„Soffrirei con lieto core“ für Sopran, Bass und Basso continuo
Werkverzeichnisnummer: 2808
BAROCK IN ROM
In Rom wurde der Kunststil des Barock geboren. Hier begründeten Caravaggio und seine Zeitgenossen die Barockmalerei, Bernini die barocke Skulptur, Maderno und dalla Porta die Architektur von Barockkirche und Palazzo. Wenige Wochen vor der Eröffnung des „Heiligen Jahres“ 2000, in dem Rom wieder in frischer Pracht zu bestaunen sein wird, hielten wir es für reizvoll, einmal die Musik zu spielen, die hinter diesen Fassaden erklang. Dennmusikalisch steht die ewige Stadt bis heute im Schatten von Venedig, Mantua und anderen Zentren – zu Unrecht, wie wir meinen. Nach Monteverdis bahnbrechenden Leistungen war es ein römischer Komponist, Luigi Rossi, der die italienische Vokalmusik entschieden in Richtung auf den Hochbarock lenkte. Über die Wahlrömer Arcangelo Corelli und Alessandro Scarlatti setzte sich diese Hochblüte der römischen Barockmusik fort bis zum Eintreffen des blutjungen Händel im Februar 1707. Dessen römischer Aufenthalt (er dauerte bis Anfang 1709) war der Höhepunkt einer Ära, deren schönste vokale Blüten wir heute abend zu pflücken gedenken. Sie erblühten in den Gärten und Camere der Mäzene Roms, ohne die die barocke Kunst der ewigen Stadt nicht zu denken ist.
DIE MÄZENE
Rom-Kennern wird man sie nicht eigens vorstellen müssen: die Palazzi jener Familien, die die Zeichen der Zeit erkannten, ob sie nun Barberini, Pamphilj oder Ottoboni hießen. Den Startschuß für ihr künstlerisches Mäzenatentum gab in der Regel die Wahl eines Familienmitglieds zum Papst, betrachtete man doch das System des römischen Nepotismus – die Berufung von Neffen oder Großneffen des neugewählten Pontifex in führende Stellen der Kurie und des Kirchenstaates – geradezu als Aufforderung zur Konsolidierung des Familienvermögens. Worin hätte sich letztere besser dokumentieren können als in den Künsten? Daher die vielleicht einmalige Symbiose aus Pracht, mythologischer Überhöhung des Daseins und künstlerisch durchaus voranpreschender Ambition im römischen Barock.
Der „Pontifex maximus“, klingenden Namens wie Urban VIII. Barberini, Innozenz X. Pamphilj oder Clemens XI. Albani, war in der Tat der „oberste Brückenbauer“ zur jeweils aktuellen Wendung des Kunststils. Wir verdanken diesen Herrschaften die Heranziehung begnadeter Talente aus allen Teilen Italiens oder sogar aus dem fernen „Germania“. Um fünf davon geht es in diesem Konzert. PALAZZO BARBERINI, 1640
Zum ersten Hort hochbarocker Kunst in Rom entwickelte sich der Palazzo Barberini an der Via delle Quattro Fontane. Bernini, Borromini und Maderno erbauten dieses Prunkgehäuse für einen wahren Taumel barocker Lustbarkeiten, in den sich Papst Urban VIII. und seine drei Neffen zwischen 1623 und 1644 hineinstürzten. Von der barocken Maschinenoper bis zur intimen Kammerkantate, vom Lautenstück bis zur zwölfstimmigen Messe spannte sich der Bogen ihrer musikalischen Ambitionen, den vor allem drei Musiker-Komponisten auszufüllen hatten: Luigi Rossi als Meister der Vokalmusik, der deutsche Lautenist Hieronymus Kapsberger und der Cembalist und Organist Girolamo Frescobaldi. Den Instrumental-Virtuosen Kapsberger und Frescobaldi können wir bei ihrem Dienst im Palazzo Barberini gleichsam auf die geläufigen Finger sehen: Kapsberger in seiner berühmten Arpeggiata, einem aus gebrochenen Akkorden bestehenden, in fantastische Nebenräume der Harmonie entgleitenden Stück, Frescobaldi in den Cento Partite, seinen 100 Veränderungen über den Passacaglia-Baß. Die Hauptfigur unseres Konzerts jedoch ist Luigi Rossi.
ROSSI und die CANTATA
Der Ruhm des Neapolitaners ist heute verblaßt, obwohl noch der französische Schriftsteller Romain Rolland ihm ein literarisches Denkmal setzte. Das Interesse des Franzosen entzündete sich an dem Umstand, daß Rossis Orfeo von 1645 die erste italienische Oper in Paris war. (Auch hier hatten die Barberini ihre Finger im Spiel, und prompt kam es zu einer Staatskrise wegen der exzessiven Kosten der Produktion!) Was Rolland 1926 über den Opernkomponisten Rossi schrieb, gilt in gleicher Weise für dessen Kantaten: „Luigi weiß, tiefe Bewegungen auszudrücken, und man glaubt durch die Musik hindurch diesen Neapolitaner zu fühlen, die leichte, heitere Seele, die in hübsche Formen und mondäne Eleganz verliebt und dabei ebenso fähig ist, einige Sätze ergreifender Einfachheit zu schreiben, die schon die gewaltige Stimme Glucks vorausverkünden.“ Besonders zukunftweisend und ausdrucksstark fand Rolland die Ensembles von Rossi. Auch die Interpreten unseres Konzerts wählten aus dessen Kantatenschaffen vor allem solche Stücke aus, die für zwei oder drei Singstimmen und Basso continuo geschrieben wurden. Von diesen sagt Rolland: „In seinen anmutigen Trios kündigt er Lully an und geht sogar über ihn hinaus in der Art, wie die Stimmen sich rufen, sich miteinander verschlingen, miteinander spielen, mit lebendiger und geistreicher Eleganz den Instrumenten antworten.“
Die ersten drei Stücke unseres Programms, die Trios Dolenti pensier miei und Hor che notturna pace sowie das Duett Soffrirei, sind dafür beredte Zeugnisse. In ihnen geht es um die Qualen eines einzelnen Liebenden, der sich jedoch gleichsam im Chor ausspricht. Der Reiz des Ensemblegesangs liegt in den Möglichkeiten zur Dissonanzenbildung zwischen den Stimmen, zu jener Art von Harmonien, die die Italiener „Durezze“ (kleine Härten) nannten. „Die Gewalt dieser Vokalmusik riß die Seele aus der Brust aller Zuhörer“, hieß es, reichlich pathetisch, in der Pariser Presse 1645 über Rossis Ensembles. In den Schlußstücken des ersten Teils nimmt diese „Gewalt“ die metaphorische Form des Todes an. Im ersten winselt ein Liebhaber um Gnade, weil er die Intensität der Liebe nicht mehr erträgt. Der Tod ist hier in Wirklichkeit das „Sterben“ beim Liebesakt, nach alter madrigalesker Tradition. Sein Kollege sieht sich einer Wand von Schweigen gegenüber, die ihn dem wirklichen Tod in die Arme treibt.