky so gerne spazieren ging.
Hier zu den Sätzen im einzelnen: Im einleitenden Allegro moderato ist es vor allem die kontrapunktische Durchführung der Themen im Mittelteil, in der die Selbständigkeit der sechs Instrumente hervortritt. Diese Passage erinnert wie schon erwähnt an die Durchführungstechniken eines Johannes Brahms. Von diesem abgelauscht ist auch das motivische Band zwischen Haupt- und Seitenthema: Aus dem energischen d-Moll-Hauptthema wandert ein Dreitonmotiv als Untermalung in das gesangliche Seitenthema hinüber. Dessen sentimentales Melos verströmt unverkennbar italienische Serenadenstimmung.
Letztere wird auch im langsamen Satz beschworen, dem melodisch besonders reizvollen Adagio cantabile e con moto. In seiner nächtlich verhangenen Stimmung und im formalen Aufbau erinnert dieser Satz an die Elegie aus der zehn Jahre zuvor komponierten Serenade für Streicher. Schon dort findet sich ein „Liebesduett“ zwischen erster Geige und Cello, das dem Duett im Streichsextett an Schönheit kaum nachsteht. Wie im Larghetto der Serenade wird auch hier der Satz von einer Art Vorhang eröffnet, einigen orchestral wirkenden Einleitungsakkorden. Danach setzt eine Art Mandolinenbegleitung ein, ein Pizzicato der Unterstimmen in Triolen. Es begleitet die „Barcarole“, das Gondellied von erster Geige und erstem Cello, das sich zu einem leidenschaftlichen Liebesduett steigert. Auf dem Höhepunkt der Erregung setzt ein zweites Thema ein, ein russischer Hymnus, der zunächst aber nicht weitergeführt wird, sondern von einem gespenstischen Moll-Mittelteil verdrängt wird. Dieses Moderato besteht aus nichts anderem als flirrenden Triolen-Klangflächen. Der Charakter des Nachtstücks, der auch der Barcarole eigen ist, verkehrt sich hier in romantisches Zwielicht. Erst nach der Wiederholung des Duetts erreicht der Satz in dem russischen Hymnus seinen finalen Höhepunkt und seine Abrundung.
Die beiden letzten Sätze erreichen zusammen nur ungefähr die Ausdehnung des Adagios. Das Allegretto moderato ersetzt das übliche Scherzo durch ein Intermezzo über eine russische Volksmelodie, die im Satzverlauf beständig gesteigert wird und dabei immer leidenschaftlichere Züge annimmt. Dem steht als Trio eine Polka mit reizvollen chromatischen Lichteffekten gegenüber. Das Finale, Allegro vivace, beginnt als unkompliziertes Klangstück über ein Volkslied, steigert sich aber bis zur veritablen Fuge, was der Komponist mit einigem Stolz als Meisterleistung betrachtete.
Karl Böhmer
1999
Als „Erinnerung an Florenz“ im heimatlichen Rußland, nicht etwa am Ufer des Arno selbst hat Tschaikowsky sein einziges Streichsextett komponiert. Inspiriert wurde es durch die unbeschwerte Arbeit an der Oper Pique Dame, die er in nur viereinhalb Wochen im Frühjahr 1890 in Florenz skizziert hatte. Sein Italien-Aufenthalt hätte wohl noch länger gedauert, wenn es ihm in Rom gelungen wäre, sein Inkognito zu wahren. Aber nachdem man dort erfahren hatte, daß der berühmte russische Komponist in der Stadt war, konnte er sich vor Einladungen nicht mehr retten und floh zurück nach Rußland. In der Ruhe seines Landhauses entwarf er im Sommer das Sextett. An seine Gönnerin Nadeshda von Meck schrieb er Ende Juni: „Noch nie hat Gott der Natur so viel schönes verliehen wie in diesem Sommer. Meine Blumen blühen zahlreich wie noch nie… Kaum hatte ich die Oper beendet, da wandte ich mich einer neuen Komposition zu, deren Entwurf ich bereits beendet habe. Ich hege die Hoffnung, Sie, meine Liebe, werden froh sein, daß ich ein Sextett für Streicher komponiert habe.“
Die Arbeit an einer Kammermusik für „sechs selbständige und dabei gleichwertige Stimmen“ war ihm anfangs schwerer gefallen, als es dieser Brief verrät, doch im Laufe der Arbeit fand Tschaikowsky zu eigenständigen, überaus originellen Lösungen für das Problem des Streichsextett-Satzes.
Im einleitenden Allegro moderato ist es vor allem die kontrapunktische Durchführung der Themen im Mittelteil, in der die Selbständigkeit der sechs Instrumente hervortritt. Diese Passage erinnert nicht zufällig an die Durchführungstechniken eines Johannes Brahms, der mit seinen beiden Streichsextetten in den 1860er Jahren die Gattung neu begründet hatte. Von Brahms abgelauscht ist auch das motivische Band zwischen Haupt- und Seitenthema: Aus dem energischen d-Moll-Hauptthema wandert ein Dreitonmotiv als Untermalung in das gesangliche Seitenthema hinüber. Dessen sentimentales Melos verströmt, wenn man so will, etwas von italienischer Serenadenstimmung.
Letztere wird unverkennbar im langsamen Satz beschworen. Nach orchestralen Einleitungsakkorden erklingt eine Barcarole der ersten Violine zu Triolen-Pizzicati der Unterstimmen, eine Art Gondellied alla Ghitarra. Im Duett zwischen Violine I und Cello I verdichten sich allmählich Stimmung und Klang, bis nach einer großen Klimax ein drittes russisches Thema in hymnischem Ton hervortritt. Als Kontrast folgt ein gespenstisches Moll-Moderato, das aus nichts als flirrenden Triolen- Akkordflächen besteht. Der Charakter des Nachtstücks, der auch der Barcarole eigen ist, verkehrt sich hier in romantisches Zwielicht.
Die beiden letzten Sätze erreichen zusammen nur ungefähr die Ausdehnung des Adagios. Das Allegretto moderato ersetzt das übliche Scherzo durch ein Intermezzo über russische Volksmelodien, mit einer nervösen Polka als Mittelteil. Im Klang erinnert der Satz an Dvoraks Streicherwerke.
Das Finale, Allegro vivace, beginnt als unkompliziertes Klangstück über ein Volksliedthema, steigert sich aber bis zu einer veritablen Fuge, die der Komponist mit einigem Stolz als Meisterleistung betrachtete.
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Souvenirs konnte man als gebildeter Tourist im Italien des 19. Jahrhunderts nicht nur in Andenkenläden kaufen: man schrieb oder malte sie sich bevorzugt selbst. Wer immer dem Ruf nach Süden gefolgt war und einige Monate in Italien verbrachte, führte ein Reisetagebuch, dichtete Elegien, malte die schönsten Vedouten oder komponierte ein musikalisches Andenken. Die Gattung des „Souvenir“ bildet ein eigenes Genre in der Musik der Spätromantik, und auch Tschaikowsky hat zu ihr so manches Werk beigetragen.
„Erinnerung an Florenz“ nannte er sein einziges Streichsextett, das er 1890 nicht etwa an den Ufern des Arno, sondern zuhause im heimatlichen Russland niederschrieb. Inspiriert wurde es durch die unbeschwerte Arbeit an der Oper Pique Dame, die er in nur viereinhalb Wochen im Frühjahr 1890 in Florenz skizziert hatte. Sein Italien-Aufenthalt hätte wohl noch länger gedauert, wenn es ihm in Rom gelungen wäre, sein Inkognito zu wahren. Aber nachdem man dort erfahren hatte, dass der berühmte russische Komponist in der Stadt war, hatte er keine ruhige Sekunde mehr und floh zurück nach Russland. In der Ruhe seines Landhauses entwarf er im folgenden Sommer das Sextett. An seine Gönnerin Nadeshda von Meck schrieb er Ende Juni: „Noch nie hat Gott der Natur so viel schönes verliehen wie in diesem Sommer. Meine Blumen blühen zahlreich wie noch nie… Kaum hatte ich die Oper beendet, da wandte ich mich einer neuen Komposition zu, deren Entwurf ich bereits beendet habe. Ich hege die Hoffnung, Sie, meine Liebe, werden froh sein, dass ich ein Sextett für Streicher komponiert habe.“ In den düsteren Klängen des Kopfsatzes spiegelt sich ebenso viel russsiche Melancholie wider wie romantische Erinnerungen an Italien. Die lichte Stimmung der folgenden drei Sätze freilich wirkt wie eine Hommage an den milden italienischen Winter, verfasst im heißen russischen Sommer.
Die Arbeit an einer Kammermusik für „sechs selbständige und dabei gleichwertige Stimmen“ war ihm anfangs schwerer gefallen, als es dieser Brief ahnen lässt, doch im Laufe der Arbeit fand Tschaikowsky zu eigenständigen, überaus originellen Lösungen für das Problem des Streichsextett-Satzes.
Im einleitenden Allegro moderato ist es vor allem die kontrapunktische Durchführung der Themen im Mittelteil, in der die Selbständigkeit der sechs Instrumente hervortritt. Diese Passage erinnert nicht zufällig an die Durchführungstechniken eines Johannes Brahms, der mit seinen beiden Streichsextetten in den 1860er Jahren die Gattung neu begründet hatte. Von Brahms abgelauscht ist auch das motivische Band zwischen Haupt- und Seitenthema: Aus dem energischen d-Moll-Hauptthema wandert ein Dreitonmotiv als Untermalung in das gesangliche Seitenthema hinüber. Dessen sentimentales Melos verströmt, wenn man so will, etwas von italienischer Serenadenstimmung.
Letztere wird unverkennbar im langsamen Satz beschworen. Nach orchestralen Einleitungsakkorden erklingt eine Barcarole der ersten Violine zu Triolen-Pizzicati der Unterstimmen, eine Art Gondellied alla Ghitarra. Im Duett zwischen Violine I und Cello I verdichten sich allmählich Stimmung und Klang, bis nach einer großen Klimax ein drittes Thema russischen Charakters in hymnischem Ton hervortritt. Als Kontrast folgt ein gespenstisches Moll-Moderato, das aus nichts als flirrenden Triolen-Akkordflächen besteht. Der Charakter des Nachtstücks, der auch der Barcarole eigen ist, verkehrt sich hier in romantisches Zwielicht.
Die beiden letzten Sätze erreichen zusammen nur ungefähr die Ausdehnung des Adagios. Das Allegretto moderato ersetzt das übliche Scherzo durch ein Intermezzo über russische Volksmelodien, mit einer nervösen Polka als Mittelteil. Im Klang erinnert der Satz an Dvoraks Streicherwerke. Das Finale, Allegro vivace, beginnt als unkompliziertes Klangstück über ein Volkslied, steigert sich aber bis zur veritablen Fuge, was der Komponist mit einigem Stolz als Meisterleistung betrachtete.
2003
PJOTR I. TSCHAIKOWSKY
Streichsextett d-Moll, op. 70
Souvenirs aus Italien konnte man als gebildeter Tourist der Romantik nicht nur in Andenkenläden kaufen: man schrieb oder malte sie sich bevorzugt selbst. Wer immer dem Ruf des Südens gefolgt war und einige Monate in Italien verbrachte, führte ein Reisetagebuch, dichtete Elegien, malte Vedouten oder komponierte musikalische Andenken. Die Gattung des „Souvenir“ avancierte in der Musik der Spätromantik zu einem eigenen Genre. Tschaikowsky hat dazu manches Werk beigetragen, so auch sein Souvenir de Florence.
„Andenken aus Florenz“ nannte er sein einziges Streichsextett, das er 1890 nicht etwa an den Ufern des Arno, sondern zuhause im heimatlichen Russland niederschrieb. Inspiriert wurde es durch die unbeschwerte Arbeit an der Oper Pique Dame, die er in nur viereinhalb Wochen im Frühjahr 1890 in Florenz skizziert hatte. Sein Italien-Aufenthalt hätte wohl noch länger gedauert, wenn es ihm in Rom gelungen wäre, sein Inkognito zu wahren. Aber nachdem man dort erfahren hatte, dass der berühmte russische Komponist in der Stadt war, hatte er keine ruhige Sekunde mehr und flüchtete zurück nach Russland.
In der Ruhe seines Landhauses entwarf er im Sommer das Sextett. An seine Gönnerin Nadeshda von Meck schrieb er Ende Juni: „Noch nie hat Gott der Natur so viel Schönes verliehen wie in diesem Sommer. Meine Blumen blühen zahlreich wie noch nie… Kaum hatte ich die Oper beendet, da wandte ich mich einer neuen Komposition zu, deren Entwurf ich bereits beendet habe. Ich hege die Hoffnung, Sie, meine Liebe, werden froh sein, dass ich ein Sextett für Streicher komponiert habe.“ In den düsteren Klängen des Kopfsatzes spiegelt sich ebenso viel russische Melancholie wie romantische Erinnerung an Italien wider. Die lichte Stimmung der folgenden drei Sätze wirkt dagegen wie eine Hommage an den milden italienischen Winter, verfasst im russischen Sommer.
Die Arbeit an einer Kammermusik für „sechs selbständige und dabei gleichwertige Stimmen“ war dem Komponisten anfangs schwer gefallen, doch im Laufe der Arbeit fand Tschaikowsky zu eigenständigen, überaus originellen Lösungen für das Problem des Streichsextett-Satzes. Im einleitenden Allegro moderato ist es vor allem die kontrapunktische Durchführung der Themen im Mittelteil, in der die Selbständigkeit der sechs Instrumente hervortritt. Diese Passage erinnert nicht zufällig an die Durchführungstechniken eines Johannes Brahms, der mit seinen beiden Streichsextetten in den 1860er Jahren die Gattung neu begründet hatte. Von Brahms abgelauscht ist auch das motivische Band zwischen Haupt- und Seitenthema: Aus dem energischen d-Moll-Hauptthema wandert ein Dreitonmotiv als Untermalung in das gesangliche Seitenthema hinüber. Dessen sentimentales Melos verströmt, wenn man so will, etwas von italienischer Serenadenstimmung.
Letztere wird unverkennbar im langsamen Satz beschworen. Nach Einleitungsakkorden erklingt eine Barcarole der ersten Violine zu Triolen-Pizzicati der Unterstimmen, quasi das Ständchen eines Gondoliere zur Madolinenbegleitung. Im Duett zwischen Violine I und Cello I verdichten sich allmählich Stimmung und Klang, bis nach einer großen Klimax ein drittes Thema russischen Charakters in hymnischem Ton hervortritt. Als Kontrastteil folgt ein gespenstisches Moll-Moderato, das aus nichts als flirrenden Triolen-Akkorden besteht. Der Charakter des Nachtstücks, der auch der Barcarole eigen ist, verkehrt sich hier in romantisches Zwielicht.
Die beiden letzten Sätze erreichen zusammen nur ungefähr die Ausdehnung des Adagios. Das Allegretto moderato ersetzt das übliche Scherzo durch ein Intermezzo über russische Volksmelodien mit einer nervösen Polka als Mittelteil. Im Klang erinnert der Satz an Dvoraks Streicherwerke. Das Finale, Allegro vivace, beginnt als unkompliziertes Klangstück über ein Volkslied, steigert sich aber bis zur veritablen Fuge, was der Komponist mit einigem Stolz als Meisterleistung vermerkte.
2007:
Pjotr I. Tschaikowsky
Souvenir de Florence, op. 70
Im heimatlichen Russland, nicht an den Ufer des Arno selbst komponierte Tschaikowsky sein einziges Streichsextett mit dem Titel Souvenir de Florence. Inspiriert wurde es durch die unbeschwerte Arbeit an der Oper Pique Dame, die er in nur viereinhalb Wochen im Frühjahr 1890 in Florenz skizziert hatte.
Sein Italien-Aufenthalt hätte wohl noch länger gedauert, wenn es ihm in Rom gelungen wäre, sein Inkognito zu wahren. Aber nachdem man dort erfahren hatte, dass der berühmte russische Komponist in der Stadt weilte, konnte er sich vor Einladungen nicht mehr retten und floh zurück nach Russland. In der Ruhe seines Landhauses entwarf er dann im Sommer 1890 das Sextett. An seine Gönnerin Nadeshda von Meck schrieb er Ende Juni: „Noch nie hat Gott der Natur so viel schönes verliehen wie in diesem Sommer. Meine Blumen blühen zahlreich wie noch nie… Kaum hatte ich die Oper beendet, da wandte ich mich einer neuen Komposition zu, deren Entwurf ich bereits beendet habe. Ich hege die Hoffnung, Sie, meine Liebe, werden froh sein, dass ich ein Sextett für Streicher komponiert habe.“
Die Arbeit an einer Kammermusik für „sechs selbständige und dabei gleichwertige Stimmen“ war ihm anfangs schwerer gefallen, als es dieser Brief erahnen lässt, doch im Laufe der Arbeit fand Tschaikowsky zu eigenständigen, überaus originellen Lösungen für das Problem des Sextettsatzes.
Im einleitenden Allegro moderato ist es vor allem die kontrapunktische Durchführung der Themen im Mittelteil, in der die Selbständigkeit der sechs Instrumente hervortritt. Diese Passage erinnert nicht zufällig an die Durchführungstechniken eines Johannes Brahms, der mit seinen beiden Streichsextetten in den 1860er Jahren die Gattung neu begründet hatte. Von Brahms abgelauscht ist auch das motivische Band zwischen Haupt- und Seitenthema: Aus dem energischen d-Moll-Hauptthema wandert ein Dreitonmotiv als Untermalung in das gesangliche Seitenthema hinüber. Dessen sentimentales Melos verströmt, wenn man so will, einen Hauch von italienischer Serenadenstimmung.
Letztere wird unverkennbar im langsamen Satz beschworen. Nach orchestralen Einleitungs-akkorden erklingt eine Barcarole der ersten Violine zu Triolen-Pizzicati der Unterstimmen, eine Art Gondellied zur Begleitung der Mandoline. Im Duett zwischen Violine I und Cello I verdichten sich allmählich Stimmung und Klang, bis nach einer großen Klimax ein drittes russisches Thema in hymnischem Ton hervortritt. Als Kontrast folgt ein gespenstisches Moll-Moderato, das aus nichts als flirrenden Triolen-Akkordflächen besteht. Der Charakter des Nachtstücks, der ja der Barcarole eigen ist, verkehrt sich hier in romantisches Zwielicht.
Die beiden letzten Sätze erreichen zusammen nur ungefähr die Ausdehnung des Adagios. Das Allegretto moderato ersetzt das übliche Scherzo durch ein Intermezzo über russische Volksmelodien, mit einer nervösen Polka als Mittelteil. Im Klang erinnert der Satz an Dvoraks Streicherwerke.
Das Finale, Allegro vivace, beginnt als unkompliziertes Klangstück über ein Volksliedthema, steigert sich aber bis zu einer veritablen Fuge, die der Komponist mit einigem Stolz als Meisterleistung betrachtete.