Sinfonie Nr. 6 F-Dur, op. 68 "Pastorale" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Sinfonie Nr. 6 F-Dur, op. 68 "Pastorale"

Sinfonie Nr. 6 F-Dur, op. 68 „Pastorale“ in der Fassung für Streichsextett von M. G. Fischer
(1810)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2836

Satzbezeichnungen

1. Allegro ma non troppo
Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande

2. Andante molto moto
Szene am Bach

3. Allegro
Lustiges Zusammensein der Landleute – Allegro Gewitter, Sturm

4. Allegretto
Hirtengesang Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm

Erläuterungen

„Jeder Kunstkenner und Kunstfreund ist von dem hohen Werthe … aller Tonschöpfungen, die in dieser Musikgattung von dem hohen Fluge dieses wundersamen Romantikers erreicht worden sind, so erfüllt, dass es, nach so mancher Besprechung dieses genialen Charakter-Gemäldes in unseren und in anderen Blättern und nach so vielen Aufführungen desselben, Eulen nach Athen tragen hiesse, wenn wir wiederholt dabey verweilen wollten… Wie viele kleinere Städte gibt es nicht, die einen Genuss, wie ihn solche Werke gewähren, sich gar nicht verschaffen könnten, würde es auf solche und ähnliche Weise ihnen nicht möglich gemacht? Selbst in grösseren Städten, die sich tüchtiger Orchester erfreuen, geniesst man das Herrliche, hörte man es auch öffentlich öfter, als es gewöhnlich der Fall ist, doch auch gern im häuslich geselligen Kreise. Es wird also dem Unternehmen eine weite Verbreitung wohl nicht fehlen können.“

Mit diesen Worten rezensierte 1829 ein Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung eines der zahllosen Arrangements von Beethoven-Sinfonien für Kammerensembles, die damals die Auslagen der Musikverlage zierten. Die Gründe dafür waren jene pragmatischen, wie sie der Kritiker beschreibt: Längst nicht alle Hörerinnen und Hörer hatten die Chance, Beethoven-Sinfonien im Konzert zu erleben. Selbst wo ein solcher Grundbedarf mittels stehender Orchester gedeckt war, bestand nicht die Möglichkeit, ein solches Werk in einem Jahrzehnt mehr als ein oder zweimal zu hören, so daß notwendig das Bedürfnis entstand, die Noten in bearbeiteter Form mit nach Hause zu nehmen und dort selbst aufzuführen: in Klavierarrangements zu vier Händen oder in Bearbeitungen für die unterschiedlichsten Kammerensembles. Im Zeitalter des CD-Spielers hat dieses Repertoire zwar seine Existenzberechtigung eingebüßt, doch entfalten die Bearbeitungen heute gerade durch die klangliche Verfremdung des allzu Vertrauten wieder einen ganz eigenen Reiz.

Die Streichsextett-Bearbeitung der 6. Sinfonie, die der Erfurter Organist Michael Gotthart Fischer 1810 beim renommierten Musikverlag Breitkopf und Härtel in Leipzig erscheinen ließ, schloß regelrecht eine Marktlücke: Werke in der von Boccherini erfundenen Streichsextett-Besetzung waren damals noch selten. Schon allein als frühes Experiment mit dem sechsstimmigen Streichersatz ist Fischers Arrangement also ein reizvolles Dokument, zumal angesichts der Herausforderung, die Beethovens Vorlage für ein solches Unterfangen bedeutete.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es unter den „größeren Städten“ in Deutschland und Österreich mit ihren „tüchtigen Orchestern“ kaum mehr eine einzige, in der man Beethovens Sinfonien nicht regelmäßig hören konnte, so dass die Musikkritik bereits in eine gewisse Beethoven-Müdigkeit verfiel. Eine Generation zuvor, war dies noch längst nicht der Fall, zumal in kleineren Städten: „Jeder Kunstkenner und Kunstfreund ist von dem hohen Werthe … aller Tonschöpfungen, die in dieser Musikgattung von dem hohen Fluge dieses wundersamen Romantikers erreicht worden sind, so erfüllt, dass es, nach so mancher Besprechung dieses genialen Charakter-Gemäldes in unseren und in anderen Blättern und nach so vielen Aufführungen desselben, Eulen nach Athen tragen hiesse, wenn wir wiederholt dabey verweilen wollten… Wie viele kleinere Städte gibt es nicht, die einen Genuss, wie ihn solche Werke gewähren, sich gar nicht verschaffen können?“

Mit diesen Worten reagierte 1829 ein Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung auf den noch immer ungleichen Stand der Beethoven-Rezeption: Längst nicht alle Hörerinnen und Hörer hatten die Chance, Beethoven-Sinfonien im Konzert zu erleben. Selbst wo ein solcher Grundbedarf mittels stehender Orchester gedeckt war, bestand nicht die Möglichkeit, ein solches Werk in einem Jahrzehnt mehr als ein oder zweimal zu hören, so dass notwendig das Bedürfnis entstand, die Noten in bearbeiteter Form mit nach Hause zu nehmen und dort selbst aufzuführen: in Klavierarrangements zu vier Händen oder in Bearbeitungen für die unterschiedlichsten Kammerensembles. Im Zeitalter des CD-Spielers haben wir diese Probleme nicht mehr, doch müssen wir uns vergegenwärtigen, wie selten gespielt manche Beethovensinfonie im ganzen 19. Jahrhundert noch war.

Für die Sechste Sinfonie, die „Pastorale“, galt dies seltsamerweise in besonderem Maße: sie war unpopulär! Carl Reinecke, der langjährige Direktor des Leipziger Konservatoriums, berichtete, dass selbst das Gewandhausorchester die Sechste weit weniger häufig aufführte als die anderen Sinfonien des Meisters. Er erklärte dies mit der Scheu vor dem lyrischen, als wenig wirkungsvoll geltenden Finale. Eine Sinfonie hatte damals notwendig mit einem triumphalen Allegrosatz zu enden und nicht mit Hirtenmelodien im wiegenden Zwölfachteltakt!

Auch sonst entsprach die „Pastorale“ den Erwartungen des damaligen Publikums durchaus nicht. Zu lyrisch, ja fast kammermusikalisch dezent hatte Beethoven dieses Werk angelegt. Wie aus einem Gruss trat den Wienern anno 1808 ein lyrisches Tongemälde entgegen, das der Meister auch quasi in einem Zug entworfen hatte. Im Sommer 1807 begonnen, wurde die Sinfonie bereits 1808 in der Sommerfrische von Heiligenstadt vollendet. Die Komposition der Fünften, die Beethoven zusammen mit der Sechsten in seinem monumentalen „Weihnachtskonzert“ am 22. Dezember 1808 in Wien zur Uraufführung brachte, hatte sich dagegen über ganze vier Jahre erstreckt.

Wohlweislich versah der Komponist die so viel weniger spektakuläre Sechste bei der Uraufführung mit einem Titel und Programm: „Eine Symphonie unter dem Titel: Erinnerung an das Landleben, in F-dur“ lautete die Ankündigung auf dem Programmzettel des Konzerts mit dem Zusatz: „(mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey)“. Die überschriften der fünf Sätze wichen in dieser ersten Fassung noch leicht von der späteren Version im 1809 erschienenen Druck ab. Dort lautet der Titel „Sinfonie Pastorale“ (französisch zu lesen!).

Die „Pastorale“ ist eine in besonderem Maße vom idyllischen, um nicht zu sagen schwelgerischen Streicherklang geprägte Sinfonie. Speziell im ersten Satz, „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“, und der „Szene am Bach“ des zweiten Satzes ist der Streicherklangteppich so dicht gewoben, dass sich die Bläser darüber oft nur koloristisch oder klangverstärkend entfalten. Freilich setzen die Holzbläser den sich kräuselnden Wellen der Violinen im zweiten Satz wundervolle kleine Schaumkronen auf, verstärken die Hörner mit ihren „Pedaltönen“ den Eindruck einer nicht enden wollenden Fülle herrlichster Naturimpressionen. Gegen Ende des Satzes lösen sich in bekannter Manier Flöte, Oboe und Klarinette aus dem „Waldweben“ des Orchesters und verhelfen den Vogelstimmen des Waldes zu ihrem Recht: der Nachtigall, der Wachtel und dem Kuckuck.

Im ländlichen Fest des dritten Satzes wird der Orchesterklang dann endlich massiv, gerade dank der Bläser. Sie spielen nach Manier einer Dorfkapelle zum Tanz auf: erst im beschwingten Dreier-, dann im derben Zweiertakt über einem Bordun aus leeren Quinten. Das „lustige Zusammensein der Landleute“ hätte Beethoven kaum authentischer schildern können. Zweimal lösen die beiden Tanzweisen einander ab, bevor sich das erste Thema harmonisch zu verdüstern beginnt. Während im Tremolo der Bässe grollender Donner von Ferne zu vernehmen ist, kündigen die Violinen im Trippelschritt der ersten Regentropfen das nahende Gewitter an.

Für die nun heftig ausbrechende Szene „Gewitter, Sturm“ war Beethoven selbst das volle Orchester seiner Zeit kaum mehr genug: alle Instrumente gehen klanglich bis an ihre Grenzen. Wie sich dank seiner Kunst von Instrumentation und Modulation die Bedrohung allmählich verdichtet, bis die Blitze gnadenlos niederfahren, jeweils vom Donnerschlag gefolgt, wie sich der strömende Regen bis zu wahren Klangwogen der Violinen steigert, während die Piccoloflöte den Sturmwind um die Häuser pfeifen lässt, ist eine unübertroffene Meisterleistung orchestraler Koloristik. Noch Mendelssohn, Wagner und Strauss kamen an diesem größten aller orchestralen Gewitter nicht vorbei. Dabei hatte Beethoven durchaus seine Vorläufer: die Operngewitter in Mozarts „Idomeneo“, Paisiellos „Barbier von Sevilla“ oder Grétrys „Le jugement de Midas“ sowie zahllosen weiteren französischen Opern, die sinfonischen Schilderungen eines Vogler oder Knecht. Beethoven war aber der erste, der eine Gewitterszene in den Gang einer Sinfonie integrierte. Ähnlich wie in der Fünften, wo das Scherzo mittels einer höchst spannungsvoll aufgebauten Steigerung unmittelbar in den C-Dur-Jubel des Finales mündet, hat er auch hier den Gewittersatz als eine lange Überleitung zwischen Scherzo und Finale konzipiert. Dabei machte er sich das Abklingen des Sturms zunutze, um die Brücke zum Finale zu bauen. Auch diese Takte, in denen sich das Gewitter allmählich verzieht, um schließlich am Horizont mit einem Lauf der Flöte den ersten taufrischen Sonnenstrahl freizugeben, gehören zu den unvergesslichen Momenten der Sinfonie.

Im diametralen Gegensatz zur Fünften ist das Finale denn auch eine Befreiung ganz anderer Art: kein „per aspera ad astra“, sondern ein „Hirtengesang“, der „frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“ verkündet. Auch hier wird, wie in der Fünften, das Düstere überwunden, doch am Ende steht nicht der siegende Held, sondern der fromme, in schlichter Weise dankende Mensch.