Arie “Lasciate mi qui solo”, aus Primo libro delle Musiche
Werkverzeichnisnummer: 2825
KOMPONISTINNEN DES BAROCK
“Die Frau in der Musik”, das Villa Musica-Saison-Motto 1998/99, berührt im Barock unterschiedlichste Aspekte des Musiklebens. Frauen wie Königin Christina von Schweden oder Maria de’ Medici gehörten zu den wichtigsten Kunstförderern der Epoche, die sich ihre eigenen Hofmusiker hielten – wohlgemerkt: Hofmusiker, nicht -musikerinnen, denn die Domäne der Instrumentalmusik blieb Frauen vorerst verschlossen. Erst um 1700 gewannen die Frauen am Cembalo einen neuen Wirkungskreis, wie der Fall der Elisabeth Jacquet de la Guerre zeigt. Bis dahin waren sie als Interpretinnen fast ausschließlich Sängerinnen gewesen, die in Hofdiensten zu großem sozialem Prestige aufstiegen. Nichtsdestotrotz blieben auch sie aus weiten Teilen des Musiklebens ausgeschlossen, wie aus der Kirchenmusik oder in Rom sogar aus der Oper.
Widersprüche über Widersprüche also, die sich in der Vokalmusik auch in der Behandlung der Sujets niederschlugen. In einem Madrigal oder einer Cantata hat eine Sängerin stets die Worte eines Dichters, vertont von einem Komponisten, zu singen, die an eine Geliebte gerichtet sind; die Frau erscheint darin als idealisiertes Objekt der Begierde. Wie es Frauen damals wirklich erging, etwa der Tochter des römischen Malers Maratta, die das Opfer eines Vergewaltigungsversuchs wurde, kommt selten genug zur Sprache. Nur die Heldinnen der Bibel erlaubten, die Frau in einer weniger idealisierten Rolle zu zeigen, wie etwa Susanna, die sich der Zudringlichkeiten zweier Alter erwehren muß.
Die Rolle der Frau als Komponistin war in engen Grenzen abgesteckt: Zu den Positionen eines Hofkomponisten, Kapellmeisters oder Organisten – Stellen, auf denen man auch fürs Komponieren, nichts nur fürs Musizieren bezahlt wurde – hatte sie keinen Zugang. Sie konnten das Komponieren nur entweder als adlige Dilettantin oder als Accessoire ihrer Sängerinkarriere betreiben. Den beiden italienischen Komponistinnen unseres Programms gelang das letztere, frelich auch deshalb, weil sie berühmte Künstler zu Vätern hatten.
Die Französin Jacquet de la Guerre ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Ihre Karriere nicht nur als Cembalistin, sondern gerade auch als Komponistin wäre ohne die bedingungslose Protektion Ludwigs XIV. nicht denkbar gewesen.
FRANCESCA CACCINI Vier Arien
Francesca Caccini, “la Cecchina” genannt, wurde “viele Jahre lang in Florenz … sowohl wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten auf dem Gebiet des Gesangs und der Komposition als auch wegen ihrer Dichtungen in Lateinisch und Toskanisch sehr bewundert.” (P. della Valle) Sie war die Tochter des Komponisten Giulio Caccini, des ersten Meisters der sogenannten “Monodie”. Dieser nur vom Basso continuo begleitete Sologesang – die entscheidende satztechnische Errungenschaft des Barockzeitalters – erfuhr in Giulios Nuove musiche die erste klassische Ausprägung. An dieses Werk ihres Vaters knüpfte auch Francesca an.
Sie war Hofsängerin im Dienste der Medici in Florenz und in dieser Stellung eine Berühmtheit. Um dies zu verstehen, muß man bedenken, mit welch ungeheurem Aufwand im Italien des Frühbarock höfische Feste einschließlich der obligatorischen Ballette und Opernszenen ausgestattet wurden. Die Starsänger der konkurrierenden Höfe erhielten einen optisch-akustischen Rahmen für ihreKunst, von dem heutige Opernsänger nur träumen können. Francesca hat dieses prachtvollste Genre der Zeit – die Musik für höfische Feste – selbst mit Werken bedient, und zwar mit diversen Balletten und einer Oper. Ihr Dramma per musica La liberazione di Ruggiero ist ein wichtiges Beispiel aus der Frühgeschichte der Gattung.
Unsere drei Arien könnten zwar auch in einer frühen Oper stehen, sie entstammen aber Francescas erstem gedruckten Notenband, den man unter die höfische “Musica da camera” subsumieren muß. Es handelt sich um Solomadrigale, in denen die gleiche Form künstlicher Liebesdichtung wie im mehrstimmigen Madrigal benutzt wird, nur daß hier eine einzelne Singstimme im rezitativischen bzw. ariosen Stil singt. Dieser so schlicht scheinende Sologesang entfaltet sich in unserem ersten Beispiel über einem vorgegebenen Baß, der Romanesca. Sie gehörte in der Renaissance zu einer von vier festen Formeln aus Baßnoten und Harmonien, die man immer wieder auf neue Weise variierte. Auch im 17. Jahrhundert verloren sie nichts von ihrer Popularität.