“Quasi hoquetus“für Viola, Fagott und Klavier
Werkverzeichnisnummer: 2777
Nach dem Tod ihrer Kollegen Edison Denissow und Alfred Schnittke gilt Sofia Gubaidulina heute unangefochten als die wichtigste kompositorische Stimme Russlands und als eine der Leitfiguren der Neuen Musik. Lange Jahre nur einem schmalen Zirkel bekannt, wurde sie ab 1980 zunächst im Westen regelrecht berühmt, später auch in Russland selbst. Ihr hervorstechendes Merkmal ist die tiefe religiöse Symbolik, die sie ihren Werken verleiht. Sie strebt nach der “re-ligio”, der “Wieder-Vereinigung” widerstreitender Kräfte, was sich in ihrer extrem weiten stilistischen Bandbreite widerspiegelt. Man hat versucht, diese mit “Versöhnung zwischen Avantgarde und historischen Musikstilen, archaischer Diatonik und Mikrochromatik” zu umschreiben.
Quasi Hoquetus für Viola, Fagott und Klavier macht schon im Titel den Bezug zur Vergangenheit deutlich. Der Hoquetus ist ein musikalisches Stilelement der spätmittelalterlichen Musik, das erstmals um 1200 in der Pariser Notre-Dame-Schule aufkam. Er bezeichnet eine Form oder eine Satztechnik, “bei der zwei oder mehr Stimmen alternierend kurze Tongruppen oder Einzeltöne vortragen” (neues MGG). Diesen Effekt hat Gubaidulina nachgeahmt, wobei es sich in ihrem Fall um einen “Hoquetus triplex” für drei Stimmen handelt. Wesentlich sind die langgezogenen Einzeltöne bzw. Mehrklänge, die zwischen den drei Stimmen nicht streng abwechseln, sondern im Stil eines Organums auch gleichzeitig erklingen. Der archaische Duktus der Rhythmik und Satztechnik verbindet sich mit zeitgenössischer Harmonik.
Das 15minütige Werk wurde für ein russisches Interpretentrio (Michail Tolpygo, Valerj Popov und Alexander Baschtschijew) geschrieben und im Januar 1985 in Moskau uraufgeführt.