Sonate für sechs Spieler
Werkverzeichnisnummer: 2630
1. Con moto
2. Andante cantabile
3. Passacaglia
Hans Werner Henze hat sich wie kaum ein anderer deutscher Komponist der Nachkriegszeit am Aufbruch des europäischen Kinos beteiligt. Er schrieb die Filmmusiken zu so unterschiedlichen Filmen wie Der junge Törless (Schlöndorff), Die verlorene Ehre der Katharina Blum (Trotta) und Muriel (Resnais), wobei er jeweils nachträglich Konzertfassungen davon anfertigte. Dies war auch bei der Filmmusik zu L’amour à mort von Alain Resnais der Fall, die er 1984 komponierte und zur Sonate für sechs Spieler umarbeitete. Sie sprengt insofern die Grenzen der Kammermusik, als ihre sechs Instrumentalisten nicht weniger als 21 Instrumente zu bedienen haben. Flötist, Klarinettist und Violinist spielen auch Altflöte, Baß- bzw. Kontrabaßklarinette und Viola und müssen daneben kleinere Schlaginstrumente bedienen. Dem stehen das umfangreiche eigentliche Schlagzeug, Klavier und Celesta gegenüber. An eine Sonate im konventionellen Sinn erinnert lediglich noch der dreisätzige Aufbau des Werkes, der freilich eng mit der Geschichte des Films verknüpft ist, wie Henze erläuterte:
“Alain Resnais hatte mich gebeten, das Vor-, Zwischen- und Nachspiel der Filmmusik so zu schreiben, daß diese den drei Hauptabschnitten, Sätzen bzw. Strukturen untergeordnet wären: Das Vorspiel war sonatenförmig, das Zwischenspiel als Arie angelegt und das Nachspiel schließlich eine Passacaglia. Die Form sowie das Fortschreiten dieser drei Sätze stehen im direkten Zusammenhang mit der Struktur des Films.
Die Sonate enthält 2 kontrastierende Hauptelemente. Hiervon bezieht sich das eine auf Elisabeth und ihre Ekstase der Liebe und Furcht; das andere verkörpert Bedrohung, Angst und tonales Symbol, das mit der ständig wachsenden Zahl von den Tod betreffenden Bildern sowie der Faszination, die diese auf Simon ausüben, in Zusammenhang steht.
Der Sonatensatz endet mit dem Tod von Simon. Der zweite Satz, die Melodie voller tragischer Akzente und versteckter Anspielungen auf Symbole und Gestik der Oper des 18. Jahrhunderts, enthält Hinweise auf den thematischen Stoff des ersten Satzes. Resnais bezeichnet dies als ‘la séparation’ (die Trennung). Hierbei geht es um die Zeit zwischen Simons Tod und Elisabeths Entscheidung, ihm zu folgen. Im Film wird die Melodie (deren Zeilen eine fast buchstäbliche Umsetzung des gesprochenen Textes sind, wie z.B. ‘je te promets’ (ich verspreche Dir), durch die Handlung und die Dialoge in regelmäßigen Abständen durchbrochen, jedoch dann immer wieder aufgenommen. Vom Konzept her soll sie durchgängig gespielt werden. Die Melodie verklingt ganz allmählich und nähert sich dem Rezitativ, ja Ausruf, so als wolle sie Elisabeth in ihrem Klagen und ihren Schmerzensschreien unterstützen und mit ihr sagen: ‘Je deteste la vie sans Simon’ (Ich verabscheue ein Leben ohne Simon).
Die Passacaglia am Schluß stellt ‘le départ’ (den Abschied) dar. Der Bass, in der Regel von der Pauke gespielt, besteht aus den hohen Noten des Themas, das (von der Baßklarinette) im I. Satz eingeführt worden war, um Simon im Reich der Toten zu zeigen. Fragmente und Erinnerungen an vorausgegangene Ereignisse werden durch den beharrlichen Baß im Herzschlag-Rhythmus eingeworfen, wobei die ‘Lust’ aus dem Reich der Toten allmählich von den untersten Registern, gleichsam einer Flut, aufsteigt, den gesamten Raum einnimmt und letztlich alles andere überdeckt und auslöscht.”
[Das Schlagzeug wird in unserem Konzert von zwei Percussionisten gespielt, die Sonate hat also sieben Spieler.]