"Flow my tears" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

John Dowland

"Flow my tears"

“Flow my tears”

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2747

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

NACKTELIEDER
“Ein nacktes Lied ohne jede Führung, Stütze oder Farbe außer seiner eigenen wird leicht von jedem Ohr beurteilt und braucht umso mehr Erfindungskraft, um zu gefallen.” Mit diesen Worten verteidigte der englische Lautenist Thomas Campion 1601 das englische Lautenlied gegen seine Gegner. Das Lautenlied gehörte mit der italienischen “Monodie” und dem französischen “Air de Cour” zu den ausdrucksvollen neuen Gattungen von Vokalmusik, die um 1600 den Weg für das Barockzeitalter bereiteten.
Ganz ohne Stütze, wie Campion behauptete, kam der Sänger eines englischen “Ayre” oder “Song” natürlich nicht aus: Wie Monodien und Airs de cour wurden die englischen Lieder zur Laute oder Theorbe gesungen, eine im damaligen Europa durchaus sensationelle Neuerung, die die Maler der Zeit in ihren Bildern festhielten. Im Gegensatz zu Italien und Frankreich aber, wo die Komponisten der Lieder meistens Sänger waren, gaben in England die Lautenisten auch komponierend den Ton an. Der berühmteste dieser Lauten-Lieder-Komponisten war John Dowland. Ihm ist das erste Kapitel unserer kleinen Geschichte des englischen Songs gewidmet.
DOWLANDS TRÄNEN
Als John Dowland 1597 sein bald rasend erfolgreiches “First Booke of Songes or Ayres” herausgab, war die Gattung selbst noch nicht zehn Jahre alt. Sie hatte sich erst durch das Wirken des Verlegers und Komponisten Thomas Morley herausgebildet, der das traditionelle mehrstimmige Lied durch Elemente des italienischen Madrigals bereichert hatte. Dowland selbst besuchte 1595 Italien und geriet prompt in eine Verschwörung englischer Exilkatholiken gegen Königin Elisabeth I., vor der er erschreckt nach Nürnberg zurückwich.
Dowland hätte gute Gründe gehabt, sich ihr anzuschließen, denn er war selbst Katholik und von Elisabeth mit Verachtung gestraft worden, als er sich 1594 um den Posten eines ihrer Hoflautenisten beworben hatte. Eine Stelle bei Hofe blieb seitdem sein hartnäckig verfolgtes Lebensziel, das er jedoch erst 1612 unter Elisabeths Nachfolger James I. erreichte. In der Zwischenzeit hatte der Komponist England im Zorn verlassen und Europa bereist, wo er unter anderem in Kassel, Braunschweig und Nürnberg große Erfolge feierte. 1598 schließlich war er Hoflautenist des Dänenkönigs Christian IV. geworden, was ihn nicht daran hinderte, in England sein zweites und drittes Liederbuch (1600 und 1603) sowie eine ganze Reihe anderer Publikationen herauszugeben. Abgesehen von der Königin war sich die öffentliche Meinung zuhause einig, in Dowland ihren größten Lautenisten und Liederkomponisten zu besitzen. Sonette rühmten seine Kompositionen, Kollegen baten ihn um Empfehlungen, ja sogar Shakespeare erwähnte ihn im Passionate Pilgrim.
Für Dowland waren diese Ehrenbezeigungen nur ein schwacher Trost. Er scheint ein Melancholiker gewesen zu sein, der aus der königlichen Verachtung unendlichen Gram zog – “Semper Dowland, semper dolens”, wie er eines seiner Lautenstücke nannte. Sein berühmtestes Werk trägt deshalb auch den Titel “Lacrimae or Seven Teares”. Diese “Sieben Tränen, ausgedrückt in sieben tief empfundenen Pavanen” waren ursprünglich für Gambenquintett und Laute geschrieben, wurden aber in zahllosen Bearbeitungen verbreitet. Ihr Thema hatte einen Berühmtheitsgrad, den man nur den Tophits unserer Zeit vergleichen kann. Dowland selbst verwendete einzelne der Pavanen als Lautenstücke und textiert als Lieder. “Flow my teares” ist eine dieser “Lacrimae”-Bearbeitungen.
Zusammen mit “I saw my lady weep” aus dem zweiten Book of Songs gehört “Flow my teares” zu einer Gruppe von Liedern, die englische Musikhistoriker als “Songs of darkness” bezeichnet haben – der Kern von Dowlands melancholischem Weltbild und zugleich ein Beitrag zur gesellschaftlich-literarischen Bewegung der “Elizabethan Melancholy”.

2001:
“To see, to touch, to kiss, to dye in sweetest sympathy”, heißt es in John Dowlands berühmtem Lied Come again. Deutlicher ist die Steigerung Stufe um Stufe hin zum Höhepunkt erotischer Ekstase in der englischen Musik kaum jemals ausgedrückt worden. Man könnte meinen, Dowland sei mit Shakespeare eines Sinnes gewesen, wenn es um die Liebe ging. Das Gegenteil war der Fall.

Semper Dowland, semper dolens – “Immer Dowland, immer in Schmerzen” hat Dowland selbst eine seiner Pavanen für Laute genannt, denn er war ein tief melancholischer Charakter. Elizabethan Melancholy nennt man dieses Phänomen, eine Versenkung in die Vergänglichkeit alles Irdischen, die von den englischen Adligen der elisabethanischen Zeit gleichsam als ästhetisches Prinzip geübt wurde. Etwas davon steckt auch in Dowlands Liedern, doch seine Melancholie hatte viel tiefere biographische Gründe. Obwohl er anerkanntermaßen der virtuoseste Lautenist seiner Zeit war und schon als junger Mann vor der Königin spielte, hat Elisabeth I. ihm den Posten eines Hoflautenisten lebenslang verweigert. Erst im hohen Alter erhielt Dowland diese Stelle von ihrem Nachfolger James I. Diese Tatsache allein vergellte Dowland das Lebensglück. Warum die Königin unnachgiebig war, wissen wir nicht. Es könnte daran gelegen haben, dass Dowland offen bekennender Katholik war, oder dass er in einen Skandal verstrickt war, was Königinnen normalerweise nicht verzeihen. Jedenfalls verließ Dowland aus Gram über die abgelehnte Bewerbung England und verdingte sich bei verschiedenen Fürsten auf dem Kontinent als Hoflautenist. Besonders gefördert wurde er von Markgraf Moritz von Hessen in Kassel und vom Dänenkönig Christian IV., der damals ja auch halb Norddeutschland beherrschte. Von Hessen bzw. Dänemark aus betreute Dowland den Druck seiner Lautenlieder in England. Sie waren bald überaus erfolgreich und wurden auch von Dichtern als “Vermählung von Musik und süßer Poesie” gefeiert.

“Tränen” waren Dowlands Markenzeichen auch auf dem Kontinent. Als er um 1600 in Nürnberg sich ins Gästebuch eines Freundes einschrieb, signierte er mit “Johannes Dolandi de Lacrimae”, also John Dowland “von den Tränen”. Es ist eine Anspielung auf die Sammlung Lacrimae oder sieben Tränen ausgedrückt in sieben tief empfundenen Pavanen. Wir hören die erste dieser Pavanen in der Fassung als Lied “Flow my tears”. Liest man den Text lesen, hat man sozusagen die Lebensphilosophie von Dowland vor sich: die unversöhnliche Trauer eines Mannes, der trotz aller Ehren, die ihm zuteil wurden, nie glücklich wurde. Diese erste Lacrimae-Pavane bzw. ihr Anfang, das Motiv der fallenden Träne, war im 17. Jahrhundert so berühmt wie 350 Jahre später das Yesterday der Beatles. Cum grano salis bewegen sich die beiden Themen auf der gleichen Ausdrucksebene: british Melancholy.

“Sorrow stay” und “In darkness let me dwell” sind ebenso ergreifende “Songs of darkness” wie “Flow my tears”. Diana Poulton, die 1972 eine Dowland-Biographie veröffentlichte, hat sie anschaulich beschrieben: “In dem größten seiner Lieder, In darkness let me dwell, befreite sich Dowland von fast allen Konventionen seiner Zeit. Die seltsame und schöne Melodie entsteht aus den Worten mit einem Gefühl von Unausweichlichkeit, während die Erfordernisse des Sprachryhtmus die gewöhnlichen Takt grenzen überschreiten. Beißende Dissonanzen der Laute verstärken die Tragödie in den Worten, und Akkorde mit übermäßigen und verminderten Intervallen werden benutzt, um emotionale Intensität in einem Grade auszu-drücken, der in dieser Zeit unübertroffen ist.”

2004
JOHN DOWLAND
Songs and Ayres

“Ein nacktes Ayre ohne jede Führung, Stütze oder Farbe außer seiner eigenen wird leicht von jede, Ohr beurteilt und braucht umso mehr Erfindungskraft, um zu gefallen. “ Mit diesen Worten verteidigte der englische Lautenist Thomas Campion 1601 die Ayre, das Lautenlied, gegen seine Gegner, die sich auf den Mangel an Kontrapunkt beriefen, wo es doch einzig um schöne Melodie und den angemessenen Ausdruck der Worte ging. Fast alle Komponisten von Lautenliedem waren Lautenisten und nicht Sänger wie in Italien, und sie bewahrten in der Lautenbegleitung ihrer Books of Ayres and Songs eine gewisse Unabhängigkeit der Begleitstimmen. Als John Dowland 1597 sein bald rasend erfolgreiches First Booke of Songes or Ayres herausgab, dem unsere Auswahl an Dowland-Liedern hauptsächlich entlehnt ist, trat das Lautenlied in seine Blütezeit ein. Von 1597 bis 1620 wurden über 30 Bücher publiziert, die jeweils ca. 20 Lieder enthielten.

“To see, to touch, to kiss, to dye in sweelest sympathy’ heißt es in John Dowlands berühmtem Lied Come again. Deutlicher ist die Steigerung Stufe um Stufe hin zum Höhepunkt erotischer Ekstase in der englischen Musik kaum je beschrieben worden. Man könnte meinen, Dowland sei mit “Shakespeare in Love” eines Sinnes gewesen, wenn es um die Liebe ging. Das Gegenteil war der Fall.

Semper Dowland, semper dolens – “Immer Dowland, immer in Schmerzen” hat Dowland selbst eine seiner Pavanen für Laute genannt, denn er war ein tief melancholischer Charakter. Elizabethan Melancholy nennt man dieses Phänomen, eine Versenkung in die Vergänglichkeit alles Irdischen, die von den englischen Adligen der elisabethanischen Zeit gleichsam als ästhetisches Prinzip geübt wurde. Etwas davon steckt auch in Dowlands Liedern, doch seine Melancholie hatte viel tiefere biographische Gründe. Obwohl er anerkanntermaßen der virtuoseste Lautenist seinerzeitwar und schon als junger Mann vor der Königin spielte, hat Elisabeth 1. ihm den Posten eines Hoflautenisten lebenslang verweigert. Erst im hohen Alter erhielt Dowland diese Stelle von ihrem Nachfolger James 1. Diese Tatsache allein vergellte Dowland das Lebensglück.

Warum die Königin unnachgiebig war, wissen wir nicht. Es könnte daran gelegen haben, dass Dowland offen bekennender Katholik war, oder dass er in einen Skandal verstrickt war, was Königinnen normalerweise nicht verzeihen. Jedenfalls verließ Dowland aus Gram über die abgelehnte Bewerbung England und verdingte sich bei verschiedenen Fürsten auf dem Kontinent als Hoflautenist. Besonders gefördert wurde er vom Markgrafen Moritz von Hessen-Kassel und vorn Dänenkönig Christian IV, der damals auch halb Norddeutschland beherrschte. Von Hessen bzw. Dänemark aus betreute Dowland den Druck seiner Lautenlieder in England. Sie waren bald überaus erfolgreich und wurden auch von Dichtern als “Vermählung zwischen Musik und süßer Poesie” gefeiert.

“Tränen” waren Dowlands Markenzeichen auch auf dem Kontinent. Als er sich um 1600 in Nümberg ins Gästebuch eines Freundes eintrug signierte er mit “Johannes Dolandi de Lacrimae”, also, John Dowland “von den Tränen”. Dies war eine Anspielung auf die Sammlung Lacrimae oder sieben Tränen ausgedrückt in sieben tief empfundenen Pavanen. Wir hören die erste dieser Pavanen in der Fassung als Lied “Flow my tears”. Liest man den Text, hat man sozusagen die Lebensphilosophie von Dowland vor sich: die unversöhnliche Trauer eines Mannes, der trotz aller Ehren, die ihm zuteil wurden, nie glücklich wurde. Diese erste Lacrimae-Pavane bzw. ihr Anfang, das Motiv der fallenden Träne, war im 17. Jahrhundert so berührnt wie 350 Jahre später das Yesterday der Beatles.
“I saw my lady weepe” und “Dye not befpre thy day” sind ebenso ergreifende “Songs of darkness” wie “Folw my tears”. Diana Poulton, die 1972 eine Dowland-Biographie veröffentlichte, hat sie anschaulich beschrieben:” Die eigenwillig-schöne Melodie entsteht aus den Worten mit einem Gefühl von Unausweichlichkeit, … beißende Dissonanzen der Laute verstärken die Tragödie in den Worten, und Akkorde mit übermäßigen und verminderten Intervallen werden benutzt, um emotionale Intensität in einem Grade auszudrücken, der in dieser Zeit unübertroffen ist. “ Diesen Zeugnissen des schmerzensreichen Dowland stehen in unserer Auswahl auch entzückende Genrebilder gegenüber wie “Fine knacks for ladies” oder ein Tanzlied wie “Can she excuse my wrongs”, das Dowland auch als Galliard, also Tanzsatz für Laute alleine geschrieben hat. An beides – Lied und Lautensatz – knüpft sich eine hübsche Anekdote. Nachdem Essex’ berühmte Verschwörung gegen seine frühere Gönnerin Königin Elisabeth fehlgeschlagen war, bestellte er bei Dowland das Lied mit dem Titel “Can she excuse my wrongs? “ (Kann sie meine Fehler verzeihen?). Er wollte so die Gnade der Königin erflehen. Doch das herrliche Stück, das Dowland in der Instrumentalfassung The Earl of Essex his Galliard nannte, konnte Elisabeth nicht erweichen. Essex wurde hingerichtet.