Sonate Es-Dur für Klavier, Hob. XVI: 52
Werkverzeichnisnummer: 2866
1. Allegro
2. Adagio
3. Presto
A new grand Sonata for the Pianoforte composed expressly for Mrs. Bartolozzi by Haydn – Eine große Sonate für das Pianoforte, ausdrücklich komponiert für Mrs. Bartolozzi von Haydn. So lautet der Titel der Londoner Originalausgabe von Joseph Haydns Es-Dur-Klaviersonate, die im Hoboken-Verzeichnis seiner Werke in Gruppe XVI die Nummer 52 trägt. Sie gehört zur Gruppe der letzten drei Klaviersonaten, die Haydn vor seiner Rückkehr nach Wien 1795 in London vollendete. Sie wurden offenbar in umgekehrter Reihenfolge gedruckt, so dass Nr. 52 die drittletzte, Nr. 50 dagegen die letzte Klaviersonate ist. Komponiert wurden sie für die virtuose deutsch-englische Pianistin Therese Jansen, die erst im Mai 1795 nach ihrer Heirat mit dem Kupferstecher Gaetano Bartolozzi den Namen ihres Mannes annahm. Zuvor war die Tochter eines aus Deutschland eingewanderten Tanzmeisters in London nur als „Miss Jansen“ bekannt. Zusammen mit ihrem Bruder hatte sie bei Clementi studiert und verdiente mit Klavier- und Tanzstunden mehr als 2000 Pfund jährlich, nach damaliger Währung eine ungeheure Summe, denn sie galt als eine der besten Pianistinnen Englands. Haydn übersandte ihr zunächst anonym seine Sonate Jakobs Traum, woraus eine anscheinend herzliche Freundschaft entstand, der wir auch die Es-Dur-Sonate verdanken.
In der Tat lässt sich dieses Werk als ein „Tribut an die technische und musikalische Meisterschaft von Mrs. Bartolozzi“ (A. Peter Brown) interpretieren. Was sie bei Clementi gelernt hatte, wird hier eindrucksvoll dokumentiert. Wir hören Laufkaskaden und perlendes Sechzehntel- bzw. Triolenspiel im Wechsel mit kontrapunktischen Finessen und Vollgriffigkeit, teilweise mit einer schon abenteuerlichen Ornamentik dekoriert, die dem Werk fast den Charakter einer „Fantasiesonate“ bzw. eines Capriccio verleihen. Das vollgriffige Hauptthema des Kopfsatzes ist für Haydns Verhältnisse ungewöhnlich heterogen gebaut: Auf ein Kopfmotiv im punktierten Rhythmus folgen Motivabspaltungen, dann eine absteigende Sechzehntelkette mit Achtel-Kontrapunkt; beide Thementeile werden danach stark ornamentiert wiederholt. Auch im weiteren Verlauf wirkt der Satz eher kapriziös freizügig als konzentriert: naives Tanzthema, nach Moll gewendet, kantables Seitenthema mit motivischen Rückbezügen zum ersten Thema. Generalpause und nach Moll angedunkeltes Unisono, die zum virtuosen Schluss der Exposition führen. Die lange Durchführung verarbeitet teils das Tanzthema, teils kontrapunktische Motive aus dem Hauptthema und schweift immer wieder in virtuose Capriccio-Regionen ab.
Wie in seinen späten Streichquartetten hat Haydn auch in seinen letzten Klaviersonaten die langsamen Sätze als Ruhepunkte in weit entfernten Tonarten gestaltet. Das Adagio der Es-Dur-Sonate steht in E-Dur (der Tonart des sog. „Neapolitaners“) und gehört zu den melodisch schönsten jener späten Haydn-Adagios. Im Moll-Mittelteil bricht freilich der düstere Haydn jener späten Jahre durch, der von den Leiden der Revolutionszeit erschütterte Humanist.
Die mehr als 300 Takte des dritten Satzes rauschen in einem fast orchestralen Kehraus wirbelnder Tanzmotive am Hörer vorbei – eine Art „Paukenwirbel-Sinfonie“ für einen Pianisten oder besser gesagt: eine Pianistin. Miss Jansens Triumph, sozusagen.