Liederzyklus “Dichterliebe”, op. 48 nach Heinrich Heine
Werkverzeichnisnummer: 2660
1. Im wunderschönen Monat Mai
2. Aus meinen Tränen sprießen
3. Die Rose, die Lilie
4. Wenn ich in deine Augen seh’
5. Ich will meine Seele tauchen
6. Im Rhein, im heiligen Strome
7. Ich grolle nicht
8. Und wüßten’s die Blumen
9. Das ist ein Flöten und Geigen
10. Hör’ ich ein Liedchen klingen
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1. Ein Jüngling liebt ein Mädchen
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2. Am leuchtenden Sommermorgen
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3. Ich hab’ im Traum geweinet
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4. Allnächtlich im Traume
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5. Aus alten Märchen
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6. Die alten, bösen Lieder
Im Rhein, im heiligen Strome
Lange bevor Robert Schumann im Jahre 1850 Musikdirektor der Stadt Düsseldorf wurde, hat er dem Rhein und seiner märchenhaften Aura klingende Denkmale gesetzt. Während er sich in der Düsseldorfer Zeit in großen Orchesterwerken auf die Volks- und Landschaftscharakteristika der Region bezog (Festouvertüre op. 123 mit dem Rheinweinlied, Rheinische Sinfonie), waren die Lieder des Jahres 1840 der rechte Ort, um der Rheinromantik zu huldigen. In seinen beiden bedeutendsten Liederzyklen, die im heutigen Konzert erklingen, ist der Rhein Spiegel und Ort märchenhafter Ereignisse: Im heiligen Strome spiegelt sich der Kölner Dom, in dessen Marienbild der Dichter auf wundersame Weise die Züge seiner Geliebten erkennt. “Zu Mainz die Brück”, d.h. die Pontonbrücke, die erst später durch die heutige Theodor-Heuss-Brücke ersetzt wurde, ist Teil des grotesken Schlussbildes der Dichterliebe. Im Eichendorff-Liederkreis begegnen uns die Loreley und ein eingeschlafener Ritter auf seiner Burg. Der Rhein ist ein Symbol für die mythische Welt der Vergangenheit, die den Menschen unsichtbar umgibt.
Dichterliebe, op. 48
“Das plötzliche Hinüberspringen Schumanns in ein Kompositionsgebiet, welches von ihm bisher nur vorübergehend betreten worden”, war in der Entwicklung des Komponisten das große Ereignis des Jahres 1840. Schumann, der bis dahin ausschließlich Klaviermusik veröffentlicht hatte, wandte sich dem Lied zu und schuf innerhalb eines Jahres “138 verschiedene Gesangsstücke größern und kleinern Umfangs, teils für eine Singstimme, teils für zwei und mehr Stimmen”, wie es bei seinem ersten Biographen Wasielewski weiter heißt. Das Jahr 1840 wurde damit zu seinem “Liederjahr”; zugleich war es das Jahr, in dem er Clara Wieck heiratete. Zwischen beiden Sachverhalten besteht ein schaffenspsychologischer Zusammenhang, wie er für Schumann typisch ist.
Wasielewski beschrieb ihn mit romantischen Worten so: “Der im Hinblick auf die nahe Verwirklichung seiner Herzenswünsche mächtig gesteigerte Seelenzustand Schumanns läßt es eben erklärlich erscheinen, wenn er nun zum Worte griff, um seinen Empfindungen noch bestimmteren Ausdruck zu geben als bisher.” Zu diesem Bedürfnis nach Verdeutlichung des Ausdrucks gesellte sich Schumanns Unzufriedenheit mit dem Klavier, die er seit 1838 zunehmend empfand. Hatte er damals an Clara geschrieben, das Klavier werde ihm “zu eng”, so hieß es nun bezüglich der Lieder: “Wie mir alles leicht geworden ist, kann ich Dir gar nicht sagen, und wie glücklich ich dabei war, – meistens mache ich sie stehend oder gehend, nicht am Klavier. Es ist doch eine ganz andere Musik, die nicht erst durch die Finger getragen wird.” Das Vordringen in neue, wortbezogene Ausdrucksbereiche und die Befreiung von einer bloß “durch die Finger getragenen” Musik wurde Robert erst durch die Vereinigung mit Clara möglich. Viele Lieder und Liederzyklen von 1840 hängen mit ihr zusammen.
Die Sammlung Myrten, op. 25, bestimmte er ihr als Brautgeschenk, doch handelt es sich dabei noch um eine Sammlung von Gedichten verschiedener Dichter. Erst danach wandte sich Schumann dem Liederzyklus nach einem Dichter zu und schuf nach diesem Modell insgesamt fünf Zyklen: den Liederkreis nach Heine, op.24, Frauenliebe und -leben nach Chamisso, die Kerner-Lieder, op. 35, den Eichendorff-Liederkreis, op. 39, und – wiederum nach Heine – die Dichterliebe, op. 48.
“Ende Mai/Anfang Juni, im Anschluß an den Liederkreis von Eichendorff op. 39, schrieb Schumann in nur wenigen Tagen einen Zyklus mit dem Titel ‘Gedichte von Heinrich Heine. 20 Lieder und Gesänge aus dem Lyrischen Intermezzo im Buch der Lieder für eine Singstimme und das Pianoforte’, der seinem Freund Felix Mendelssohn Bartholdy gewidmet war. Als das Werk unter dem von Schumann erfundenen Titel ‘Dichterliebe’ 1844 als sein op. 48 bei C. F. Peters in Leipzig erschien, enthielt es nur noch 16 Nummern. Die Lieder Dein Angesicht, Es leuchtet meine Liebe, Lehn’ deine Wang und Mein Wagen rollet langsam hatte Schumann aus Gründen der zyklischen Disposition … ausgesondert. Die Widmung der Dichterliebe an die große Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient, die vom Ehepaar Schumann wegen ihrer dramatischen Darstellungskunst bewundert wurde, sollte jedoch nicht als versteckter Hinweis auf ein dem Zyklus zugrundeliegendes ‘Drama’ mißverstanden werden. Das Werk folgt eher einer ‘inneren’ Dramaturgie der psychischen Entwicklung des Protagonisten – Reflexionen über eine unglückliche Liebe, in denen sich bittere Ironie, schwärmerisches Gefühl und scheinbar harmloser Volksliedtonfall auf seltsame Weise durchdringen.” (J. Draheim)