“Junon et Pallas”, Kantate Nr. 6 aus dem 2. Buch mit Kantaten (1707)
Werkverzeichnisnummer: 2785
Die beiden französischen Kantaten unseres Programms und ihre Komponisten dürften noch nicht einmal Kennern der Materie vertraut sein. Denn sowohl Jean-Baptiste Morin als auch François Collin de Blamont verkörpern den französischen Hofmusiker par excellence: ganz auf der Höhe der Zeit, mit französischer Satztechnik und Harmonie ausgerüstet, italienisch angehaucht, aber ohne allzu individuelles Profil. Ihre Kantaten sind nichtsdestotrotz oder gerade deswegen typische Zeugen des Zeitgeistes, der bei Morin (1707) noch vom “großen Stil” eines Lully beeinflußt ist, bei Collin de Blamont aber bereits mit wehenden Fahnen- oder sollte man besser sagen: mit wehenden Rockschößen – dem Rokoko zueilt.
Juno, die Göttermutter, und Pallas Athene, ihre Stief- Tochter, sind die Heldinnen in Morins Duo-Kantate. Wir begegnen den Damen nicht gerade im vorteilhaftesten Moment, denn gerade hat der junge Trojaner Paris im Schönheitswettbewerb der wichtigsten Göttinnen nicht einer von ihnen, sondern der Liebesgöttin Venus den Preis zuerkannt. Dazu bedurfte es nur des Versprechens, Paris werde durch Venus die Hand der Helena, der schönsten Frau der Welt, erlangen. Juno und Pallas Athene rasen vor Zorn, was in Morins Kantate nicht zu überhören ist. Dabei benutzte der Komponist nicht nur Stilmittel, die für solche Fälle aus der französischen Musiktragödie reichhaltig zur Verfügung standen, sondern auch Elemente des gerade modisch werdenden italienischen Stils. Denn der Komponist stand in den Diensten des Herzogs von Orléans, der im Gegensatz zum französischen König den neuen Stil aus dem Süden protegierte. So hat Morin schon sehr früh, kurz nach 1700, Elemente der italienischen Kantaten in seine französischen Werke aufgenommen.