Sonate Nr. 1 für Klavier solo, op. 12 (in einem Satz)
Werkverzeichnisnummer: 2868
Allegro – Meno mosso – Adagio – Allegro – Lento – Allegro
Auch im 20. Jahrhundert gab es frühreife Genies in der Musik, „Teenager“, denen es gelang, die fast schon übersättigte Musikwelt mit ihren ersten Werken zu verblüffen. Einer von ihnen war Dmitri Schostakowitsch. Kaum ein Student würde heute seine Diplomarbeit mit 19 einreichen. Schostakowitsch tat es 1925 in Form seiner 1. Sinfonie – zur (fast) vollen Zufriedenheit seiner Lehrer am Leningrader Konservatorium, von denen nur Alexander Glasunow eine Instrumentationsretusche vorzuschlagen hatte, die der Komponist vor der Uraufführung dann wieder rückgängig machte. Daraus spricht ein Selbstbewusstsein, dem der Welterfolg des Werkes recht gab: 1926 wurde die Sinfonie in Leningrad uraufgeführt, ein Jahr später dirigierte sie Bruno Walter in Berlin, 1928 Leopold Stokowski in Philadelphia. Die großen Dirigenten spürten, dass sie „eine neue Seite in der Geschichte der Sinfonik“ aufschlugen, wie es Nikolai Malko, der Dirigent der Uraufführung, ausdrückte.
Schon ein halbes Jahr nach der Sinfonie, im Dezember 1926, erklang im Leningrader Konservatorium ein zweites großes Schostakowitschwerk: die erste Klaviersonate, op. 12. Im Gegensatz zum teilweise noch klassizistischen Sinfonie-Erstling ist die Sonate ein Dokument für seine Auseinandersetzung mit der Avantgarde – der westlichen wie der russischen. Experimentelle Klaviertechniken, etwa hart-dissonante Akkordrepetitionen an der Grenze zum Cluster oder das gerade in Mode kommende Laufwerk nach Toccaten-Art (man denke an Hindemith) gingen in die Sonate ein. Ihr primär virtuoser Zugriff verrät den jungen Pianisten, der die gnadenlose Leningrader Schule durchlaufen hatte; ihre einsätzige, mehrteilig gegliederte Form zeigt den jungen Komponisten auf der Suche nach sich selbst.