Prélude, Choral et Fugue | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

César Franck

Prélude, Choral et Fugue

Prélude, Choral et Fugue für Klavier solo

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2869

Satzbezeichnungen

Allegro moderato

Erläuterungen

Im Gegensatz zum jugendlichen Ungestüm der Schostakowitsch-Sonate spricht aus César Francks späten Klavierwerken altmeisterliche Verklärung. Die Inspirationsquelle lag für Franck nicht im Orchester, wie für Schostakowitsch, sondern in der Orgelmusik. Als Organist der Kirche Sainte-Clotilde in Paris verzauberte der Belgier die Franzosen über 30 Jahre lang mit den grandiosen Klängen seiner Orgelwerke und seines Cavallé-Coll-Instruments. Als er endlich 1884 sein erstes Klavierwerk, Prélude, Choral et Fugue, publizierte, war sein Klaviersatz und seine Formenwelt längst organistisch geprägt. 1885 spielte denn auch die Pianistin Marie Poitevin, nicht der Komponist selbst die umjubelte Pariser Uraufführung.

Die Idee zu einem Triptychon aus Präludium, Choral und Fuge geht auf Bachs Orgel-Präludien und -fugen zurück. Schon der Thomaskantor hatte diese gelegentlich zu Triptycha erweitert (Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, aber auch andere, durch langsame Sätze aus den Orgeltriosonaten ergänzte Werke). Franck übernahm diese Idee, ersetzte jedoch den langsamen Satz durch einen Choral sowie die streng rhythmisierten Präludien Bachs durch ein „Prélude non mésuré“ französischer Art. Dadurch sowie durch die thematische Vereinheitlichung aller drei Sätze gewinnt sein Prélude, Choral et Fugue dezidiert romantischen Charakter. Aus einer Barockform für die Orgel wurde der Inbegriff eines „neogotischen“ Monumentalwerks im Klima der Pariser Spätromantik.
Himmlische Orgel – im Paris des 19. Jahrhunderts hatte dieses Epitheton nur einen Namen: Aristide Cavaillé-Coll. Der Sprössling einer Orgelbauerfamilie aus Montpellier baute 1841 in Saint-Denis bei Paris die erste „moderne“ Orgel mit doppelten Windkästen und einer Reihe weiterer technischer Neuerungen. Wie sein Kollege Eberhard Friedrich Walcker im deutschen Ludwigsburg arbeitete er seitdem permanent an der technischen Perfektionierung des himmlischen Instruments. Die Früchte seiner Experimente lasen die großen Pariser Organisten zwischen César Franck und Olivier Messiaen.

Wenn sich César Franck, der aus Lüttich stammende Komponist und Organist, an die Orgel seiner Kirche Sainte-Clotilde begab, lauschte das Paris der Spätromantik andächtig seinen quasi-sinfonischen Offenbarungen. Noch heute werden die Kirche und der kleine Platz davor ganz vom Schatten des großen alten Mannes aus Belgien dominiert.

In Paris machte Franck eine ähnliche Karriere wie der zwei Jahre jüngere Anton Bruckner in Wien. Bis zum Ende des zweiten Kaiserreichs 1871 war er nur als Organist und Kirchenmusiker bekannt. Seine Schüler nannten ihn ehrfürchtig „Père Franck“ und verehrten in ihm den Erneuerer der französischen Orgelschule – als Interpret an den prachtvollen Instrumenten von Cavaillé-Coll ebenso wie als Professor am Pariser Conservatoire. Dass er daneben auch sinfonische und chorische Werke geschrieben hatte, wurde erst deutlich, als 1871 seine Biblische Ekloge „Ruth“ ihre verspätete Uraufführung erlebte. Fortan versagten die Franzosen dem Komponisten aus Belgien ihre Anerkennung nicht mehr. 1873 erhielt er die französische Staatsbürgerschaft, 1885 wurde er in die Ehrenlegion aufgenommen, 1886 zum Präsidenten der „Société Nationale de Musique“ gewählt.

Als Vorreiter einer jungen Generation von Komponisten, die in seiner chromatisch changierenden Harmonik und eigenartigen Formenwelt den Beginn einer neuen Epoche französischer Musik erkannten, war Franck durchaus umstritten. Für Debussy waren seine Werke „die wahre Musik“, für Saint-Saëns dagegen eine Geschmacklosigkeit, sobald es sich um Kammermusik oder Sinfonik handelte. Der Orgelmusik des „Père Franck“ dagegen zollten die Zeitgenossen ohne Einschränkung ihren Tribut. „Prélude, fugue et variation“, op. 18, gehört zu den von Franck so sehr geliebten Triptycha aus drei scheinbar kontrastierenden, in Wahrheit aber thematisch zusammengehörenden Sätzen.

„Je joue le dimanche“, „Ich spiele sonntags“ lautete die lakonische Antwort an alle Besucher und Journalisten, die mit Olivier Messiaen einen Termin am Tag des Herrn ausmachen wollten. Seinen Organistendienst an der Église de la Sainte Trinité versah der Meister mit größter Gewissenhaftigkeit, auch noch, als er schon längst der weltberühmte Komponist war: „Ich habe jeden Sonntag drei Messen gespielt und die Vesper.“ Nur im Mittagsgottesdienst hatte er „das Recht“, seine eigenen Werke zu spielen. Das Hochamt verlangte nur Harmonisierungen des Chorals, die 11-Uhr-Messe klassische und romantische Stücke, die Vesper möglichst kurze Improvisationen. So eingeschränkt war selbst das Genie eines Messiaen durch die Zwänge der Liturgie.

Nur zweimal – 1940/41 und 1964-66 – räumte er die Organistenbank wegen der notwendigen Reparaturen an der großen Cavaillé-Coll-Orgel, die ihn durch ihre orchestrale Klangpalette zeitlebens inspirierte. Wer sie schon einmal in diesem Raum gehört hat, dem fällt es nicht schwer, sich ins Paris der Belle Époque zu versetzen – unweit der Opéra, der großen Kaufhäuser und des Montmartre. Andererseits schafft das diffuse Licht in dem weiten, doch schummrigen, auf die kitschige Heiligkeit des 19. Jahrhunderts abzielenden Raum die besten Voraussetzungen, um Messiaens mystische Orgelmusik in sich aufzunehmen.

Auf die Frage, wie Pfarrer und Gemeinde im Mittagsgottesdienst auf seine Werke reagiert hätten, meinte der Meister aus Avignon nur trocken: „Die Priester waren nicht entsetzt, da die von mir ausgedrückten Wahrheiten, die Wahrheiten des Glaubens, schrecklich sind. Es handelt sich um Märchen, bald geheimnisvoll, bald herzzerreißend, mal voller Ruhm, mal furchteinflößend, doch stets beruhend auf einer lichtvollen und unerschütterlichen Realität. Ich bin sogar notgedrungen 100.000 Stufen unter jeder Wahrheit. Nein, die Priester waren nicht entsetzt, aber die Kirchgänger waren es, da sie nicht immer die Texte kennen, die sie doch jeden Sonntag hören, sei es, dass sie das Latein nicht verstehen, sei es, dass sie gar nichts verstehen, selbst wenn auf Französisch vorgetragen wird.“

Wir hören drei Stücke aus seinem Orgelschaffen: „Dieu parmi nous“ (Gott unter uns) ist die letzte der neun Meditationen über die Geburt des Herrn („La Nativité du Seigneur,“), die Messiaen 1935 an der Trinité aus der Taufe hob – und damit sicher entsetzte Gesichter bei der weihnachtlich gestimmten Gemeinde hervorrief. Schon der neunzehnjährige Kompositions- und Orgelstudent, der mit 11 Jahren aus der Provence nach Paris gekommen war, erstaunte seine Lehrer durch das Orgelstück „Le banquet céleste“ (1928). Das „Livre du Saint-Sacrement“, 1986 in Detroit uraufgeführt, war der letzte große Orgelzyklus des Meisters. Das 18. und letzte Stück dieser großen Betrachtung über das allerheiligste Altarsakrament nannte er „Offrande et Alléluia final“ – „Opfer und letztes Halleluja“. Es war die Apotheose seines Orgelschaffens und seiner Auffassung vom Glauben.

In einem Tribut an die großen französischen Orgeln der Romantik darf Henry Mulet nicht fehlen. Der geborene Pariser, Meisterschüler von Guilmant und Widor, setzte sich an die Spitze der Kritiker französischen Orgelbaus. 1922 publizierte er seine Kampfschrift „Die unglückseligen und antireligiösen Tendenzen der modernen Orgel“, womit er sich genügend Feinde machte, um seine Karriere auf Dauer zu zerstören. 1937 verbrannte er aus Enttäuschung fast alle Werke und zog sich in den Süden Frankreichs, ins selbst gewählte innere Exil zurück. Dort starb er 1967 völlig verarmt und resigniert. Nur zwei seiner Werke konnten gerettet werden. Neben dem faszinierenden „Carillon sortie“ sind dies seine „Esquisses byzantines“, die „byzantinischen Skizzen“, mit denen er seine Hörer in die Welt der Ostkirche zurückversetzen wollte. Tatsächlich dienten ihm dabei die Mosaiken von Sacré Coeur als Vorlage und Inspirationsquelle.

Zwei Generationen vor Messiaen war es Alexandre Guilmant, der die Cavaillé-Coll-Orgel der Trinité in virtuosester Weise spielte. Seine Musik ist die authentische klangliche Auslegung des damals noch ganz jungen Instruments, das er 1871 bis 1901 spielte. Doch auch anderen als kirchlichen Zwecken diente seine brillante Orgelkunst. Im Trocadéro, dem riesigen, geschmacklosen, auf alten Fotos des Eiffelturms noch gut zu sehenden Palasts am Weltausstellungsgelände, wirkte Guilmant ebenfalls als quasi fest bestallter Organist. Hier hatte Cavaillé-Coll ein wahres Monstrum von Konzertorgel gebaut. Bevorzugt an diesem Instrument brillierte Giulamnt mit weltlichen Konzertstücken wie dem Allegro in fis, op. 18, Nr. 2.

Maurice Duruflé hat die große Tradition der romantischen Orgelschule seiner Heimat bis in unsere Tage fortgesetzt. Als Éminence grise der Pariser Organisten war er der Antipode von Olivier Messiaen: Klassizist, Virtuose, Klangästhet.

Seine musikalische Ausbildung hatte er im Internat eines Knabenchors in der Normandie erhalten: an der Maîtrise der Kathedrale zu Rouen. Dort studierte er den Gregorianischen Choral – Grundlage seines späteren Schaffens – und erhielt Klavier- und Orgelunterricht. Nach dem Ersten Weltkrieg, 1919, zog Duruflé nach Paris, wo er Schüler von Charles Tournemire und Louis Vierne wurde und in der Orgelklasse von Eugène Gigout das Conservatoire absolvierte. Vollends in die Fußstapfen der großen alten Organisten trat er, indem er ab 1927 César Francks ehemalige Orgel in Sainte-Clotilde spielte – als Vertreter seines Lehrers Tournemire. 1937 vertrat er in gleicher Weise Vierne an der Kathedrale Notre-Dame, während er seit 1930 bereits Titularorganist einer dritten der berühmten Pariser Orgel-Kirchen war: St.-Entienne-du-Mont. Seine Ernennung zum Professor am Conservatoire war nur eine Frage der Zeit. Erst spät, 1953, heiratete Duruflé – die Organistin und Dupré-Schülerin Marie-Madeleine Chevalier, mit der er viele Konzerttourneen unternahm. Von den Folgen eines Autounfalls 1975 hat sich Duruflé nie ganz erholt. Er starb

Im Spektrum der französischen Orgelschule gilt Duruflé als Spät-Impressionist: Die vagierende Chromatik eines Franck lag ihm ebenso fern wie die Schwermut eines Mulet. Seine Harmonik wirkt schillernd und leicht, die Formen sind frei und manchmal spielerisch wie in der 1932 komponierten „Suite pour orgue“ Opus 5. Ihre drei Sätze Prélude, Sicilienne und Toccata widmete er Paul Dukas. Neobarocke Formen wie die Siciliana oder die Toccata werden mit impressionistischem Inhalt gefüllt – eine Musik, wie geschaffen für die großen symphonischen Orgeln des Typs Cavaillé-Coll. Die Anweisungen, die Duruflé zum Registrieren gab, verweisen sogar schon auf den Typus „Orgue néoclassique“ hin, auf die leuchtenden Mixturen einer neuen Epoche des Orgelbaus in Frankreich.