Préludes, op. 28 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Frédéric Chopin

Préludes, op. 28

24 Préludes, op. 28

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2803

Satzbezeichnungen

1. Agitato (C-Dur)

2. Lento (a-Moll)

3. Vivace (G-Dur)

4. Largo (e-Moll)

5. Allegro molto (D-Dur)

6. Lento assai (h-Moll)

7. Andantino (A-Dur)

8. Molto agitato (fis-Moll)

9. Largo (E-Dur)
10. Allegro molto (cis-Moll)
1
1. Vivace (H-Dur)
1
2. Presto (gis-Moll)
1
3. Lento (Fis-Dur)
1
4. Allegro (es-Moll)
1
5. Sostenuto (Des-Dur)
1
6. Presto con fuoco (b-Moll)
1
7. Allegretto (As-Dur)
1
8. Allegro molto (f-Moll)
1
9. Vivace (Es-Dur)
20. Largo (c-Moll)
2
1. Cantabile (B-Dur)
2
2. Molto agitato (g-Moll)
2
3. Moderato (F-Dur)
2
4. Allegro appassionato (d-Moll)

Erläuterungen

Mein Lieber. – Ich bin in Palma – unter Palmen, Zedem-Kakteen-Oliven-Orangen! Zitronen-Aloen-Feigen-Granatfrüchten usw., all dem, was der Jardin des Plantes [Botanischer Garten in Paris] nur dank seiner Öfen hat. – Der Himmel ist wie Türkis, das Meer wie Azur – die Berge wie Smaragde – und die Luft wie im Himmel. – Am Tag scheint die Sonne, alle tragen Sommerkleidung, und es ist heiß – nachts hört man stundenlang Gitarren und Gesang. – Riesige Balkone mit über den Kopf reichendem Weinlaub – mauretanische Gemäuer. Wie alles hier, sieht die Stadt nach Afrika aus. – Mit einem Wort, ein wundervolles Leben! – Denke lieb an mich. Geh zu Pleyel, denn das Klavier ist noch nicht eingetroffen. Auf welchem Weg wurde es geschickt? – Bald erhältst Du die Präludien. Ich werde wahrscheinlich in einem wunderschönen Kloster wohnen, es hat die schönste Lage auf der ganzen Welt: Meer, Berge, Palmen, ein Friedhof, eine Kreuzritterkirche, Ruinen von Moscheen, alte, tausendjährige Olivenbäume. – Und was mein Leben betrifft, so geht es mir gegenwärtig etwas besser. Ich bin dem nahe, was am schönsten ist. – Ich fühle mich wohler.“

Chopin an Julian Fontana
Palma de Mallorca, 14. 11. 1838

Im allgemeinen werden die 24 Préludes Chopins mit seinem dreimonatigen Aufenthalt auf der Insel Mallorca (Oktober 1838-Februar 1839) in Verbindung gebracht, obwohl dies entstehungsgeschichtlich nicht haltbar ist: Der Komponist arbeitete an dem Zyklus schon seit Jahren; auf Mallorca wurde er lediglich vollendet. Im übrigen mündete die Erholungsreise gemeinsam mit der Schriftstellerin George Sand und ihren Kindern in eine Katastrophe, die Chopin kaum Freiräume zum künstlerischen Schaffen ließ: Seine sich stetig verschlimmernde Krankheit, das Mißtrauen der Einheimischen gegen die seltsame Reisegesellschaft, die Feuchtigkeit und schließlich stürmisches Winterwetter über Wochen machten den Aufenthalt selbst im Kloster Valldemosa so unerträglich, daß man im Februar 1839 überstürzt abreiste.

Im folgenden seien zu dem zweifelhaften Zusammenhang mit Mallorca und zum Werk selbst die Passagen aus Ernst Burgers Chopin-Biographie zitiert:

„Das blaue Meer, Gitarrenklänge und Volkstänze, das schaurig-schöne Kloster, Liebe und Krankheit: dies alles findet sich im mallorquinischen Werk Chopins wohl kaum – auch wenn dies in noch so vielen Biographien zu lesen ist. Chopin war von derartigen Einflüssen weit weniger abhängig als andere Komponisten. Obwohl er aus Mallorca schreibt, daß man ‚stundenlang Gitarrenmusik höre‘, findet sich in seinen damaligen Werken kein einziger Anklang…

Wohl läßt sich feststellen, daß sich in den Werken, die man der mallorquinischen Zeit zuschreibt, mehrere choralartige Themen finden (Hauptmotiv des cis-Moll-Scherzos, op.39, Préludes Nr. 9, 15 und 20); dies jedoch auf die Stimmung im Kloster Valldemosa zurückzuführen ist ebenso ein Wagnis wie in den häufigen Ostinati (Préludes Nr.2, 6, 15, 16 und 24) Anzeichen von unausweichlicher Krankheit und Todesahnung zu erkennen; immerhin haben auch Chopin-Werke anderer Epochen choralartige und ostinatoähnliche Motive… Wenn ein Komponist mit dem Erfindungsreichtum Chopins 24 Stücke so unterschiedlichen Charakters aneinanderreiht, wie dies in den Préludes der Fall ist, so eröffnen sich zwangsläufig die verschiedenartigsten Möglichkeiten der Deutung (siehe unten). Aus den Préludes Nr. 3, 19 und 23 hellen Sonnenschein oder Liebesglück der ersten Wochen von Chopins mallorquinischem Aufenthalt, aus der bedrückenden Stimmung der oben aufgeführten ostinatoartigen Préludes das Unglück der darauffolgenden Zeit herauszulesen, muß schon deshalb reine Spekulation bleiben, da diese Stücke zum Teil wahrscheinlich schon vor Chopins Reise nach Mallorca entstanden. Vermutlich kamen auch die vielzitierten Regentropfen eines später danach benannten Prélude lediglich aus George Sands phantasievoller Schreibfeder; ihrer Bemerkung im Anschluß an diese Geschichte schenkt man kaum Beachtung: ‚Er [Chopin] wurde sogar ärgerlich, als ich von Tonmalerei sprach, und verwahrte sich heftig und mit Recht gegen solche einfältigen musikalischen Nachahmungen von akustischen Einfällen.‘ Chopin komponierte auf Mallorca nicht anders als sonst: nobel, majestätisch, elegisch.

Chopin ignoriert die eigentliche Bedeutung des Begriffs Präludium („Vorspiel“, zu einer Fuge nämlich) und versteht darunter ein selbständiges Charakterstück. Natürlich hat Chopin, ein passionierter Bach-Spieler, sich an Bach orientiert, wenn auch nicht in der tonartlichen Anordnung. Bachs Zyklus ist chromatisch geordnet (C-Dur/c-Moll, Cis-Dur/cis-Moll usw. bis H-Dur/h-Moll), derjenige Chopins hingegen im Quintenzirkel (C-Dur/a-Moll, G-Dur/e-Moll usw. bis F-Dur/d-Moll). Da Johann N. Hummel seine Präludien ebenfalls im Quintsystem anlegte und da man weiß, wie sehr sich Chopin von Hummel beeinflussen ließ, ist es naheliegend, daß sich Chopin an ihm orientierte.Chopin und seine Schüler spielten in Konzerten immer nur eine Auswahl der Préludes. Arthur Friedheim (1884) und Busoni (um l900) dürften die ersten gewesen sein, die den gesamten Zyklus aufführten. Heute werden die Préludes meistens geschlossen gespielt, immerhin besteht ein enger – nicht nur tonartlicher – Zusammenhang der Stücke untereinander; die Wirkung eines Prélude ergibt sich oft aus der Stimmung des vorhergehenden.

Im 19. Jahrhundert, und noch bis in unsere Zeit hinein, erschien es selbstverständlich, Instrumentalmusik – besonders wenn sie so ausdrucksmächtig war wie diejenige Chopins – mit ‚poetischen‘ Titeln zu versehen, damit man ihren Charakter besser ‚verstünde‘. Exemplarisch seien hier die Deutungen wiedergegeben, die zwei große Pianisten den Préludes verliehen: der als so nüchtern bekannte Hans von Bülow (B.) und Alfred Cortot (C.). Daß sich hin und wieder geradezu Widersprüche ergeben, darf nicht erstaunen; die Ausdruckscharaktere von Instrumentalmusik sind ja niemals eindeutig. Chopin selbst legte auf ‚poetische‘ Deutungen keinen Wert, zumal sie aus seinen Préludes eine Art Szenen- oder Bilderzyklus machten:
Nr. 1 B: Wiedervereinigung. C: Fieberhaftes Warten auf die Geliebte.
Nr. 2 B: Todesahnung. C: Schmerzliche Meditation; in der Ferne das einsame Meer
Nr. 3 B: Du bist wie eine Blume. C: Lied des Baches.
Nr. 4 B: Erstickungsanfall. C: Auf einem Grab.
Nr. 5 B: Zweifel – Ungewißheit. C: Der Baum voll von Liedern.
Nr. 6 B: Sterbeglöcklein. C: Heimweh.
Nr. 7 B: Polnische Tänzerin. C: Köstliche Erinnerungen schweben wie ein Duft durchs Gedächtnis.
Nr. 8 B: Verzweiflung. C: Schnee fällt, der Wind heult, das Unwetter tobt, aber in meinem traurigen Herzen ist das Unwetter noch viel schrecklicher
Nr. 9 B: Vision. C: Prophetische Stille.
Nr. 10 B: Nachtfalter. C: Zerstäubende Feuerwerkskörper
Nr. 11 B: Libelle. C: Mädchenwunsch
Nr. 12 B: Duell. C: Ritt in der Nacht.
Nr. 13 B: Verlust. C: Auf fremder Erde in einer sternklaren Nacht, im Gedenken an die ferne Geliebte.
Nr. 14 B: Furcht. C: Stürmisches MeerNr. 15 B: Regentropfen. C:Aber der Tod ist da, im Dunkel . . .
Nr. 16 B: Die Hölle. C: Die Fahrt in den Abgrund.
Nr. 17 B: Eine Szene an der Place Notre-Dame in Paris.
C: Sie sagte mir: ich liebe dich.
Nr. 18 B: Selbstmord. C: Verfluchungen.
Nr. 19 B: Inneres Glück. C: Flügel, Flügel, zu Dir zu fliehen, o meine Geliebte!
Nr. 20 B: Trauermarsch. C: Leichenbegängnis.
Nr. 21 B: Des Sonntags. C: Einsame Rückkehr zum Ort der Geständnisse.
Nr. 22 B: Unmut. C: Revolte
Nr. 23 B: Vergnüngugsschifflein. C: Spielende Najaden.
Nr. 24 B: Sturm. C: Vom Blut, der Wollust und dem Tod.“