Walzer für vier Singstimmen und Klavier zu vier Händen, op. 65, “Neue Liebeslieder”
Werkverzeichnisnummer: 2702
1. Verzicht’, o Herz, auf Rettung
2. Finstere Schatten der Nacht
3. An jeder Hand die Finger
4. Ihr schwarzen Augen
5. Wahre, wahre deinen Sohn
6. Rosen steckt mir
7. Vom Gebirge
8. Weiche Gräser im Revier
9. Nagen am Herzen
10. Ich kose süß
11. Alles, alles in den Wind
12. Schwarzer Wald
13. Nein Geliebter
14. Flammenauge
15. Zum Schluß (Goethe)
JOHANNES BRAHMS hat sechs Zyklen von Vokalquartetten mit Klavierbegleitung geschrieben, von denen nur zwei – die Liebeslieder. Walzer, op. 52, und die Zigeunerlieder, op. 103 – populär geworden sind, und zwar durch die Aufnahme ins Chorrepertoire. Dies war nicht unbedingt im Sinne des Erfinders, wie aus der Vorgeschichte der Quartette op. 64 hervorgeht. Als die Edition Peters auf die Erstausgabe 1874 den Zusatz “oder für kleineren Chor” drucken wollte, protestierte der Komponist scharf “Wenn ich etwa davon schrieb [von einer alternativen Chorbesetzung], so meinte ich: wir möchten stillschweigend Rücksicht nehmen auf die heutige Unsitte, alles mit mehr oder weniger Ungeschmack möglichst anders zu musizieren, als der Komponist schrieb… Wie denn z. B. meine Liebeslieder vom Chor und gar mit Orchester musiziert werden!” Solostimmen waren für Brahms die ursprüngliche, im Grunde einzig befriedigende Besetzung seiner Quartette. Er hoffte, daß sie, ausgeführt von gebildeten Dilettanten, zu “einem Stück Hausmusik” werden würden, und hat sie selbst immer wieder in seinem Wiener Freundeskreis in dieser Weise aufgeführt.
Die erfolgreichste Quartettserie von Brahms waren die Liebeslieder, op. 52, die er im Untertitel Walzer nannte (heute meist zusammengezogen zum Titel Liebeslieder-Walzer). Ihre Fortsetzung fanden diese Stücke in den Neuen Liebesliedern, op. 65, die er 1874 in Wien (damals noch ohne den charakteristischen Vollbart, wie das Foto von 1876 zeigt) komponierte. Wie auch in der ersten Serie handelt es sich um volkstümliche Gesänge in Walzerform, bei denen der Klavierpart zu vier Händen entsprechend gewichtig ausfiel, ohne daß ihn Brahms – wie in op. 52 – auch alleine, ohne Singstimmen gelten lassen wollte. Die Einheit zwischen Gesang und Begleitung erschien ihm in diesem Falle untrennbar.
Dies hing wohl nicht zuletzt mit dem gewichtigen Schlußstück des Zyklus – der Goethe-Vertonung Nun, ihr Musen, genug! – zusammen. Nachdem die vorangehenden Sätze auf Volkspoesie aus allen Teilen Europas, übersetzt von Brahms’ Lieblingsdichter Daumer, beruhten, teilte der Komponist Goethe das Schlußwort zu, und zwar, musikalisch gesehen, in Form einer Chaconne über ein immer wiederkehrendes Baßthema. (Es stammt aus der gleichzeitig komponierten Alt-Rhapsodie von Brahms.) Wie in diesem satz, so sind auch in manchem der vorangehenden Walzer die kontrapunktischen Züge nicht zu überhören. Der Zyklus wird insgesamt dichter, melancholischer und intimer als die fröhlichen Vorgänger aus Opus 52.