Variationen, op. 56a | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johannes Brahms

Variationen, op. 56a

Variationen über ein Thema von Haydn, op. 56a

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2649

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

Johannes Brahms benutzte als Thema für seine Orchestervariationen, op. 56a, bekanntlich einen Bläserchoral, den er für ein Werk Joseph Haydns hielt. Es ist der Chorale St. Antoni aus der 6. Feldparthie für acht Bläser, Hob. II:46, wobei bis heute unklar ist, ob diese Bläserdivertimenti tatsächlich von Haydn stammen. Bei dem „Choral des Hl. Antonius“ dürfte es sich jedenfalls – gleichgültig, ob von Haydn oder einem anderen gesetzt – um eine allgemein gebräuchliche Melodie der Zeit handeln.

Der Charakter des Chorals und die ursprüngliche Bläserbesetzung machen ein Arrangement des Themas für Blechbläser zwanglos möglich. Die gesamte Variationenreihe in dieser Fassung vorzustellen, ist natürlich eine ungleich schwierigere Aufgabe, muß man doch auf den gerade hier besonders subtilen Holzbläser- und Streichersatz von Brahms verzichten.

Für Johannes Brahms war – um ein viel strapaziertes Wort von Arnold Schönberg zu zitieren – seine Musik stets „entwickelnde Variation“. Das ständige Verwandeln kleinster Motivbausteine war Kern seines Komponierens. Es führt auch in seiner Sinfonik zu einem dichten Netz motivischer Bezüge, die sich über einen ganzen Satz oder über ein ganzes Werk legen können. Benutzte er ein fremdes Thema für Variationen, so versuchte er stets auch dort, jene Motivkerne herauszuschälen und sie schrittweise zu verwandeln.

Die daraus sich ergebende motivische und rhythmische Dichte prägen auch seine „Haydnvariationen“, gepaart mit der eigentümlichen Schwermut der Harmonik und mancher melancholischen Wendung der Melodie. Allein drei der acht Variationen stehen in Moll, das Finale ist kein rauschendes Allegro wie bei Salieri, sondern ein verhaltenes Andante. Im Verlauf der Metamorphose bleibt vom gradlinig kraftvollen Duktus des Themas nur noch ein Schatten übrig. Brahms tauchte den Bläserchoral, den er sich ausgesucht hatte, in eine hochromantische Aura zarter Stimmungsvaleurs und durchbrochener Orchesterklänge. Mancher pastorale Zug wie im Andante con moto der 4. Variation weist noch auf die Wiener Klassik zurück. Ansonsten ist das Werk, vom Komponisten erstmals am 2. November 1873 im damaligen Saal der Gesellschaft der Musikfreunde dirigiert, reinste Wiener Spätromantik.

Für Brahms war es der Einstieg in ein neues Genre. Variationen hatte er zuvor nur für Klavier geschrieben – seine großen Zyklen bis hin zu den „Händelvariationen“ -, in diesem Falle aber war die Fassung für zwei Klaviere Opus 56b nur eine Alternative, nicht etwa die Urfassung. Brahms betonte ausdrücklich, dass es sich um „Variationen für Orchester“ handele, und begründete damit quasi ein neues Genre, dem später gewichtige Werke von Webern, Blacher und anderen folgen sollten.

Mit dem Thema hat es seine eigene Bewandtnis: Der Haydnforscher Pohl, ein enger Freund von Brahms, hatte ihn auf die sogenannten „Feldparthien“ des Meisters aus Niederösterreich aufmerksam gemacht. Obwohl die Echtheit dieser Divertimenti für Bläser bis heute umstritten ist, zog doch ein einzelner Satz Brahms besonders in seinen Bann. 1870 schrieb er sich den sogenannten „Chorale St. Antoni“, den Choral des Hl. Antonius aus der Feldparthie Hob: II:46, in sein Skizzenheft ab. Von da an scheint er sich mit der Idee von „Haydnvariationen“ beschäftigt zu haben, wofür er auch andere Themen des Meisters prüfte. Während der Sommerferien 1873 in Tutzing entschied er sich dann endlich für den Choral, benutzte ihn in der Originaltonart und in der Bläserbesetzung. Brahms selbst dürfte an der Echtheit dieses „Haydnthemas“ weniger Zweifel gehabt haben als die heutige Forschung.